Magazin #06

Blitzgewitter für einen ermordeten Fotografen

Wurde Jose Luis Cabezas ein Opfer von Korruption und Mafia?

Text Henry Graffmann

»No se olviden de Cabezas«, vergeßt nicht Cabezas – kaum eine Wand, an der kein Plakat mit diesem Satz hängt. Und überall in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires werden Flugblätter mit der gleichen Aufschrift verteilt. Die Zeitungen berichten ausführlich über das Ereignis in der Nacht zum 25. Januar. Jenen Tag, an dem der Pressefotograf Jose Luis Cabezas ermordet wurde.

Noch in der Nacht hatte man in der Nähe von Pinamar, Provinz Buenos Aires, die Leiche von Jose Luis Cabezas gefunden – der unbequeme Fotojournalist war mit einem Kopfschuß ermordet worden. Vorher hatten die Täter seine Hände mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt, später sein Auto und die Leiche in Brand gesteckt.

Der Reporter der Wochenzeitschrift Noticias hatte sich in einen Sumpf aus Verbrechen und Korruption vorgewagt, dessen Köpfe wahrscheinlich im Beamtenapparat der Polizei und der Politik zu suchen sind. In dem Nobel-Touristenort Pinamar recherchierte Cabezas gerade angebliche Verbindungen des Industriellen Alfredo Yabran zu einem nationalen Mafiaring. Cabezas war es auch, der die Verwicklung von Polizisten in den Anschlag auf die jüdische Versicherungsanstalt AMIA aufdeckte, bei dem mehr als 150 Menschen starben. Oft prangerte er in seinen Reportagen außerdem die Korruption der Polizei in der Provinz Buenos Aires an.

Schnell waren fünf »Verdächtige« festgenommen. Ob die Beschuldigten tatsächlich die Mörder Cabezas sind, ist nach Ansicht vieler Beobachter zweifelhaft. Laut einer Umfrage der Zeitschrift Noticias vom Februar sind 72,3 Prozent der Bevölkerung der Meinung, daß die Polizei von den Mordabsichten wußte und sie gebilligt hat. 81,62 Prozent glauben, daß der Mord nicht aufgeklärt werden wird – und das, obwohl der argentinische Präsident Carlos Menem versprochen hat, sich dafür einzusetzen, daß dieses Verbrechen nicht ungestraft bleibt. Bislang wurden 14 Polizisten wegen zu nachlässiger Ermittlungen in dem Mordfall ihrer Funktion enthoben.

Schon wenige Tage nach der Tat hatte die Vereinigung der Presseangestellten (utpba) mit der Plakatierung in Buenos Aires begonnen. »Contra la impunidad«, gegen die Straffreiheit, oder »Sin justicia no hay democracia«, ohne Gerechtigkeit gibt es keine Demokratie, sind nur zwei der zahllosen Slogans. Dem Protest schlossen sich schnell weitere Gruppen an – darunter die ARGRA (Vereinigung der Bildjournalisten Argentiniens), die FATPREN (Vereinigung der Pressearbeiter), außerdem Gewerkschaften und diverse oppositionelle Gruppen; auch Persönlichkeiten aus Kultur und Politik fehlten nicht.

Die gemeinsamen Aktionen gipfelten am 25. Februar in einer landesweiten Schweigeminute und einem Protestmarsch in der Innenstadt von Buenos Aires. 20000 bis 30000 Menschen beteiligten sich an dem Marsch. Am Ziel, dem Regierungsgebäude casa rosada,  wurden Ansprachen gehalten. In Sprechchören verlangte die Menge Gerechtigkeit. Die Kollegen von Cabezas drückten ihre Solidarität mit einem Blitzgewitter aus. Diskrete Herren in braunen Anzügen und ausgerüstet mit Handys beobachteten etwas unruhig die Szene. Polizei war nicht präsent, kein Vertreter der Regierung ließ sich sehen. Dafür beteiligten sich an der Aktion sämtliche oppositionellen Bewegungen, die Gewerkschaften, die erwähnten Verbände und die schon berühmten Mütter der plaza de mayo.

Der Mord an dem Fotografen ist kein Einzelfall. Nach Angaben der Organisation Reporter ohne Grenzen sind 1995 weltweit 50 Journalistinnen und Journalisten umgekommen, 112 waren zum Jahresende inhaftiert.

Ungewöhnlich ist die heftige und empörte Reaktion der argentinischen Bevölkerung auf den Mord. Denn in der Vergangenheit hat diese Methode, unliebsame Berichterstatter zum Schweigen zu bringen, immer wieder funktioniert. Wie damals, als die berüchtigten Todesschwadronen der Antikommunistischen Allianz ihr Unwesen trieben. Aber heute, 14 Jahre nach der Militärdiktatur, ist die Bevölkerung von Argentinien nicht mehr gewillt, eine solche Tat folgenlos hinzunehmen. Zu schwer wiegt die Erinnerung an die Repressionen der Diktatur, an 30000 Verschwundene.

Der Mord an Cabezas steht symbolhaft für den Mord an tausenden anderen. Er steht für Unterdrückung und Willkür einer Staatsmacht. Es ist die Erinnerung an die Zeit der Diktatur, die das Volk auf die Straße treibt, um für Demokratie und Menschenrechte einzustehen.