Magazin #23

Auf dem Weg zum Bildermonopol?

Weltweit ist die Szene der Stockfoto-Agenturen in Bewegung – es herrschen harte Akquisitions- und brutale Verteilungskämpfe. Maßgeblich beteiligt: die drei Big Player Getty, Corbis und Jupiter Images.

Text – Stefan Hartmann

Nun, in weltweitem Maßstab betrachtet gibt es eigentlich nur einen Big Player: Getty Images. Mit 733 Millionen Jahresumsatz, an der Stock Exchange New York börsennotiert, führend auf nahezu allen nationalen Märkten. Die Nummer zwei – Corbis, im Privatbesitz von William Gates III – fällt mit 228 Millionen Dollar Umsatz schon merklich ab. Der Spätstarter Jupiter Images gehört streng genommen nicht mehr in diese Klasse, macht aber durch eine offensive, aggressive Kaufpolitik von sich reden.

Sicherlich, die aktuelle Akquisitionswelle der drei US-Agenturen ruft erneut die alte Sorge vor einer Monopolisierung des internationalen Bildmarktes wach. Auf die Frage, wie weit quasi monopolartige Strukturen auf einem Markt funktionieren können, der auch und vor allem von Kreativität lebt, hätte man vor drei bis vier Jahren noch ins Feld geführt: Kreativität lässt sich nicht monopolisieren, und solange es Fotografen gibt, wird es auch neue Bildagenturen geben, die noch nicht zu den Konzernen gehören. »Ein Monopol auf Kreativität«, so schrieb mir vor Jahren Gettys CEO Jonathan Klein, »kann es nicht geben«. Das ist bestimmt richtig – aber Klein verriet damals nur die halbe Wahrheit. Was wir naiven Menschen nicht verstanden hatten: Das Oligopol entsteht nicht auf der Ebene der Kreativität, der Produktion guter Bilder, sondern auf der Seite ihrer Vermarktung!

Das Monopol entsteht in den Köpfen der Käufer. Die Zahl der Marktplätze, auf denen das Gros der Rechercheure zu suchen bereit ist, ist deutlich limitiert. Es werden fast schon reflexartig auf der Computer-Tastatur immer die gleichen Adressen zuerst eingetippt. Hier bildet die Bilderbranche keine Ausnahme gegenüber den sonstigen Web-Industrien. In keinem Bereich der Wirtschaft haben sich in nur wenigen Jahren solch starre Strukturen herausbilden können wie im World Wide Web. Nehmen wir als Parallelen den Buchhändler Amazon, das Versteigerungshaus eBay, die zunehmende Dominanz von Google. Was Goggle nicht aufzeigt, ist nicht länger präsent…

Aus dieser Perspektive der Marktkontaminierung heraus, die mit der Inbesitznahme der Tastatur beginnt, haben die beiden amerikanischen Big Player unterm Strich unternehmerisch alles richtig gemacht. Man kauft Content (und die Konkurrenz) vom Markt weg, radiert die einzelnen Labels aus, installiert eine Dachmarke und schiebt alles unter einer Adresse auf eine Internet-Plattform. Meuternde Fotografen kann man aussortieren – kein Problem bei der Masse an Content –, und den in den USA eigens als Anti-Getty-Verein gegründeten Fotografenverband Stock Artists Alliance (SAA) bringt man durch Umarmung zum Schweigen. Eigens richtete man ihm ein Plätzchen auf der Getty-Plattform ein, auf dem die Fotografen ihr Material selbst editieren und anbieten können.

Alle sind zufrieden.

GLOBALISIERUNG ALS EINBAHNSTRASSE

Man kann weitere Fragen stellen: Wie kommt es, dass die Globalisierung des Bildmarktes zur reinen Einbahnstraße geworden ist? Was sind die Gründe dafür, dass seit nunmehr zehn Jahren die Kaufbewegungen fast ausschließlich von den USA in Richtung Europa ausgehen – und niemals umgekehrt? Sicher, manchmal kaufen auch deutsche oder britische Agenturen andere deutsche oder britische Agenturen auf. Aber die wirklich schwergewichtigen Akquisitionen finden auf der Dollar-Ebene statt. Über die Gründe mag man spekulieren: ein prinzipiell aggressiveres Management, das unternehmerfreundlichere Urheberrecht, die deutlich leichtere Erreichbarkeit von Risikokapital. Mag auch die echte Begründung fehlen – das Faktum dagegen steht.

