Magazin #26

Abenteuer direkt vor der Haustür

In anderen Ländern startet die Fotografenlaufbahn meist in der Lokalredaktion einer Tageszeitung. Bei uns hat das eher einen faden Beigeschmack. Doch neben dem Klischee vom Bild des Kaninchenzüchter-Vereins existiert viel mehr.

Text – Dirk Zimmer

»Ich fotografiere für die Zeitung«, diesen Satz traut sich kaum einer auszusprechen und schon gar nicht als Berufswunsch zu denken. Zwar gibt es gute Ansätze, an deutschen Ausbildungsinstituten den Beruf des Bildjournalisten zu vermitteln, doch ist hier eher die Reportage zur Publikation in Magazinen, Büchern und Ausstellungen im Fokus der Ausbildung, bei der auch der künstlerische Anspruch nicht zu kurz kommt. Leider gibt es noch keinen Ausbildungsweg, der auf den anspruchsvollen, interessanten und vielseitigen aber harten Beruf des Bildjournalisten an Tageszeitungen vorbereitet.

Hier dominieren die Quereinsteiger, die Halb- und Nebenberufsjournalisten, die Textredakteure, die zum Fotografieren verdonnert wurden, mit oftmals verheerenden Ergebnissen. Dennoch – im Lokaljournalismus ist man dem Geschehen am nächsten, immer direkt dran. Wer es richtig anstellt, hat nicht nur große Chancen, sich kreativ verwirklichen zu können, sondern auch für sein Auskommen zu sorgen.

Allerdings sollte man sich ehrlich prüfen, ob man wirklich den Anforderungen für den Beruf des Lokalfotografen gewachsen ist. Wer am frühen Morgen im Dunkeln von dem metallischen Schrappen der Schneeschaufel des Nachbarn aus dem Schlaf gerissen wird, sich genervt auf die andere Seite dreht und weiter schläft, liegt falsch.

Wer aber in dieser Situation zur Kameratasche neben dem Nachttisch tastet, weil er realisiert »der erste Schnee!« und ohne Frühstück das Haus verlässt, weil er in Sorge ist, dass der Schnee geschmolzen sein könnte, bevor ein gutes Foto im Kasten ist, hat die richtige Einstellung zum Job.

SCHLECHTE HONORARE, SCHLECHTE BILDER?

Nach jüngsten Untersuchungen gibt es in Deutschland 377 Zeitungen und der deutsche Zeitungsmarkt ist der größte in Europa. Leider werden nicht immer und überall auch fürstliche Honorare gezahlt, so dass der Eindruck entsteht, es gibt einen Zusammenhang zwischen schlechten Zeitungsbildern und den schlechten Honoraren. Unklar ist: Werden schlechte Honorare gezahlt, weil es die Bilder nicht wert sind, oder werden schlechte Bilder geliefert, weil die niedrigen Honorare nicht dazu motivieren, sich zu engagieren. Vielen verantwortlichen Zeitungsredakteuren ist aber die Kraft und Wirkung guter Fotos durchaus bewusst. Woran liegt es nun, dass es nur wenige Lokalfotografen gibt, deren Fotos trotz lokaler Ereignisse Weltniveau haben und den Betrachter nachhaltig beeindrucken?

JOURNALISTISCHES GESPÜR FÜR DEN ALLTAG

Für viele Fotografen ist ein Thema erst interessant und berichtenswert, wenn es mindestens 1000 Flugmeilen vom Heimatort entfernt zu fotografieren ist. Fremde Länder, exotische Locations und unbekannte Bräuche – da ist es einfach, interessante Fotomotive zu finden.

Das reicht aber mittlerweile nicht mehr aus, um das Interesse der Redaktionen zu wecken. Also müssen die Themen immer ungewöhnlicher und ausgefallener sein, um gedruckt zu werden. Aber kaum eine Redaktion beteiligt sich auf Verdacht an den Produktionskosten. Für den Fotografen heißt das, nicht nur viel Zeit, sondern auch beträchtliche Summen Geldes zu investieren, um eigene Reportagen verwirklichen zu können. Wieder zurück zu Hause beginnt dann die Vermarktung der Bilder. Das ist oftmals der schwierigste Teil des Geschäfts.

