Magazin #17

Bilder auf Tournee

Zwei Stunden weite Welt – Dia-Shows erweisen sich immer wieder als Publikumsmagneten. Ein Blick auf eine unterschätzte Vermartungsstrategie für Reisefotos.

Text – Kai-Uwe Scholz

Sie radeln zum Nordkap, streifen durch den Big Apple oder paddeln den Amazonas hinab: Fotografen, die ihrem Publikum die Ferne vor Augen führen wollen. Im Winterhalbjahr touren sie dann als Dia-Referenten kreuz und quer durch die Republik, um aus randvollen Magazinen Multivisions-Feuerwerke ihrer Reisebilder abzubrennen. »Live-Dia-Show« nennen sich solche Veranstaltungen. Alljährlich im Herbst tauchen bunte Ankündigungs-Plakate auf Bauzäunen und leeren Schaufensterfronten auf – bevorzugt an bildungsbürgerliches Zielpublikum gerichtet.

Doch ist der Globus nicht längst zum Global Village zusammengeschrumpft, in dem Fernflüge nicht mehr die Welt kosten und sich Land und Leute auch in entlegensten Regionen live erleben lassen? Und werden selbst dem, der daheim bleibt, nicht über Dutzende Fernsehkanäle und zahllose Hochglanzmagazine Bilder von überall her ins Haus gebracht? Was also treibt die Menschen dazu, sich nach Feierabend, am Samstagnachmittag oder Sonntagvormittag für zwei Stunden in Bürgersälen, Stadthallen und Dorfgemeinschaftshäusern vor Großleinwände zu setzen?

Die Lust am Bilder gucken, Fernweh, Neugier. Auf geht’s, (fast) live »Zu den Söhnen des Windes« oder ins »Land der tausend Täler« – blumige Titel gehören zum Marketing der Dia-Shows offenbar dazu. »Poetische Spurensuche«, »Im Licht der Mitternachtssonne« und »Den Himmel berühren«: So nennen sich Vorträge über das Südliche Afrika, Nordskandinavien und Tibet von Kai-Uwe Küchler, einem dieser weltreisenden Fotografen. Oder »Wo der Wind wohnt«. Und tatsächlich, säuseln kann der sympathisch-zurückhaltende junge Mann aus Berlin gut. Mit sanft-sonorer Stimme begrüßt er sein Publikum, heißt es willkommen zur Fahrt in ein abgelegenes und fast verbotenes Land: Tibet.

»Einzigartige Bilder, poetische Texte und ausgefeilte Musikarrangements schaffen, kombiniert mit Originalgeräuschen, eine dichte Atmosphäre und unterstreichen das Konzept der Show als Gesamtkunstwerk«, heißt es hochzielend im Prospekt; passend dazu nennt Küchler sein Unternehmen Art & Adventure. Doch bevor das versprochene Leinwandabenteuer beginnt, möchte der »Reiseerzähler« von seiner Begegnung mit dem Dalai Lama berichten. Breit wird das Procedere dokumentiert: Küchlers Gesuch um den Interviewtermin, der Weg zum Wohnhaus im indischen Exilort, Warteräume – retardierende Momente steigern die Spannung. Endlich der Eintritt ins Allerheiligste. Freundlich und ganz »down to earth« kommt der würdevolle Mann dem Besucher entgegen. Doch ehe Küchler mehr als zwei Fragen loswerden kann, ist die Begegnung schon vorbei. Ergebnis: Alltäglichkeiten und Allgemeinplätze – jedenfalls nichts, was man aus Dalai-Lama-Biografien oder offiziellen Verlautbarungen des Nobelpreisträgers nicht bereits erfahren konnte.

