Magazin #19

Am Beginn der Zukunft

Gesichter, Gegenstände, Gebäude: Die fotografische Optik in Wirtschaftspublikationen bewegt sich im engen Rahmen von Porträts, Produktbildern und Hausfassaden. Über selbst gesteckte Grenzen und die Angst vor dem Bild, gebremsten Einfallsreichtum und das Fotografieren virtueller Welten.

Text – Kay Dohnke

Medien-Genesis – kurze Version. Am Anfang war die Erde wüst und leer, und die Wirtschaftsblätter bestanden nur aus Aktienkursen und Handelsregisterauszügen. Dann wurde die Kamera erfunden, auf dass die Leser nun Konzernchefs und Industriekapitänen ins Antlitz schauen sollten. Und schließlich zeigte man noch deren Firmensitze und Produkte, denn die Fotos davon lieferten Bildagenturen und PR-Abteilungen der Unternehmen gern in großer Zahl. Und natürlich von Banken.

Irgendwie so wird sie angefangen haben, die Geschichte von der Rolle der Fotografie in bundesdeutschen Wirtschaftszeitungen, -magazinen und -beilagen. Und fast wäre damit bereits schon alles erzählt, gäbe es nicht ein paar etwas mutigere Blätter, die immer wieder einmal den Ausbruch aus der optischen Monotonie – der Dominanz von Porträts, Gebäude- und Produktfotos – wagen. Oder zumindest der allgemein üblichen Bildsprache Alternativen entgegensetzen. Nichtsdestotrotz: Fotografie spielt in den meisten auf Wirtschaft spezialisierten Periodika offenbar eine journalistische Nebenrolle und hat überwiegend dekorative, selten aber informative Funktion. Liegt es daran, dass Lombardsätze und Kursschwankungen, Wertberichtigungsbedarf und Dividendenausschüttung so schwer zu visualisieren sind? Oder wollen die Redaktionen ihre auf hieb- und stichfeste Fakten ausgerichtete Leserschaft nur mit Eye-catchern in den Text und an die Zahlen locken?

Wirtschaftsfotografie – oder präziser: die Fotografie in Wirtschaftszeitungen und -magazinen – spielt als Informations- und Ausdrucksmittel im visuellen Wettbewerb mit der Bleiwüste aus Artikeln, Zahlenkolonnen und neuerdings Info-Grafiken oft eine merkwürdige ästhetische Nebenrolle. Ab und an ein Bild zu einer Geschichte gesetzt, irgendetwas, das halt (oder auch nur halb) zum Thema passt, und unweigerlich ein Porträt, wenn es um Menschen geht – nach diesen schlichten Rezepten wird landauf, landab die Optik vieler Wirtschaftspublikationen gestrickt.

BILDMIX VON DER STANGE

Legt man den Kopf schräg, verraten die Urhebercredits, dass es sich bei den Fotos gern um Agentur- oder PR-Material handelt. Bei Tagespublikationen wie der Financial Times Deutschland oder dem Handelsblatt mag nachvollziehbar sein, dass Bildnachrichtendienste aufgrund ihrer schnellen Logistik das Gros der aktuellen Fotos liefern. Und Agenturfotos müssen ja keineswegs mindere Qualität haben. Wenn aber auch die Magazine mit ihren längeren Produktions-Vorlaufzeiten immer wieder auf diese Anbieter, auf Stock-Material aus Bildkatalogen oder gar von Royalty-Free-CDs zurückgreifen, wird dem bequemeren und kostengünstigeren Weg der Vorzug vor einer eigenbestimmten Optik gegeben. Und tatsächlich: Visuelle Individualität ist selten anzutreffen – Stilbrüche, ewig gleiche Perspektiven, dutzendmal gesehene Motive dominieren.