Viel Zeit und Geld spart, wer sich vor seiner eigenen Haustür nach Fotothemen umschaut. Mit journalistischem Gespür finden sich dutzende Themen: vom ersten Schnee des Jahres angefangen, bis zur Reportage über die Heilsarmee oder die Müllabfuhr. Solche Themen, die sich vielleicht auch aus lokalpolitischen Zusammenhängen ergeben, interessieren natürlich auch die Zeitungsredaktionen. Viele überregionale Themen, die als Topnews die Nachrichten beherrschen, haben eine lokale Komponente: Hartz IV, Jugendgewalt, Gammelfleisch Steuerhinterziehung.

Wie verändert sich eine Stadt, ein Dorf, eine Landschaft. Wer mit offenen Augen und offenem Herz seine Umwelt wahrnimmt, findet seine Fotothemen quasi »auf der Straße«.

KONTAKTE KNÜPFEN, NETZWERK BILDEN

Nicht nur – aber gerade im Lokaljournalismus ist es wichtig, kommunikativ zu sein und auf Menschen zugehen zu können. Wer eher zurückhaltend und schüchtern daherkommt, wird es nicht so leicht haben.

Persönliche Kontakte helfen, immer auf dem Laufenden zu sein und vielleicht Informationen zu bekommen, die die Konkurrenz noch nicht hat. Lokale Vereine und Organisationen sind ein interessantes Netzwerk für die Informationsbeschaffung, genauso wie ein guter Draht ins Rathaus und zu den Parteien.

Wichtig ist es, das Medium für das man arbeiten möchte, in diesem Falle die ortsansässige führende Zeitung, zu kennen – richtig zu kennen! Wie werden Fotos verwendet? Welche Bildtypen gibt es? Worin liegen Schwächen der Illustration, welche Ideen stecken hinter den Bildern. Gibt es spezielle Reportageformate oder sogar Bilderseiten? Was kann man eventuell besser oder interessanter machen?

WELCHE THEMEN INTERESSIEREN?

Im Prinzip sind alle Themen interessant, zu denen ein interessantes Foto zu machen ist. Alles, was einen selbst neugierig macht, berührt, aufregt oder ärgert, interessiert auch andere Menschen und ist somit potenziell ein Thema für die Zeitung.

Erzählen Sie also auf Ihre Art, also mit Ihrer Kamera, das, was Sie emotional bewegt. Dabei hilf es enorm, wenn man sich mit den lokalen Gegebenheiten sehr gut auskennt, Zusammenhänge erkennt und ausnutzt und auch ein fundiertes Hintergrundwissen einsetzen kann.

INFORMATIONEN SAMMELN

Niemand erwartet, dass Sie Romane schreiben können, Sie sollten aber einige erklärende Zeilen zu den eigenen Bildern als Bildunterschrift verfassen können. Das erhöht die Veröffentlichungschancen der Bilder. Oft reicht es auch aus, die Sachverhalte knapp und sachlich mit Stichworten aufzuschreiben. Dann können die Kollegen in der Redaktion eine Bildunterschrift machen, denn Texte zu redigieren ist täglich Brot in einer Redaktion.

Werden die Fotos in einer Redaktions-Datenbank verwaltet, ist es sehr wichtig, die Bildtexte verbunden mit der Bilddatei zu liefern. Nach der IPTC Norm oder als XMP können Bildinformationen direkt der Bilddatei angehängt und später gelesen werden. Man kann nicht nur die Bildinhalte beschreiben, sondern auch Informationen über den Bildurheber, die Belegadresse und zur Honorierung speichern.

In digitalen Produktionssystemen und Bildarchiven können Bilder leider nur noch über Suchbegriffe gefunden werden. »Auf Sicht«, wie in herkömmlichen, analogen Bildarchiven lassen sich Bilder nicht mehr finden. Ohne Bildbeschreibung verschwindet auch das schönste und beste Bild im digitalen Nirwana, weil es nicht (wieder)gefunden werden kann.

Kein Wunder, denn in einer Zeitungsredaktion summieren sich allein die von den Bildagenturen dpa, ap, ddp und Reuters angelieferten Fotos auf 2000 bis 5000 Bilder täglich. Nur eine ordentliche Bildbeschreibung, die sich an den fünf »W’s« (wer, wann, was, wo, warum) orientiert, garantiert, dass ein Bild zur Veröffentlichung ausgewählt werden kann.

DIE KONKURRENZ IM AUGE BEHALTEN

Konkurrenz belebt das Geschäft, das gilt natürlich besonders im Journalismus. Schnell zu sein, ist ein wichtiger Wettbewerbsvorteil und sollte nicht unterschätzt werden. Gerade die Bildagenturen betreiben bei Großereignissen einen riesigen Aufwand, um mit den eigenen Bildern als erster beim Kunden zu sein.

