Magazin #12

Bewegte Zeiten, bewegte Bilder

Digitalkameras und schnelle Handys, E-Paper, UMTS, Internet – eine sich rasant entwickelnde technische Welt. Dazu wird die Verschmelzung der unterschiedlichen Medien das Arbeitsfeld des Fotografen radikal verändern. Ein Blick in die Zukunft 

Text – Tracy Baker

David Turnley, Dirck Halstead und andere Fotojournalisten sind sicher – die Zukunft des Fotojournalismus liegt in der Bewegung – im bewegten Bild. Während Skeptiker angesichts von Zeitungssterben, Verlagskonzentration und dem immer weitergehenden Verschwinden großer Fotografie aus den Magazinen vom baldigen Tod des Fotojournalismus sprechen, empfinden Optimisten eine regelrechte Aufbruchstimmung, rechnen mit neuen Arbeitsfeldern und -möglichkeiten.

Digitalisierung ist weit mehr als nur die Möglichkeit, Bilder in Form von Bits und Bytes elektronisch zu übertragen. Fachleute erwarten in ihrer Folge die Expansion des Marktes für Bildmaterial in Bereichen mit gänzlich neuen Zukunftsperspektiven. Allerdings ist bewusst von Bildmaterial die Rede, denn der Markt – Zeitungen, Agenturen, Fernsehsender – wird neben Fotos vor allem Videomaterial fordern

»Media convergence«, die Verschmelzung verschiedener Medien, ist ein Phänomen, dessen Entwicklung sich im Internet, im World Wide Web und – vor allem in den USA mit seinen unzähligen Special-Interest-TV-Kanälen – beim Kabelfernsehen beobachten lässt. Wenn die Digitaltechnik erst Breitband-Kommunikation im Internet möglich macht, wird dieses Cross-Over aus klassischen und neuen Medien einen weiteren Schub bekommen. Elemente traditioneller Printmedien und des Fernsehens werden sich mit Elementen des text-orientierten Internets und des grafik-orientierten World Wide Web vermischen, prophezeihen Experten.

ABSCHIED VOM PAPIER

Mittlerweile sei sogar die große Frage, sagen manche Stimmen, wie lange es noch dauern wird, bis die Printmedien insgesamt gestorben sein werden. Hört man auf viele Zeitungs- und Magazinverleger, Manager, technische Berater und Digital-Gurus, so lautet die Antwort: »Schneller, als ihr denkt.«

Einer dieser Gurus ist Dan Okrent – kein cyberversessener junger Technik-Freak, sondern im Management des Time Magazine tätig und langgedienter Zeitungsmann. Der sollte wissen, wovon er spricht. »Die alten Medien bedeuten mir viel«, sagte er kürzlich in einem Vortrag an der Columbia University in New York. »Ich glaube, sie sind – nach Essen, Kleidung und Wohnung und nach unseren Beziehungen zur Familie und zu Freunden – die wichtigste Sache in unserem Leben. Und ich glaube noch etwas: Ich glaube, sie und alle Formen von Printprodukten sind tot. Erledigt. Aus.«

Okrent nennt auch den Grund dafür: Es ist – kein Wunder – das Geld. Bei ihren Bemühungen um radikale Einsparungen haben die Controller der großen Verlage längst den Bereich Druck und Distribution im Blick. Allein Time Magazine hat 1998 knapp ein Milliarde Dollar dafür ausgegeben, um Papier bedrucken und durch die Gegend transportieren zu lassen. Doch im Gefolge der Digitalisierung deutet sich hier bereits eine völlig neue und vor allem kostengünstigere Technologie an.

Konzerne wie IBM, Siemens und Rank Xerox arbeiten fieberhaft an der Entwicklung einer Kreuzung aus Empfänger und Monitor in Form einer papierähnlichen dünnen Folie, die man wie eine Zeitung mitnehmen, zusammenfalten, in die Tasche stecken kann. Auf diesem elektronischen Papier können flimmerfrei Texte gelesen und Bilder angeschaut werden. Funktionstüchtig entwickelt ist bereits »e-ink«, elektronische Tinte – eine Schicht digital veränderbarer Moleküle, die sich auf dem Spezialpapier befindet und aus denen sich nicht nur Schrift und Fotos arrangieren lassen. Irgendwann soll damit sogar die Darstellung bewegter Bilder möglich sein. Diese Pixel können sich von dunkler Farbe bis zum Weiß verändern, und wenn auf diese Weise erst einmal Videos auf dem elektronischen Papier völlig netz- und standortunabhängig präsentiert werden können, spätestens dann wird das bewegte Bild zum Standard. Die elektronische Zeitung, per täglichem Download über das Hochleistungshandy aktualisiert – und noch dazu mit integriertem Filmmaterial…

Via Mobiltelefon oder Modem werden – hundertmal schneller als mit heutigem ISDN – Breitband-Ströme von Daten übermittelt. Die Geräte können mit dem Internet kommunizieren, einem Internet, das bald in der Lage sein wird, in Realzeit Wörter, Bilder, Töne und Film zu senden. Die astronomischen Summen, mit denen derzeit in Europa die neuen Handy-Lizenzen der UMTS-Generation ersteigert werden, unterstreichen die künftige Schlüsselstellung rasend schneller Datenübertragung per Funk.

Eines Tages, sowie diese Technologie für einen Massenmarkt reif ist, wäre es sogar möglich, dass die großen Verlage diese »Empfangsgeräte« zu Spottpreisen oder ganz kostenlos abgeben. So wie die subventionierten Mobiltelefone heute für ein paar Pfennige erhältlich sind, wenn der Kunde einen Zwei-Jahres-Vertrag mit dem Service-Anbieter abschließt.

