Magazin #17

18 Perspektiven

Jenseits von Rivalität und Konkurrenzdenken realisiert eine Gruppe junger Hamburger Fotografen gemeinsame Arbeitsprojekte – mit verblüffenden synergetischen Ergebnissen.

Text – Kristina V. Klot

In den Wäldern der Insel Gomera der Natur auf der Spur, Mitarbeiter der renommierten Designfirma Vitra in ihren Wohnungen porträtieren, das moderne Antlitz eines Engadiner Grandhotels zwei Wochen lang unter die Lupe nehmen – schon diese ersten drei Projekte lassen das Konzept der Gruppe 18 aus Hamburg erahnen: Auf ihren Reisen in die Fremde begeben sich 18 junge Fotografinnen und Fotografen, die in so verschiedenen Bereichen wie Werbung, Journalismus, Grafik oder freie Kunst tätig sind, einmal im Jahr auf Distanz zum Berufsalltag. Ausgangspunkt ist ein von allen geteilter Qualitätsanspruch und das Ziel, hartnäckig und solidarisch an der Umsetzung ästhetischer Standards zu arbeiten, statt die gängigen Erwartungen des Marktes zu bedienen. »Im Mittelpunkt steht nicht die Überlegung: Was will irgendjemand von uns sehen?, sondern: Was können wir entdecken, erforschen, und wo kann man noch weitergehen?«, beschreibt die Porträt- und Reportagefotografin Birgit Wudtke das gemeinsame Interesse.

Die Kooperation als Gruppe begann Ende der 90er Jahre: In Seminaren des Gastprofessors Hans Hansen an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg hatten die damaligen Studenten mit Tag ein (1998) und Wasser (1999) viel beachtete Ausstellungen erarbeitet – prämiert mit dem Kodak Nachwuchs-Förderpreis und Auszeichnungen im Rahmen des Reinhart-Wolf-Preises. Im Sommer 1999 entstand der Plan der zwischen 26 und 35 Jahre alten Fotografen, auch jenseits der Schule zusammenzuarbeiten.

Mitinitiator Hans Hansen beeindruckte die Studenten nicht nur als renommierter Sachfotograf mit hohem Anspruch, sondern auch durch seine »stillschweigende Art der Lehre« – jenseits gängelnder Bildbesprechungen oder pädagogischer Attitüden, so Wudtkes Erfahrung. 1999 nahm die Gruppe ihren ersten, durch Hansen vermittelten Auftrag an: ein Porträt der Designfirma Vitra in Weil am Rhein. Eine Woche lang arbeiteten die Fotografen an jeweils eigenen Schwerpunkten und nahmen Architektur, Produktdetails oder Mitarbeiterwohnungen mit dem Ziel auf, das Unternehmen aus verschiedenen Blickwinkeln und in individueller technischer Herangehensweise darzustellen.

Alle Beteiligten waren von der intensiv erlebten Zeit begeistert, schätzten vor allem den Workshop-Charakter des Projekts – »morgens früh mit dem ganzen Equipment in die Fabrikationshallen aufzubrechen und gemeinsam konzentriert an einer Sache zu arbeiten«, wie Angela Franke es beschreibt. Schon auf der Rückfahrt nach Hamburg wurde über weitere Projekte nachgedacht. Und bei einem späteren Treffen in Hansens Atelier reifte die Idee, sich nun dem Thema Natur zu widmen.

Vom Kodak Kulturprogramm mit Filmmaterial ausgestattet, reiste die Gruppe im März 2000 für zehn Tage auf die spanische Insel Gomera, um sich mit Naturfotografie auseinanderzusetzen. Im Januar 2001 dokumentierte Zehn Tage Natur – eine Ausstellung mit 150 Fotos im Hamburger Sprinkenhof – die Annäherung an das für die Städter eher ungewohnte Sujet.

