Magazin #30

Das sanfte Rauschen der Bilder

Was wird in unseren Medien eigentlich gedruckt, und was nicht? Eine aktuelle Durchsicht der wichtigsten Druckerzeugnisse mit schmerzhaftem Ergebnis. Die soziale Reportage ist nahezu verschwunden. Dafür herrscht ein seichtes Grundrauschen mit seltenen Peaks

Text – Manfred Scharnberg

Angela Merkel lächelt. Eine Seite weiter zieht sie einen Schmollmund. Mit diesen Fotos illustriert Der Spiegel eine Doppelseite, auf der die ehemaligen Lenker der SPD Politik Peer Steinbrück und Frank Walter Steinmeier sich über die Zögerlichkeit der Kanzlerin auslassen. »Untätig und unsichtbar« lautet die Titelzeile. Dabei zeigen die Fotos das Gegenteil. Die Kanzlerin ist sehr wohl sichtbar und tätig im Gespräch mit Steinbrück und dem »Krisenmanager Schäuble«.

Solche und ähnliche Grausamkeiten finden sich in den Printmedien täglich. Richtig schlimm wird es aber erst, wenn man zwei Wochen lang die relevanten Nachrichtenmagazine, und Tageszeitungen auf ihre fotografische Substanz abklopft. Nicht nur mal ein Magazin durchblättern, oder in der Morgenzeitung schmökern. Nein, die ganze Dröhnung: sich bei allen Publikationen genau anschauen, welche Bilder veröffentlicht werden. Es ist ein selbstquälerisches Experiment. Denn von einigen Tausend Fotos bleiben nur wenige übrig – sprich im Gedächtnis.

»Was sich als Berichterstattung ausgibt, ist nur noch Propaganda«
Mark Bowden, Journalist, kritisiert das US-Fernsehen

Unsere Printmedien zelebrieren die Beweisfotografie: Tatsächlich, dieser Politiker lebt wirklich, und in jener Konzernzentrale gehen leibhaftige Menschen ein und aus. Was diese Person aber bewirkt oder jener Konzern auslöst, bleibt oft im Dunklen. Auch wenn in den Texten differenzierter darauf eingegangen wird, abgebildet werden immer nur die handelnden Personen, aber selten die Folgen ihres Handelns.

»Es war nie leichter, auf Missstände aufmerksam zu machen als heute«
Jakob Augstein, Freitag-Verleger, über die Möglichkeiten im Internet

Ein paar Zahlen gefällig? Voilà: Focus publiziert in zwei Ausgaben 108 Fotos von Politikern, Wirtschaftsbossen, Experten und Prominenten. Von Menschen, die von deren Meinung und deren Entscheidungen betroffen sind, finden sich in den gleichen Magazinen ganze 22 Bilder. In den Spiegel-Ausgaben derselben zwei Wochen werden sogar 155 Politiker, Wirtschaftsbosse, Experten und Prominente abgebildet. Das ist fast die Hälfte aller im Heft abgedruckten Fotos. Bei den Betroffenen, dem »normalen Bürger«, kommt man nur auf 23.

Ist Fotojournalismus nur noch die Fortsetzung der Hofmalerei mit anderen Mitteln? Sicherlich ist das Bild der Regenten heutzutage etwas komplexer, als zur Zeit der einflussreichen Adelsgeschlechter. Auch wenn heute die Aktivitäten von Politikern kritisch begleitet werden, so schaut das Volk dennoch gern zu, wenn Mächtige straucheln. Aber gerade das macht sie doch so sympathisch – oder sagen wir besser menschlich.

»Journalisten haben nicht nur die große Aufgabe, Menschen mit Informationen zu versorgen. Sie müssen Hintergründe aufdecken, ein tiefes Loch bohren, nicht nur an der Oberfläche«
Horst Wackerbarth, Rote Couch-Fotograf

Wirft man mal einen Blick auf die Entwicklung der fotografischen Darstellung von Politikern, fällt auf, dass im letzten Jahrzehnt der Trend zum emotionalen, engen Porträt führt. Mit langer Optik, die Person aus dem Geschehen heraus gelöst, ohne Zusammenhang zum konkreten Geschehen, wird die menschliche Regung zur Schau gestellt. Da legt man sich als Bildredakteur ein Arsenal an Politikerporträts mit aller denkbaren emotionalen Mimik, von der Siegerpose bis zum zerknirschten Gesichtsausdruck an. Und je nachdem, wie die Redaktion ein politisches Ereignis werten möchte, zaubert man das »passende« Foto aus dem Hut.