Vielleicht halten die Redaktionen Fotografie tatsächlich für minder wichtig. Denn häufig wird gerade bei Magazinen ein struktureller Vorteil verschenkt: Sie könnten längere Fotostrecken bringen, in denen eine Bildsprache mehr Raum fände, als in nur einem einzigen Foto und noch dazu unter Aktualitätsdruck möglich ist. Doch nur selten räumen Wirtschaftsmagazine der Fotografie umfangreicheren Platz auf den redaktionellen Seiten ein, und selbst die Optik ausführlicher Feature-Artikel wird gern aus unterschiedlichsten Bildquellen zusammengestückelt. Fotos gelten offenbar nur als Beiwerk zum Text – so tüpfelt man denn ein bisschen Buntes auf die Seiten, aber Engagement ist dabei kaum erkennbar. Und von Aktualität findet sich selten eine Spur.

DAS GESICHTERMEER

»Namen sind Nachrichten.« So lautet – neben »Zahlen sind Nachrichten« – der zweite Grundsatz des Wirtschaftsjournalismus. Und Namen sind Leute, Leute sind Gesichter, weshalb sie immer wieder und so oft gedruckt werden: Porträts der Entscheidungsträger und Fusionsverlierer oder Bösewichte und Querulanten, je nachdem, wohin das Pendel ausschlägt und wie die ökonomischen Karten gerade gemischt werden. Immer wieder wird man Zeuge, dass die Umwertung der Werte in diesem Bereich schnell vonstatten gehen kann.

Da sind sie also, die CEOs, Vorstandsvorsitzenden, Wirtschaftspolitiker, über deren Tun und Lassen zu berichten ist. Sie ins Bild zu rücken – und noch dazu ins rechte! – ist keineswegs einfach. Natürlich kann auf Presseterminen frei drauflosgeknipst werden, doch geben sich die Herren (!) dort meist etwas steif – zu viele Kameras, zu wenig Kontrolle über die Bilder. Und schließlich stehen Namen und Gesichter für Firmen und Produkte, für eine Corporate Identity, die nicht nur per Logo und Briefkopf transportiert, sondern auch in der optischen Präsentation der »Mächtigen« vermittelt werden soll. Der Habitus der Person repräsentiert das Selbstbild und Selbstverständnis des Unternehmens.

Doch überall lauern Gefahren: Eine unbedachte Haltung, ein falscher Blick, und schon ist der sorgsam geplante Image-Aufbau gefährdet. Also wird – wo beredte Körpersprache oder Mimik Engagement signalisieren könnte – lieber stereotyp geguckt, gestikuliert, geübte Pose eingenommen; Hauptsache, die Antworten auf Journalistenfragen sind zitierfähig, aber die kann man ja leicht auswendig lernen. Und immer hübsch vor dem als Kulisse angebrachten großen Firmenemblem geblieben! Denn das muss mit aufs Bild. Es ist für die Kolleginnen und Kollegen auf solchen Terminen wirklich nicht einfach, originelles Material zu erarbeiten

VOM GEHEN AUF DÜNNEM EIS

Doch kann man irgendwie verstehen, dass die Porträtierten eine Scheu vor ungewöhnlichen und vor allem symbolischen Posen haben – jedenfalls den nicht inszenierten. Seit es mit dem Kirch-Imperium bergab ging, haben wir keinen fröhlichen Filmmogul mehr zu sehen bekommen, mochte er noch so sehr in die Kameras gelächelt haben. Und auch das öffentliche Bild eines Hartmut Mehdorn hängt stärker von der Pünktlichkeit der Züge und den Korrekturen des Preissystems ab als von der Beleuchtung während des Fotoshootings. Symbolische Wirkung haben also auch die Fotos aus dem Gesichtermeer, mitunter erst spontan vom aktuellen Kontext definiert (und alle Agenturen legen gern weniger fröhlich strahlende Porträts auf Halde, um im richtigen Moment auf ökonomische wie politische Konjunkturschwankungen und persönliche Abstürze reagieren zu können).