Bis vor ein, zwei Jahren waren Getty Images und Corbis die einzigen Big Player, die von Seattle aus – beide haben ihre Hauptquartiere in derselben Stadt – auf Einkaufstour gingen. Verschärft wird die Situation nun durch das Auftauchen eines neuen, sehr aggressiven Players: Jupiterimages, der mit einem fast unglaublichen Tempo Bildagenturen und Royalty- free-Distributoren übernimmt. Rund ein Dutzend innerhalb nur eines Jahres.

Um einen Blick für die Dimensionen des Business zu bekommen und einzuschätzen, um welche Summen es geht:

Jupiter – das deutlich schwächste der drei Unternehmen – kann man immer noch in der Gewichtsklasse »Kampfkasse = 130 Millionen Dollar plus X« einordnen. Und mit diesem Geld wird das Einkaufskörbchen gefüllt: Creatas für 38 Millionen Dollar, PictureArts für 63 Millionen, Goodshoot für 10 Millionen, Banana Stock für 19 Millionen. Macht Summa summarum 130 Millionen Dollar. Bei den letzten Akquisitionen verschwieg man dann die Kaufpreise.

BANKIERS UND ZINS, AKTIONÄRE UND DIVIDENDE

Wo kommen diese Dollars her? Von Aktionären und Investment-Banken. Doch die Frage bleibt: Wie sollen alleine die Zinsen für das Venture Capital ohne krassen Verdrängungswettbewerb eingesessener Agenturen refinanziert werden? Bänker wollen Zins und Tilgung, Aktionäre kennen nur Dividende.

Bei sinkenden oder stagnierenden Preisen pro Einzelbild – das ist nun einmal die aktuelle Realität – funktioniert das nur, wenn jedes Foto häufiger genutzt, wenn das Motiv auf mehreren nationalen Märkten parallel verkauft wird. Dazu muss der Bildanbieter auf dem internationalen Markt präsent sein. Via Online-Business oder durch die Akquisition von Konkurrenten, die bereits über gute Vertriebsstrukturen verfügen. Um ein Foto gewinnbringend zu verkaufen, muss man zuerst eine erfolgreiche Bildagentur aufkaufen. Das tut Jupiter-Chef Alan Meckler nun. Und darin liegt auch die Problemstellung eines solchen Newcomers. Während die Etablierten nur noch Content kaufen – sie haben ja ihre Sales-Departements –, muss Jupiter mit seinen Dollars zweigleisig fahren: Bildermengen sammeln und im gleichen Atemzug Vertriebsstrukturen übernehmen.

Trotz einer kleinen Niederlassung in Starnberg bei München hat Jupiter Deutschland noch nicht wirklich erreicht. England und – hier wird es wirklich interessant – Frankreich sind die bisherigen Tummelplätze für die Aufkäufe. Meckler – von Hause aus Historiker – scheint die Situation in Europa sehr gut analysiert zu haben: Unsere Nachbarn sind das einfachste Einfallstor nach Europa. Technisch eher konservativ, bei der Digitalisierung rückständig, dominiert von dem sehr behäbigen Konzernriesen Hachette Filipacci. Diesem gehören zwar neun Agenturen – darunter die renommierte Pressebild-Agentur Gamma oder die Stock-Agentur Hoa Qui –, der Mediengemischtwarenladen kann aber kaum besonderes Engagement für seine Bildersparte aufbringen. Denn eigentlich wollte Hachette manche seiner Bildagenturen auch gar nicht unbedingt haben.