Sicher können abstrakte Vorgänge oft nicht anders visualisiert werden. Und so manches Mal kommt dabei auch eine spannende Bild-Text-Kombination heraus. Aber muss das zum Allheilmittel werden? Und vor allem: Kommt das nicht genau den Bedürfnissen der Parteienlandschaft entgegen? Politik wird auf Personen und nicht auf Programme reduziert. Die Wahlkampftaktik der Parteien setzt sich so in den Medien fort. Vielleicht aber richten sich die Parteien ja auch nach den Medien.

Man fragt sich nur: Was ist an solchen Fotos politisch? Dass Politiker vor den Kameras posieren, weiß jeder. Und jeder spielt mit. Unabhängig davon, ob man sich vor den Karren spannen lassen will oder nicht; die Optik unserer Medien funktioniert als riesige PR-Maschine der Führungselite. Gebetsmühlenartig werden die Mächtigen immer wieder dargestellt. Dabei prägt sich als Bild ein: Die sind (für uns?) da, die tun was. Auf jeden Fall: Sie sitzen immer noch am Hebel. Aber die Sichtung des fünfzigsten Bildes unserer Kanzlerin in einer Woche hinterlässt eher einen schalen Geschmack.

»Oftmals scheinen die Journalisten ja nur noch dazu da zu sein, um die Lücken zwischen den Anzeigen mit möglichst seichten Inhalten zu füllen«
Blogger Rainer Meyer alias Don Alphonso

Es scheint so, als ob eine Journalisten-Elite über die Elite unseres Landes berichtet. Fotografiert auch eine Elite für eine Elite? Nein. Vergleicht man, welche Fotos auf dem Markt vorhanden sind, und welche gedruckt werden, dann klafft dort eine riesige Lücke – um nicht zu sagen ein Abgrund. Digitale Normierung und leicht verdaubare Massenware. Von dem, was junge Fotojournalisten an anspruchsvollen Themen und wunderbarer Fotografie beispielsweise beim Lumix-Festival vorlegen, bescheren uns die Nachrichtenmagazine lediglich homöopathische Dosen. Nicht der Fotojournalismus ist in der Krise, sondern die Verlage.

Wo bleiben die Fotos, die unsere soziale Realität abbilden? Gerade jetzt, in einer Zeit der sozialen Umwälzungen und der finanziellen Umverteilung wäre das nötiger denn je. Doch dies spiegelt sich kaum in unseren Printmedien wider. Wo werden richtig gute Fotoreportagen zu Themen wie Kinderarmut, Zeitarbeit, Bildungsmisere, Lobbyistentum, oder über die Folgen kommunaler Finanzknappheit gedruckt? Die Schlaglöcher auf unseren Straßen bekommen einen höheren Aufmerksamkeitswert als Menschen in Not. Von einem berichterstatterischen Muss haben unsere Medien die soziale Reportage zur Rarität degradiert – sie ist gelegentlich noch als Feigenblatt nützlich.

»Wenn man ganz genau hinschaut, dann sieht man, dass die politischen Journalisten eigentlich mehr zur politischen Klasse gehören und weniger zum Journalismus«
Helmut Schmidt, Altkanzler

Nicht die Nachrichtenmagazine, die mit 120 bis 170 Fotos pro Ausgabe eine Menge Bildmaterial publizieren, glänzten in den untersuchten Wochen mit sozialen Themen, sondern eine Wochenzeitung mit vergleichsweise geringerem Fotoanteil: Die Zeit. Erstaunlicherweise finden sich hier gleich vier Fotostrecken, in denen man den humanistischen Anspruch des Blattes spürt: islamische Kopftuchträgerinnen, Hebammen unter finanziellem Druck, indonesische Schwefelstecher und geheime Gefängnisse in Frankreich, sind die Themen. Wo wir bei Zeitungen sind: Die Tageszeitung, die sich redlich müht, soziale Themen aufzugreifen, übt noch kräftig, was die Optik angeht. Ansonsten herrscht im Blätterwald eher soziale Kälte.