Und das verursacht Unsicherheiten. Ängste sind bei den zu porträtierenden Wirtschaftsmenschen – jedenfalls denen mit geringer Kameraerfahrung – deutlich spürbar. Die hat der Fotograf beim individuellen Termin dann sowohl aufzufangen als auszubaden. Er muss einen psychologischen Balanceakt absolvieren, um sein Gegenüber zu einer unverkrampften Pose, einem nicht einstudierten oder nachgeahmten Blick und einer Haltung zu bringen, die ohne Telefon in der Hand oder nachdenkerisch aufgestütztes Kinn auskommt. Denn von solchen Bildern – stereotypen Manifestationen vermeintlicher Stärke, ja Macht – gibt es bereits mehr als genug.

»Fotografieren Sie modern!«, lautet immer wieder gern das Stichwort des Auftrag gebenden Bildredakteurs (und ist oft schon das ganze Briefing). Das erweist sich bei knappen Terminen als schwierig, klappt deutlich besser, wenn mit ausreichend Zeit Imagebroschüren erarbeitet werden, sich die Herren Unternehmer also bereitwilliger auf die Fotografen einlassen. Wirtschaftsblätter nutzen Pressestellen gern als Bildquelle, und da viele Firmen in letzter Zeit gesteigerten Wert auf die Selbstdarstellung legen, geht die Quote qualitativer Fehlschläge langsam zurück. Auch im kleinsten Betrieb hat man inzwischen davon gehört, dass die PR-Bilder schon etwas mehr hermachen müssen als schlicht Selbstgeknipstes.

GEBREMSTE BILDKRAFT

Das Fotoangebot wird also wenn auch noch nicht gerade innovativ, so doch qualitativ besser. Und gewiss gibt es in den Bildredaktionen auch kreative Köpfe, die ihre Ideen gern von den Fotografen umsetzen lassen würden. Doch es müssen nicht primär finanzielle Aspekte sein, die den Rückgriff auf die vorkonfektionierte Optik nahelegen. Denn manchmal – aber das spricht niemand so deutlich aus – fesselt der Art Direktor dem Bildredakteur die Hände. Und den wiederum hat längst sein Chefredakteur an die Kandarre genommen. Denn der ist oft dicht dran an den Playern in Wirtschaft und Industrie, fühlt sich nicht nur beteiligt an, sondern sogar ein bisschen verantwortlich für deren Darstellung in der Öffentlichkeit. Mögen sich die Herren in ihren firmenoffiziellen Druckerzeugnissen auch unkonventionell, modern präsentieren – zumindest bei den konservativeren Wirtschaftsredaktionen regiert oft die Vorsicht, nur ja niemandem zu nahe zu treten, nur ja alle vermeintlich bedeutenden Köpfe so vorzuführen, wie es den PR-Abteilungen der Unternehmen gefallen müsste.

Denn man hat ja weiterhin miteinander zu tun und möchte nicht verantwortlich sein. Falsche Zahlen wären korrigierbar, doch der »falsche«, also offiziellerseits unerwünschte Eindruck, den ein Foto machen könnte – der kann in keiner Richtigstellung gerade gebogen werden. Bilder prägen sich denn doch tiefer ein als Zahlen. Also lieber die Macht der Fotos beschnitten, etwas Glattes ins Blatt gehievt; man will ja nicht provozieren oder gar Einfluss nehmen. Fast scheint es, als säßen die Personality-Berater der Industriekapitäne oder auch nur der Mittelstandsunternehmen manchmal direkt in der Chefredaktion des einen oder anderen Wirtschaftsmagazins.

ZWISCHEN BLEIWÜSTE UND VISUELLER EINÖDE

Wird also bei den Machern sorgsam bemüht darauf geachtet, die Funktion der veröffentlichten Bilder weitgehend zu beeinflussen, erstaunt im Gegensatz dazu die große Gleichgültigkeit, mit der die Objekte der weltweiten Ökonomie der Öffentlichkeit visuell dargeboten werden. Hier zeigt sich seit Jahrzehnten dasselbe Bild: Wirtschaftsblätter bedienen sich bei der Illustration eines schmalen fotografischen Grundrepertoires – Gebäude und Gegenstände werden gezeigt, ab und zu variiert durch Gegenstände und Gebäude. Oft wiederholte Motive, längst verbrauchte Ideen, stereotype Perspektiven und der hilflose Griff ins Archiv erzeugen visuelle Monotonie.

Manche Druckerzeugnisse zum Thema Wirtschaft bleiben in einem engen Spektrum optisch-illustrativer Möglichkeiten verhaftet. Schreibt der deutsche Außenhandel eine Erfolgsbilanz, werden Schiffe oder Container abgebildet. Passiert was an der Börse, taucht als Artikelillustration der berühmte Bulle aus Bronze auf, oder man sieht einen Broker mit mindestens drei Telefonen. Und gibt es keine konkreten Fotos, wird halt auf Symbolisches zurückgegriffen. Wer den Mut und die Geduld hat, sich dieses Trauerspiel über längere Zeit anzuschauen, stellt fest, dass dieselben Fotos sogar wiederholt abgedruckt werden.

Aber soll man wirklich zum x-ten Mal das Straßenschild der Wall Street zeigen? Oder Kreditkarten? An derlei Fotos herrscht kein Mangel, und es lässt sich damit das momentane Bebilderungsproblem vordergründig ja auch lösen – zumal bei redaktionellem Zeitdruck. Den ungeschmälerten Bedarf an solchen Standards erkennt man daran, dass auch anspruchsvolle Bildagenturen derlei Zeugs in ihrem Angebot haben, wenn auch fotografisch etwas kreativer umgesetzt.

Aus kritischer Distanz zeigt sich aber schnell, wie unbefriedigend das eigentlich ist. Irgendwann sieht die ganze Blattoptik nicht mehr nach einem individuellen Konzept, sondern nur noch wie der Katalog einer Stock-Agentur aus – irgendwie unkonkret, unverbindlich, Ware von der Stange. Der Publikation durch eine eigene Bildsprache einen unverwechselbaren Charakter, ja eine visuelle Identität zu geben, scheint den meisten Redaktionen mittlerweile (oder schon immer?) ein fremder Gedanke zu sein. Vom Berufsethos her mag es schwer nachvollziehbar sein, warum Bildredakteure die Regie über den visuellen Auftritt aus der Hand geben – der reale (oder vermeintliche) Kostendruck erklärt aber vieles.

EHRLICHKEIT – ENTBEHRLICH

Doch es kommt noch schlimmer. Nicht selten sieht man Fotos, die inhaltlich mit der zu bebildernden Meldung rein gar nichts zu tun haben, also – streng genommen – lügen. Das ist nicht Schuld des Fotografen, sondern Resultat eines Bildverständnisses, dem es auf den tatsächlichen Inhalt nicht ankommt. Natürlich ist dieser Trick meist kaschiert, indem vordergründig die Inhalte von Text und Foto miteinander korrespondieren, aber sie tun eben nur das; tatsächlich wird in solchen Fällen lediglich eine Stimmung erzeugt, ein »So ähnlich könnte es aussehen, wenn wir denn einen Fotografen hinschicken würden« aufgebaut – bereitwillig verschluckt wird der Zusatz »was wir aber nicht tun!«. Da mag man es noch mit einem verwunderten Stirnrunzeln abtun, wenn eine Meldung über die ökonomische Entwicklung in Indien mit dem Taj Mahal illustriert wird (Ikone! Keine weitere Erklärung nötig!) – also Sein und Schein deutlich auseinanderklaffen – und eine Notiz über Insektizidproduktion mit dem Foto roter Baumwollwanzen (auch wenn es um selbige ebenfalls gar nicht ging). Man setzt auf das optische Signal, nicht aber auf die durch das Foto vermittelte Information, und das lässt sich leicht mit billig zu recycelnden optischen Elementen erreichen. »Bild muss sein«, gewiss – aber es darf denn offenbar doch ein x-beliebiges sein.

Komisch ist nur, dass die Leser, die Betrachter das so geduldig hinnehmen. Ist ihnen nicht wichtig, was da über die Wirtschaft berichtet wird? Denn noch gehören ja Text und Bild als Informationsträger irgendwie zusammen. In anderen Bezügen wäre dieser nachlässige Umgang mit Fotos zweifellos unmöglich – wehe, wenn das veröffentlichte Foto eines Fußballspiels aus einem ganz anderen Match stammte! Oder ein neuer Rekord mit irgendeinem willkürlich gegriffenen, aber älteren Bild des Athleten illustriert wäre! Doch auf den Wirtschaftsseiten der Printmedien dieses Landes stört sich kaum jemand daran, dass zu Texten und Meldungen schnell organisierte, nur äußerlich passende Fotos gesetzt werden.

Produkte statt Politik

Trotz aller Mühen – eines umgeht man beim Rückgriff auf optische Ready-mades nur schwerlich: politische Festlegungen. Denn auch ohne Bildunterschriften können Fotos eine deutliche Sprache sprechen. Leere Getränkedosen im Wald sind Öko-Sünde, dieselben Einweggebinde – hübsch eingeengt auf einem Häufchen fokussiert – sind Rohstoff, Wirtschaftsgut. Und auch Windkraftanlagen lassen sich mal als Landschaftsverschandlung, mal als technische Wunderwerke mit hoher Ästhetik fotografieren. Die Gegenstände kennen wir natürlich, erfahren nun aber unvermeidlich mehr über die Haltung der Redaktion. Die Perspektive macht’s: die optische der Kamera und die politische des Fotografen bzw. des Bildredakteurs.

Da Wirtschaftsblätter aber ein möglichst breites Publikum ansprechen wollen, bleibt die Optik besser brav und unverbindlich. Und ehe man einen Fotografen mit exaktem Briefing rausschickt, wird lieber in das schon vorhandene Bildreservoir gegriffen. Das Blättern im Agenturkatalog macht die Optik genauer kalkulierbar, als wenn ein Fotograf erst kurz vor Redaktionsschluss neue Aufnahmen vorlegt. Und wenn das Foto schon unkonkret bleibt, lässt sich mit der Bildunterschrift die gewünschte Zuordnung – oder Interpretation – bewerkstelligen. Zudem liefern auch viele Firmen bereitwilligst druckfähige Fotos. Doch hier lauern Fußangeln: Was früher ehrlich »Werksfoto« hieß, bekommt nun das Kürzel »PR« um 90 Grad gestürzt an den Bildrand gesetzt. Ebensogut könnte dort oft auch »product placement« stehen. Raum im redaktionellen Teil eines Wirtschaftsblattes lässt sich erstaunlich leicht für den Preis eines Gratisfotos kaufen.

CONTENT DER OPTIK

Aber dann kam das Internet, und seither soll ja alles anders sein. Neues Medium, neue Wirtschaft – neue Fotografie? Doch wie setzt man mit der Kamera etwas Unsichtbares ins Bild? Wie bringt man Sinnlichkeit in etwas Non-Haptisches, Gegenständlichkeit in etwas Virtuelles?

Die wachsende Bedeutung des Internet für das Wirtschaftsleben und das Entstehen der New Economy stellt Art Direktoren, Bildredakteure und Fotografen gleichermaßen vor eine Herausforderung. Was da als innovative Revolution ökonomischer Mechanismen daherkommt, soll adäquat abgelichtet werden. Aber konnte man denn bislang »Wirtschaft« fotografieren? Es waren schon immer eher die Macher, ihre Standorte und Produkte, die auf den Bildern zu sehen waren – und das aber ist auch bei E-Commerce und Börsen-Hype gleich geblieben. Ob »Wertzuwachs« oder »Kapitalvernichtung«, »Datenautobahn« oder »Gewinnwarnung«, virtuelle Dinge waren – optisch – schon in der Old Economy die Domäne der Symbol-Fotos.