ZEITUNG IM NETZ

Die Verleger selbst sind für die Medienverschmelzung bereit. Eine der bekanntesten Zeitungen der Bundesrepublik, Die Welt, brüstet sich seit einiger Zeit mit ihrer »Modernität«, so Chefredakteur Mathias Döpfner, und dazu gehört die Offenheit gegenüber den Neuen Medien. Döpfner sagt, er fände die Perspektive journalistischer Arbeit in einer Welt aufregend, wo »Print und Online völlig verschmelzen«. »Das sind Szenarien, mit denen wir uns sehr realistisch auseinandersetzen«, sagte er kürzlich in einem Interview und fügte hinzu: »Ich bin gerne bereit, eine Zeitung zu machen, die nicht auf Papier gedruckt wird – mit dem allergrößten Vergnügen.«

Und das Vergnügen des Lesers am »Zeitunglesen« steigern bewegte Bilder. Daher illustrieren viele Zeitungen ihre Internet-Seiten schon jetzt mit Film- und Tonsequenzen – schnellere Datenübertragung wird deren Anteil rapide wachsen lassen. Manche Blätter wie der in Orlando, Florida, erscheinende Sentinel haben sich zusätzlich zur eigenen Website in Nachrichtensender eingekauft, die per Kabel verbreitet werden. Die Bild­journalisten des Sentinel produzieren nach Möglichkeit sowohl Fotos als auch Videos.

Allerdings: Wenn zwischen den beiden Medienformen gewählt werden muss, erhält der traditionelle Fotojournalismus immer noch die Priorität.

Das Konzept von visuellen Journalisten, der in naher Zukunft mit ein und derselben Kamera sowohl Fotos als auch Filmmaterial produziert, hat also offensichtlich Perspektive – wenn man nicht auf den zunehmend schmaler werdenden Markt für »herkömmliche« Fotografie beschränkt sein will. Vergleichbar ist diese Entwicklung mit einem vor Jahren erfolgen Umbruch: Dem von der Schwarzweiß- zur Farbfotografie. Auslöser war damals die ständig besser und billiger werdende Drucktechnik für Farbfotos. Natürlich ist das Schwarzweiß-Bild nicht verschwunden. Auch wenn Schwarzweiß-Fotos immer noch die wichtigsten Fotopreise bekommen – im Alltagsgeschäft spielten sie nur noch eine Nebenrolle. Verlust und Gewinn: Dafür haben sich inzwischen neue Farb-Ästhetiken entwickelt, die heute niemand mehr missen will.

BILDER DURCHS BÜNDEL

Ein weiterer Distributionsbereich für Videomaterial sind natürlich Fernsehstationen. Die ebenfalls digitale Übertragungsmöglichkeit von Programmen durch Glasfaserbündel hat die Zahl der kleinen Privatstationen vor allem in den USA, aber auch in Europa in die Höhe schnellen lassen. Am Ende der achtziger Jahre offerierten die drei großen amerikanischen Fernsehgesellschaften ihren Zuschauern jährlich 64.000 Stunden Programm. In den Neunzigern begann der Kabel-Boom, und binnen weniger Jahre waren es hunderte kleinerer Stationen, die pro Jahr über 2,5 Millionen Programmstunden boten. Sendezeit, die mit Bildmaterial gefüllt werden muss.

Inzwischen zeigen Studien, dass die Menschen – zumindest in Amerika – generell weniger Zeit vor dem Fernseher verbringen und immer mehr im World Wide Web. Wenn Breitband-Videoübertragung und digitale Sendesysteme die Norm geworden sind, wird der Computer – oder was auch immer seine Rolle als Empfänger digitaler Informationen einnehmen wird – die heutigen Fernsehgeräte verdrängen, behaupten Experten, etwa der ehemalige CBS-Berater Steve Nelson oder vom Magazin Wired. Zu jenem Zeitpunkt wird die mediale Verschmelzung Realität geworden sein, und die neuen Medien in der 500-Sendekanal-Welt werden einen unersättlichen Appetit auf Video­material haben – sei es im Bereich Nachrichten, Berichte, Sport oder Dokumentationen.

Immer mehr Kabelfernseh- und Internetprovider bieten umfassende Informationsdienste an. Multinationale Medienkonzerne wie Microsoft oder AOL – das gerade den amerikanischen Verlagsriesen Time Warner, Inc. geschluckt hat – beginnen auch im deutschen Kabel-Markt Fuß zu fassen, und wenn sie sich dort erst einmal etabliert haben, werden die aus Amerika bereits bekannten Entwicklungen auch hier um sich greifen. Da ihr Interesse an der Glasfaser-Infrastruktur ist groß ist, wollen alle beteiligten Firmen Milliardensummen investieren, um das ehemals der Telekom gehörende Netz zu einem Forum für interaktives Fernsehen und E-Commerce auszubauen.

ZUKUNFTSMUSIK?

Auch wenn die äußerlich scheinbar immer vielfältigeren Medien de facto immer weniger Konzernen gehören, müssen Zeitungen und Magazine, Websites und Sendeplätze mit Inhalt gefüllt werden. Dirck Halstead ist optimistisch: Die Summe der im Medienbereich durch die Digitalisierung hervorgerufenen Veränderungen könnten »enorme Möglich­keiten für Journalisten und Künstler« bedeuten, »ihre eigenen Publikationen zu kreieren und sogar online zu übertragen«, meint er. Bleibt abzuwarten, wie diese Zukunftsmusik klingt, wenn wir sie einmal täglich hören werden…