Aber nicht nur die inhaltliche Quantität, sondern auch die Qualität der Fotos ist zu bemängeln. Zwei Wochen lang Zeitung lesen – dabei begegnet man zwangsläufig einer Wüste aus platten Fotoillustrationen und leeren Bildhülsen, dem sanften Rauschen der Bilder. Focus gibt sich damit Mühe, aber den Vogel schießt immer wieder die Frankfurter Allgemeine Zeitung ab, die über weite Strecken mit fotografischen Einsprengseln unterschiedlichster Güte arbeitet. Sie druckt zum Beispiel das Repro einer gelben Karte für eine Story über Schiedsrichter – und das auf der Titelseite. Fotografie sieht anders aus. Und das Thema »Umverteilung in der Mittelschicht« illustriert die FAZ völlig sinnentleert mit Rolltreppen eines Kaufhauses.

»Wer die Realität nicht erträgt, soll sich ein Märchenbuch kaufen«
Steffen Klusmann, Gruner + Jahr-Wirtschaftsboss, glaubt nicht, dass Medien die Krise durch ihre Berichterstattung verschärfen.

Nun gut, nicht jedes Thema ist mit einem World-Press-Foto zu bebildern. Fotos, die symbolhaft ein abstraktes Thema, einen Wirtschaftszweig, oder eine Bevölkerungsgruppe repräsentieren, sollen damit nicht verbannt werden. Aber wo bleiben die Bilder, die Geschichten erzählen?

Natürlich findet man hier und da auch Perlen. Einmal willkürlich den Spiegel Nr. 19 herausgegriffen. Da freut sich das Fotografenauge, wenn es, statt der Übersicht in den Börsensaal, mal einem nachdenklich dreinblickenden New Yorker Börsenhändler ins Gesicht schauen darf. Oder sieht, wie der Bischof Mixa in vollem Ornat Manager-like aus dem Luxusauto telefoniert. Außer einem Bild von einem Gewaltopfer in Kenia, gibt es noch eine Geschichte aus Afghanistan, in der man erfährt, dass dort nicht nur Soldaten in gepanzerten Fahrzeugen an verschleierten Frauen vorbeifahren, sondern auch Bevölkerung existiert, die sogar noch feiern kann und ganz europäisch wirkt. Das ist dann aber auch schon alles an Andeutungen von erzählerischer Bildsprache in dieser Ausgabe.

»Wir sollten nicht darüber diskutieren, wie wir die Zeitung billiger machen. Wir sollten sie besser machen, und dann können wir sie auch teurer machen«
Ralph Grosse-Bley, Blick-Chefredakteur, glaubt an hochwertige Bezahlinhalte

Überhaupt ist in allen untersuchten Illustrierten nur ein ganz geringer Teil der Fotos nicht inszeniert. Gefundene Bilder, also die von Fotografen dokumentierten Szenen und Ereignisse, machen in den beiden erfassten Wochen bei Focus und Spiegel um die 12 Prozent aus, beim Stern sogar nur knapp 6 Prozent. Zählt man die verschwindend wenigen Alltagsszenen, die Betroffene im wahren Leben zeigen, dazu, sind es bei den drei Magazinen nicht einmal ein Prozent mehr. Mit den in der Öffentlichkeit geschossenen Prominentenporträts zusammen, bestreiten inszenierte Porträts den überwiegenden Teil der Berichterstattung in Illustrierten. Wir begegnen einer arrangierten Welt, einem gestylten Fake.

Was ist nun daraus zu folgern? Printmedien bieten keinen ernstzunehmenden Markt mehr für engagierte Fotografie, für Fotografen, die mit ihren Bildern bewegen, oder etwas bewegen wollen. Fotos abseits der roten Teppiche in der realen Welt zu suchen und zu finden, rentiert sich scheinbar nicht mehr – wenn man es vom monetären Standpunkt aus betrachtet. Aber es lohnt sich dennoch, denn wenn wir nicht zu einer oberflächlichen Ellbogengesellschaft verkommen wollen, brauchen wir diesen intensiven Blick auf den gegenwärtigen Zustand unserer Welt. Und wie es aussieht, müssen Fotografen hierfür selbst die Veröffentlichungs- und Vermarktungsmöglichkeiten schaffen. »Ran an den Leser« heißt dies. Denn die Verlage sind für die fotografischen Urheber zu unsicheren Kantonisten geworden, die sich allmählich von der gesellschaftlichen Realität verabschieden.