Die voranschreitende digitale Technik hilft dabei. Fotos werden per WLAN direkt aus der Kamera des Fotografen auf das Laptop eines Bildredakteurs oder Assistenten gesendet, der sofort die Fotos auswählt, bearbeitet, betextet und dann per FTP-Upload direkt auf den Bildserver des Kunden schickt. So können theoretisch innerhalb weniger Minuten nach dem Ereignis schon die Fotos davon in der Redaktion »aufschlagen«.

Diese Schnelligkeit ist nur mit gut eingespielten Teams erreichbar. Als Einzelkämpfer kann man eine derartige Arbeitsweise nicht leisten. Sie ist in der lokalen Berichterstattung auch in der Regel nicht nötig. Dennoch, man sollte nicht nur wissen, welcher Nachbar für welche Zeitung unterwegs ist, sondern auch gut beobachten, was die Anderen machen, vor Ort und nachher.

WIE KANN ICH BESSER SEIN ALS DIE ANDEREN?

Wer beobachtet, was die Konkurrenz zum gleichen Ereignis veröffentlicht hat, kann seine eigenen Fähigkeiten und Herangehensweisen kritisch bewerten und vergleichen.

Mit Hilfe des Internets und der Möglichkeit, auf den verschiedenen Seiten der Bildanbieter wie Corbis, Getty, Fotofinder, Photopool oder Topixx nach Themen Bilder zu finden, lässt sich wunderbar sehen und einschätzen, was die Kollegen alles fotografieren und vor allem, wie! Niemals war es einfacher als heute, die Konkurrenz kennenzulernen und sich zu überlegen, was man selbst besser und anders machen kann als die Anderen.

Eine interessante Quelle zur Inspiration sind die großen Fotocommunities und Fotoblogs im Internet. Hier finden sich nicht nur jede Menge interessanter Bilder engagierter Fotoamateure, sondern auch jede Menge interessanter Tipps, wie diese Bilder entstanden sind.

Was nützt die schönste, modernste und tollste Fotoausrüstung, wenn die Kamera im Ernstfall zu Hause oder im Kofferraum des Automobils liegt. Früher gab es Kollegen, die erst beim Termin den Film einlegten, da hatte man eventuell schon die schönsten Bilder verpasst.

Im Journalismus ist es wichtig – gerade für Fotografen – immer vorbereitet zu sein. Wenn etwas Interessantes passiert, muss man schnell reagieren können. Wer sich überlegt, »jetzt ist Feierabend und die Ausrüstung brauche ich erst morgen früh um 11 Uhr wieder«, sollte seinen Berufswunsch »Journalismus« lieber noch einmal überdenken und sich fragen, ob der Job bei der Landesbildstelle nicht für die eigene Lebensplanung geeigneter wäre.

DAS ANGEMESSENE AUFTRETEN

Eigentlich sollte dieses Thema selbstverständlich sein, das wahre Leben lehrt aber aus Erfahrung, das es an der »guten Kinderstube« durchaus hapert. Aus meiner Erfahrung sind viele Fotografen zwar technisch gut auf ihre Aufgaben vorbereitet, das Outfit lässt aber zu wünschen übrig.

Viele Fotografen sehen aus, als seien sie geradewegs aus dem Dschungelcamp zum Termin gekommen, andere erwecken den Eindruck, als hätten sie auf dem Weg zum Fußballtraining zufällig eine Kamera in die Hand genommen, um noch schnell ein Bildchen zu knipsen.

Wer als Fotoreporter ernst genommen werden möchte und sich auch Respekt verschaffen will, sollte sich Gedanken darüber machen, wie er sich in seinem Umfeld bewegt und wie er sich anpassen kann. »Kleider machen Leute«, diese alte Redensart gilt ganz besonders auch im Journalismus. Zum Beispiel, wenn der Ressortleiter und Chefredakteur gemeinsam zum Interview mit dem Bürgermeister auch einen Fotografen mitnehmen.

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Dirk Zimmer
infizierte sich mit dem Fotovirus 1972, erhielt früh zwei Auszeichnungen beim Deutschen Jugendfotopreis, war Volontär bei Keystone und in der dpa-Bildzentrale in Frankfurt/M. Seit 1979 Bildredakteur, zunächst in einer Bildagentur dann bei einer Zeitung. Seit 1989 Redakteur in der Bildredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.