Auch bei dieser offenen Projektreise ohne inhaltliche Vorgaben ging es der Gruppe 18 darum, im Vergleich und in Auseinandersetzung miteinander das künstlerische Profil zu schärfen, Korrektiv für die anderen zu sein. Stefanie Becker, die sich als Fotokünstlerin auf Gomera mit den Perspektiven der romantischen Malerei beschäftigte, hält insbesondere die internen Diskussionen für einen großen Gewinn: »Man ist gezwungen, auch denjenigen die eigene Arbeit vorzulegen, die einem weniger nahe stehen, und ist mit so kritischen wie existenziellen Fragen konfrontiert: Wohin willst du mit deiner Arbeit – und was soll das überhaupt?« Wenn es der freischaffenden Künstlerin auch weniger um einen geschützten Raum jenseits des Wettbewerbs geht, betrachtet sie die Gruppe doch als wichtiges Refugium: »Hier hat man die Chance, sich von seinem alltäglichen Tun freizuschaufeln und die eigene Bequemlichkeit zu überwinden. Man setzt einander produktiv unter Druck, hart zu arbeiten. Und dann wird Fotografie plötzlich zum Alltag.« Die Entwicklung eines verlässlichen Netzwerks sei ein weiterer Aspekt, von dem alle profitieren – ob bei der Vermittlung von Jobs, dem Abklären von Fotorechten oder der Bereitstellung eines Laborplatzes: »Statt arglistigem Beäugen praktiziert man hier gegenseitige Hilfe.«

Das dritte Projekt führte die Gruppe im März und August 2001 nach Pontresina in die Schweiz, um das traditionsreiche Grandhotel »Kronenhof« zu porträtieren. Auch hier nahm man das gemeinsame Objekt fotografisch in den Blick, zeigte kraft der eigenen Bildsprachen unterschiedlichste Facetten auf und setzte es suggestiv ins Bild. Ein Augenpaar fokussierte das Personal, ein anderes widmete sich der Engadiner Landschaft, ein drittes zielte auf die opulent angerichteten Speisen in der Küche. Mal ist es der Faltenwurf der Vorhänge, dann das Licht im Kaminzimmer oder die unscharf aufgenommene Gruppe im Schnee: Einem Kaleidoskop ähnlich ordnen sich die mannigfaltigen Perspektiven auf das Hotel wie bunte Glassteinchen zu zahlreichen Mustern und Bildern, die dem Betrachter nach und nach eine komplexe Szenerie eröffnen. Im Februar 2002 waren die Fotos aus Pontresina unter dem Titel Bellavista im »Palais für aktuelle Kunst« in Glückstadt zu sehen.

Die Erfahrung, im Rahmen der Gruppe Risiken einzugehen, die man sich als bezahlter Profi auf dem freien Markt kaum erlauben kann, hält auch Angela Franke für wesentlich: So startete sie – die als einzige in der Gruppe Still-Life als Schwerpunkt hat – in Pontresina den Versuch, Hotelgäste zu porträtieren; »es lag mir an dem Experiment, einmal in eine ganz andere Richtung zu gehen«. Auch wenn in einer Groß-Gruppe inhaltliche Auseinandersetzungen an der Tagesordnung sind, hat sich inzwischen die Struktur der Gruppe so weit gefestigt, dass organisatorische Aufgaben von allen gleichermaßen erledigt werden. »Jetzt werden wir uns wieder intensiver der Fotografie widmen können.«

Nach fast drei Jahren seit der ersten Zusammenarbeit teilen viele Mitglieder der Gruppe 18 die Erwartung von Lukasz Chrobok: Inzwischen habe jeder eine ungefähre Vorstellung von der Arbeit der anderen, jetzt stünden Diskussionen darüber an, ob die verschiedenen Ansätze in eine gemeinsam geteilte Haltung münden – und in welche. »Es ist an der Zeit, eine visuelle Idee der Gruppe zu formulieren.«

Hans Hansen betrachtet die Gruppe 18 als eine glückliche Ausnahme in der Fotografen-Szene, die überwiegend von kleineren Zweckgemeinschaften geprägt sei. »Den Traum von einem Kollektiv in der Tradition von Literaten- und Künstlerzirkeln aus den 20er Jahren, den hat ja jeder; von einem Austausch, vor dem man sich nicht fürchten muss – vom Experimentieren unter einem imginären Schutzschirm.«

GRUPPE 18
Zu allen drei Projekten der Gruppe steht eine Edition von 18 Originalprints in einer Auflage von 30 Exemplaren zum Verkauf.

Gruppe 18:
Claas Adler, Stefanie Becker, Lukasz Chrobok, Angela Franke, Hans Hansen, Achim Hatzius, Annette Kelm, Petra Kohl, Dirk Messner, Anja Meyer, Gisi Rameken, Simone Scardovelli,Hendrik Schwantes, Volker Strey, Gulliver Theis, Anna Vosswinkel, Katharina Werin, Birgit Wudtke

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Kristina V. Klot
lebt und arbeitet als freie Journalistin in Hamburg.