Die Übernahme von Gamma war eher ein Deal mit der französischen Politik vor dem Hintergrund der US-Aufkäufe. Als Corbis-Chef Steve Davis vor fünf Jahren die französischen Pressebild-Agenturen Sygma plus Kipa und Tempsport im Handstreich übernahm, ging eine Welle der Entrüstung durch Frankreich. Die Sygma-Fotografen hatten damals mit Streiks und Appellen die Öffentlichkeit mobilisiert, nationale Töne angestimmt, dass die Grande Nation – die doch Fotografie und Fotojournalismus überhaupt erfunden hätte – nun auf der Ebene dieser genuin französischen Kulturgüter von den Amerikanern ausgeplündert würde.

SICH GEGENSEITIG IN SCHACH HALTEN

Bei der gleichfalls taumelnden Agentur Gamma sollte dies nicht noch einmal passieren, also musste ein französischer Konzern die Presseagentur übernehmen. Widerstrebend stimmte Hachette zu. Als allerdings kurz darauf auch die dritte der äußerst ineffektiv operierenden französischen Presseagenturen, Sipa Press, zum Verkauf stand, stellte sich Hachette quer. Sipa ging an den Pharma-Mogul Pierre Fabre, der daran interessiert war, in Südfrankreich mit Tageszeitungen und Radiostationen einen Medienkonzern aufzubauen. Natürlich gibt es für solche Deals niemals eine konkrete Bestätigung, aber Fabre hat zur Belohnung seines Engagements im Falle der hochverschuldeten Sipa wohl Vergünstigungen wie Rundfunkfrequenzen mit deutlich verbesserter Reichweite erhalten.

Vor dem Hintergrund dieser französischen Situation konnte Jupiter mit dem Kauf von drei bis vier strategisch gut positionierten Agenturen und RF-Distributoren enorme Marktanteile für verhältnismäßig wenig Geld hamstern und einen der europäischen Kernmärkte im Stockbereich massiv angreifen.

Doch selbstverständlich trifft Meckler auch in Frankreich auf seine beiden Hauptkonkurrenten Getty und Corbis. Diese – und nicht etwa die alt eingesessenen Agenturen – werden wohl auch den limitierenden Faktor für Mecklers Eroberungspläne bilden. Denn die beiden werden ihr Material aus den von Jupiter gekauften Vertriebsschienen so schnell wie möglich zurückziehen, was zu schmerzlichen Umsatzeinbrüchen bei den Jupiter-Unternehmen führen wird.

Dennoch können wir davon ausgehen, dass der amerikanische Newcomer bald auch in Deutschland eine der maßgeblicheren Bildagenturen übernehmen wird – fragt sich nur, welche. Doch die Auswahl ist bekanntlich ja nicht mehr allzu groß.

Denn die verbliebenen Sahnestücke der europäischen Agenturen lagen ohnehin – ohne PhotoAlto in Frankreich oder age in Spanien allzusehr unrecht zu tun – in England. Bei den Royalty-free-Agenturen auf den Inseln hat man im letzten halben Jahr verstärkt aufgeräumt: Getty übernahm den Star unter den RF-Agenturen, Digital Vision. Corbis zog – wenngleich eine Nummer kleiner – mit Image100 nach. Jupiter bekam Banana Stock. Nun übernahm Getty vor einigen Tagen auch noch die irisch-englische Agentur Stockbyte. Offiziell wurde der Kaufpreis von 135 Millionen Dollar in Cash genannt. Für die britische DV hatte man zuvor 165 Millionen investiert.

Der Hintergrund ist klar: Gettys CEO Jonathan Klein geht von einem steigenden Marktpotenzial des RF-Segmentes (inklusive steigender Preise) aus und sucht sich über die Akquisition – nicht zuletzt auf den europäischen Märkten – zu positionieren. Dass es um Gettys eigenes RF-Label Photodisc in letzter Zeit etwas ruhiger geworden ist, mag da als Grund hinzu kommen. Und Corbis musste kaufen, denn sein Royalty-free-Arm – dies räumte CEO Steve Davis auf einer Konferenz kürzlich ein – ist wahrlich schwach. Also kauft man hinzu.

NEUE BUSINESS-MODELLE

Aber es wäre zu billig, einfach nur zu sagen: In Amerika, da gibt es halt das viele Geld. Denn aus dem Land der Dollars kommen auch die Ideen! Die Neuerungen, die innovativen Entwicklungen, die Europa und den Rest der Welt – immer zuerst nur auf Abwehr bedacht – in deutlichen Zugzwang bringen.