Doch das Authentizitätssignal – zentral wichtiges Element bei jeder Dia-Show – ist gesetzt; Aura und Autorität des obersten tibetischen Repräsentanten strahlen auf den Reiseberichter ab. Denn natürlich kocht auch Küchler nur mit Wasser: Die Eindrücke, die der »Profi-Abenteurer und Berufsreisende« (Eigenwerbung) bei seiner Fahrt durchs Land sammelt, bleiben ein wenig hinter den so wortreich geweckten Erwartungen zurück; oft sind die Bilder Postkartenfotografie mit Schönwettergarantie. Fast ist man froh, als der Wagen des wagemutigen Fotografen im Verlauf der Reise einmal in einem flachen Flussbett steckenbleibt und Hilfe geholt werden muss – so gibt es endlich mal etwas zu erzählen. Vergleichende Anspielungen auf deutsche und tibetische Standards in Sachen Bierkonsum und Technik kommen gut an beim Publikum, dem Küchler »geistvolle Unterhaltung« versprochen hat.

Doch es geht auch anders: Der Hamburger Arne Nicolaisen präsentiert seine Norwegen-Bildershow nüchtern und unprätentiös. Er verspricht Menschen, Tiere, aber keine Sensationen, bietet stattdessen Close-ups auf seltene Pflanzen, gibt Reise- und Einkaufstipps und blendet immer wieder Landkartenausschnitte ein. In der Pause preist der Fotograf nicht eigene Publikationen an, sondern widmet sich dem Austausch von Erfahrungen. Just daran wollen die Besucher teilhaben, per Bild und Wort – nur eben live.

Auf wieder andere Weise professionell geht der Bielefelder Fotograf Peter Gebhard vor. Bei seinen Streifzügen durch New York ist er mit seiner Kamera gleichsam ins pralle Leben gesprungen. Stets spürt Gebhard Menschen und ihrer Geschichte nach. Eingebettet in die Poesie wunderschöner Stimmungsbilder, atemberaubender Skyline-Panoramen und berühmter Stadt-Ikonen – die allesamt zum Standard-Repertoire gehören und offenbar geboten werden, um die Publikumserwartungen zu befriedigen – kann es plötzlich ganz prosaisch und persönlich werden. Nicht Typisches, sondern Individuelles stellt der Fotograf nach kurzen Präludien überraschend in den Vordergrund: das Dasein des jungen Latino-Immigranten, der sich vom Tänzer unversehens in eine bezaubernde Drag Queen verwandelt und den Zuschauern im Nachtleben wiederbegegnet, oder das Schicksal des alten deutsch-jüdischen Emigranten, der den deutschen Journalisten und dessen Publikum an seinem Lebensweg teilhaben lässt.

»Ich verstehe mich als moderner Geschichtenerzähler«, bringt Gebhard das Wesen der Dia-Shows auf den Punkt. Und man glaubt ihm sofort, dass er sein Mineralogiestudium zu Tode gelangweilt abbrach, um sich auf die Fotografie zu stürzen. Nach dem Abschluss an der FH Bielefeld hatte er keine Lust auf die unvermeidlichen Vorstellungs- und Bittgänge zu den Bildredaktionen, wollte sich auch in professionellen Zusammenhängen individuellen Freiraum bewahren und gewann Freude an der Entwicklung eigener Vortragsdramaturgien. Seit zehn Jahren ist er mit seinen Bildern unterwegs, hat sich inzwischen drei Themenschwerpunkte und Verbindungen zu mehreren hundert Vortragsveranstaltern aufgebaut. Tourneen laufen jeweils in der Zeit vom 6. Januar bis Ostern und von Mitte Oktober bis 6. Dezember, in den übrigen Monaten arbeitet er an neuen Vorhaben.