Mal ehrlich: Da gibt es nichts Greifbares, kein abzulichtendes Objekt; Fotografie kann auch hier allenfalls »umschreibend visualisieren«. Aber es müssen ja nicht gleich Screen Shots, Container oder der bekannte Bulle sein. Wenn also die Gegenstände schon potenziell gleich geblieben sind, wäre eine modernere Bildsprache um so wichtiger. Eigentlich bekannte Themen können mit neuen Motiven bebildert, aus anderen Perspektiven aufgenommen werden. Großformate, Extrem-Schnitte, Arbeit mit Unschärfe, Close-ups, verfremdeten Farben – was innovative Magazine wie Brand eins zeigen, setzt optisch kreative Kontrapunkte zur Visualität traditioneller Wirtschaftsblätter.

Neben der Höherbewertung von Fotografie gibt es Neuansätze auch in deren Präsentation. Mit deutlich anderer Aufgabe tritt unterstützend die gesamte Blattgestaltung hinzu. Weil es zu wenig »neue« Fotos gibt? Weil man für moderne Fotografie ein anders layoutetes Umfeld braucht? Nein – weil man Ökonomie anders sehen, anders zeigen will und gleich ganz andere Heftkonzeptionen einführte.

NEUE RAHMEN FÜR NEUE BILDER

Zwei Spalten statt vier und leere Fläche; nicht mehr jeder kleine ökonomische Windhauch wird vermeldet, viele Namen werden nicht zur Nachricht. Der Verzicht auf die traditionellen Sammelsurium-Rubriken, den optisch oft diffusen Flohmarkt der Klein- und Nebenmeldungen mit Bildern im Briefmarkenformat macht – zehnmal jährlich beispielsweise von Brand eins vorgeführt – ein erstaunlich klares Heft möglich. Auch bei Wirtschaftspublikationen herrscht der Trend zum Zweitblatt, und wenn das erste schon sekundär Bedeutendes in Hülle und Fülle bringt, darf das andere gern in jeder Hinsicht anspruchsvoll Hintergründe präsentieren, darf zeigen und erzählen und sich durch die Selektion der Themen profilieren.

Eine Zeitlang schien wirklich Aufbruchstimmung zu herrschen: Neue Blätter entstanden, in Sachen Bildsprache, Perspektiven, Motivwahl spürt man einen frischen Wind. Eine modernere Optik begann sich zu etablieren, und wenn sie auch keine Trends setzte, zeigte sie doch einem gar zu schmalen Spektrum Alternativen auf. Bewegung tat da schon lange not. Ob Business 2.0, BIZZ, Net Investor oder wie auch immer die innovativen Blätter geheißen haben mögen – die Neuansätze fanden im drastischen Rückgang des Anzeigenvolumens ein jähes Ende.

Die Fotografie der Wirtschaftsmagazine ist – wie deren gesamte Optik – stark zielgruppenbezogen. Dem konservativen Shareholder mit einem von F.A.Z. und der Tagesschau im Ersten konditionierten medialen Wahrnehmungshorizont dürfte ein Magazin wie Brand eins zu modern, dem MTV-sozialisierten Start-up-Manager Wirtschaftswoche und Handelsblatt zu traditionell sein. Doch die auf Wirtschaft ausgerichteten Printmedien diversifizieren sich, und ohne Verdrängung tradierter Seh-Weisen kommen neue hinzu. In der Wirtschaftspublizistik hat die Zukunft eben erst begonnen. Auch visuell.

Wirtschaftsfotografie ist ein Praxisbereich mit großen, bislang nur zaghaft ausgeschöpften kreativen Potenzialen – oft fehlt es nur am Mut der Redaktionen, hier größere Schritte zu tun. Oder wird die Visualisierung von »Wirtschaft« inzwischen doch zur Domäne der Info-Grafiker und Illustratoren? Die zunehmende Zahl gezeichneter Titelbilder etwa der Wirtschaftswoche könnte darauf hindeuten. Aber das wäre dann eine ganz andere Geschichte.