Neue Business-Modelle, die für die Bildkäufer durchaus attraktiv erscheinen können, erhöhen den Druck im Markt weiter. Reden wir nicht von den Royalty-free-Bildern, also jenem »alten« neuen Lizenzmodell, bei dem der Verkäufer ein ganzes, fast unbegrenztes Nutzungsrecht für das Bild einräumt. »Niemals werden wir uns an diesem Ausverkauf beteiligen«, tönte es dazu aus Deutschland. Doch mittlerweile tun es alle – mit eigenem oder mit fremdem Material.

Gemeint sind auch nicht jene Agenturen, die Fotos – oft von Laien aufgenommen – zu Niedrigstpreisen in den Markt drücken. Nein, der jüngste Coup, der über den Atlantik zu uns kommt, sind Subskriptions-Modelle, Fotos im Abonnement. Auch wenn die Motive nur selten 1-A-Ware sind und auch nicht die Super-High-Resolution-Auflösung haben, sie sind dafür sensationell günstig. Die Hamburger Agentur Avenue Images vertritt gleich fünf oder sechs dieser Abos, angeboten von Jupiter, Getty sowie der US-Agentur Index Stock. In Deutschland haben – bereits vor den Amerikanern – zwar Irisblende und der MEV Verlag solche Abomodelle entwickelt, richtig heftig geht es aber jetzt erst zur Sache. Photos To Go Unlimited beispielsweise bietet für 99 Dollar die freie Auswahl aus 55.000 Motiven – und der Preis bezieht sich auf das Halbjahr! Auch wenn pro Tag nur 25 Bilder heruntergeladen werden dürfen, ein Griff zum Taschenrechner zeigt: Bei maximaler Ausnutzung der Bedingungen kann man also 4.265 Motive für 99 Dollar ziehen.

GRIFF ZU PRESSEFOTOS

Bislang blieb die Skizze etwas stock-lastig, denn hier passierten in den letzten Monaten eben die gravierenderen Verwerfungen. Doch schwenken wir kurz hinüber zum Pressebild, denn Getty und Corbis engagieren sich seit einigen Jahren auch im aktuellen Bereich und suchen in den Sektor der Pressefotografie vorzustoßen – erstere sogar sehr erfolgreich.

Nehmen wir als Indikator den aktuell entschiedenen World Press Photo Award, den wohl renommiertesten global ausgeschriebenen Wettbewerb auf diesem Gebiet. Meines Wissens hat keine deutsche Agentur, kein Fotograf aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz in diesem Jahr einen Award – oder auch nur eine ehrende Erwähnung – erringen können. Selbst der traditionelle Platzhirsch des Wettbewerbs, Agence France Press, wurde diesmal durch die Fotografen von Getty Images geschlagen.

Wie kommt es aber, dass heimische Fotografen hier nichts mehr gewinnen? Weshalb kann man die internationale Jury nicht überzeugen? Trifft die Bildsprache den Trend nicht mehr, finden die Fotografen den richtigen Blick auf die Themen nicht, oder sind sie auch nicht mehr an jenen Brennpunkten präsent, wo es preisverdächtige Motive gibt? Auch wenn der World Press Photo Award 2005 nur ein einzelner Wettbewerb ist, sollte man sich diese unangenehmen Fragen dennoch stellen. Denn die Antworten haben etwas mit dem wirtschaftlichen Überleben, der internationalen Verwertbarkeit von Fotografie zu tun.

Nur zur Ergänzung: Eine gewisse Ironie liegt gar darin, dass ausgerechnet die beiden Agenturen, Getty und AFP, die so dominant beim Award 05 abgeräumt haben, seit einiger Zeit beim Vertrieb ihrer Bilder eine globale Marktallianz bilden…

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Stefan Hartmann
studierte Philosophie, Geschichte und Literaturwissenschaft in Karlsruhe und Heidelberg. Promotion in Wissenschaftstheorie und Ökonometrie über Wahrscheinlichkeit und mehrwertige Logik. Seit 1999 Chefredakteur der Fachzeitschriften Visuell und Visuell international.