Mit seinen Veranstaltern hat der Fotograf Fixhonorare vereinbart. »Newcomer ohne ein solches dichtmaschiges Netz müssen thematisch in die Breite gehen, doch das schlägt auf die Qualität«, meint Gebhard. »Unter solchen Arbeitsumständen können die Bilder notgedrungen nicht die nötige Aktualität haben – und der Referent verliert an Glaubwürdigkeit. Nach dem 11. September etwa musste ich sofort auf die veränderte Situation in New York reagieren.«

Über 100 solcher – im doppelten Sinne reisenden – Fotografen tummeln sich in der Dia-Szene, die auch in Österreich und der Schweiz ihr Publikum findet; vielleicht 50 von ihnen, so schätzen Insider, können gut von dieser Art der Bildvermarktung leben. Das Spektrum reicht von Vortragsprofis mit hohem fotografischem wie journalistischem Niveau, die mit aufwändiger technischer Ausrüstung unterwegs sind und spielend große Veranstaltungsräume füllen, bis zu den knipsenden Amateuren, die die Gemeindesäle und Volkshochschulen der Provinz abklappern und ihre holperig geschriebenen Texte stockend ablesen. Für die Qualität der Fotos hat die Kameraautomatik gebürgt, und wenn’s mal zu dunkel oder unscharf ist, gilt das eben als authentisch.

Rund drei Dutzend Profi-Reisende haben sich unter dem derzeitigen Vorsitz des Afrika-Experten und exzellenten Erzählers Michael Martin in der Gesellschaft für Bild + Vortrag (GBV) organisiert, sagt Kay Maeritz, ein fotografischer Quereinsteiger, der ebenfalls der GBV angehört. Jüngst fand ihre »12. Internationale Vortragsbörse« für Diareferenten und Vortragsveranstalter statt; »Hat der Diavortrag eine Zukunft?«, lautete eines der Diskussionthemen. Den Zuschauerreaktionen zufolge: unbedingt ja.

»In diesem Mischbereich aus Entertainment und Information schlummert ein enormes Potenzial, das nur wenige ausschöpfen«, meint Peter Gebhard. Trotz durchkomponierter, auf MP3-Chips programmierter Shows mit Musikuntermalung sei anders als in sonstigen Medien hier der Gewährsmann greifbar. Man müsse nur überzeugen und sich entsprechend positionieren, bestätigen andere. Und es gibt vielfältige Ausprägungen. Dass Jürgen und Monika Schacke stets als Paar unterwegs sind, ist nur eine zufällige, individuelle Konstellation, die kaum ins Bild gesetzt wird. Michael Martin hat sich auf den Schwarzen Kontinent, Wüstenfuchs Achill Moser auf die Trockengebiete dieser Erde spezialisiert; andere Fotografen wie Küchler, Jörg Trobitzsch oder Olaf Schubert decken eine breitere Palette optisch-touristisch attraktiver Re­gionen ab: Berlin, Burma, Baltikum. Kalifornien, Kanada, Kanaren. Amazonas, Arizona, Adria. Und besonders beliebt sind Berichte über exotische Fahrrad- oder Motorradtouren, nein, -expeditionen natürlich!

Einige der Fotografen tingeln pro Saison durch 50, 80, ja mehr als 100 Orte. Und alle müssen sich im wahren Wort-Sinn einen Namen machen, damit das Publikum auch zu ihren anderen Shows kommt: Pures Abenteuer lockt, egal wo. Helfried Weyer, der neben der Präsentation optischer Pauschalreisen weltumspannende Foto-Business-Aktivitäten im Hochpreissegment entfaltet, tritt in Prospekt und auf Plakat mit Globetrotterweste, Vollbart und Pfeife auf: das Individuum als perfekt inszenierte Marke einer Firma, die ihre Fan-Gemeinde weniger über Themen, als über ein Markenerlebnis zu mobilisieren scheint. – »Ich führe schlichtweg vor, was ich erlebe«, sagt Peter Gebhard, »das kann ich auch noch mit 50 Jahren machen«.

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Kai-Uwe Scholz
Dr. phil., freier Autor und Journalist in Hamburg. Zahlreiche Publikationen über Architektur, Design, Kunst und Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts.