Magazin #15

Der Untergang des Abendlandes

Gefahr droht am Horizont: Eine Gesetzesänderung könnte die Position der Urheber stärken! Da ringen die Verlage sofort die Hände und weinen dicke Krokodilstränen.

Text – Lutz Fischmann

Es ist mal wieder so weit – die Welt geht unter. Jedenfalls wenn es nach dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger und dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger geht. Diesmal sind die Schuldigen nicht der Milleniumswechsel, die Buchpreisbindung, die Internetversender oder der Anzeigenmarkt: Es ist in persona Herta Däubler-Gmelin, ihres Zeichens Bundesjustizministerin. Was soll geschehen?

Das Urheberrecht aus dem Jahre 1965 soll reformiert werden. Die Justizministerin will die geistige Arbeit – also die Werke von Künstlern, Journalisten, Autoren – besser schützen. Diese Urheber, die in der Regel selbstständig sind, stehen alleine mächtigen Medienkonzernen gegenüber, denen sie ihre Werke anbieten. Während der nunmehr 36 Jahre, in denen dieses Urheberrechtsgesetz angewendet wird, hat sich die Medienlandschaft radikal verändert. Sie wird heute von wenigen Großverlagen bestimmt, und die steuern mit Macht auf das digitale Zeitalter mit seinen umfangreichen Verwertungsmöglichkeiten zu. Schon heute macht der Anteil der Medienindustrie am Bruttosozialprodukt ca. fünf Prozent aus – sie hat also eine beträchtliche volkswirtschaftliche Bedeutung.

An diesen Verwertungen partizipieren die Urheber kaum. Deshalb, so die Ministerin, soll erstmals der Begriff der »angemessenen Vergütung« in den reformierten Gesetzestext aufgenommen werden. Eine angemessene Vergütung, sollte man meinen, ist doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit – weit gefehlt. Die heutige Praxis der Verlage belegt eindrucksvoll, dass ihr Erfolg auf dem Prinzip »Friss oder stirb« beruht. Verträge mit Autoren, die keinen Passus mit einem »Buy-out« – also der potenziellen Nutzung von Fotos und Texten für weitergehende Verwendungen wie Internet, CD-ROMs, Datenbanken, Bücher, Kalender und sogar unbekannte Nutzungsarten – enthalten, sind die Ausnahme. Und natürlich ist von einer Vergütung für solche Nutzungen in diesen Verträgen nicht die Rede.

Das Wehgeschrei der Verwerter über den Gesetzentwurf ist naturgemäß groß: ‚Arbeitsplätze sind in Gefahr‘, ‚Der Markt wird’s schon richten‘, und überhaupt würde das große Sterben einsetzen – zuerst kommen die kleinen Tageszeitungen, dann die kleinen Sendeanstalten, und schließlich folgt die komplette geistige Verarmung der Medien- und Kulturszene. Das Volk der Dichter und Denker schrumpft.

Doch da stellt sich die Frage, wer in den letzten zehn Jahren die Verantwortung für die geistige Verarmung der Medien trug, also die Konzentrationsprozesse und damit das Sterben der »Kleinen« mit herbeigeführt hat – das sind ausschließlich die jetzigen Großverlage gewesen. So beherrschen Unternehmen wie Gruner + Jahr, Springer, Holzbrinck, der Jahreszeiten-Verlag, die WAZ-Gruppe und Bauer schon längst den Zeitschriftenmarkt. Alleine der Springer-Verlag ist für jede vierte der täglich knapp 30 Millionen verkauften Tageszeitungen verantwortlich. Ähnliches gilt für den Buchmarkt, in dem nur noch die Großverlage teure Auslandslizenzen erwerben können und damit Kleinverlage vom lukrativen Lesermarkt mehr und mehr verdrängen. Dazu kommen noch die Beteiligungen der Verlage an Multimedia-, Radio- und Fernsehunternehmen.

Es sei doch alles in Ordnung heute, so die Verlegerverbände, und schließlich würden die Zeitungsverlage zur sozialen Absicherung der Urheber pro Jahr 20 Millionen Mark an die Künstlersozialkasse abführen. Das entspricht in etwa den Abfindungen für eine Handvoll gefeuerte Chefredakteure – da kommen die Tränen.

Es mag ja auch alles in Ordnung gewesen zu Zeiten, als die Auftragsvergabe noch mit einem Handschlag besiegelt wurde. Aber heute, wo in einem Konzern wie Bertelsmann die Sonne niemals untergeht und die Entscheider über die Vergütung von Aufträgen nicht mehr die Redakteure oder Artdirektoren sind, sondern die Taschenrechner der Controllingstellen in den Profitcentern der Großkonzerne, begegnen sich keine gleich starken Partner mehr. Und deshalb, so Herta Däubler-Gmelin, müsse dafür gesorgt werden, dass sich »Verwerter und Urheber wieder auf gleicher Augenhöhe gegenüberstehen«.

Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen zukünftig Urheberverbände mit den Verwertern Vereinbarungen über die Honorarhöhen der freien Autoren treffen. Damit käme erstmals eine gerechte Vergütung und eine Vertragssicherheit in greifbare Nähe. Denn das Geschrei der Verlage, solche Vereinbarungen brächten kalkulatorische Unsicherheiten mit sich, die sogar für den Wirtschaftsstandort Deutschland schwer wiegende Folgen haben könnten, ist mehr als lächerlich und funktioniert schon lange nicht mehr. Scheinheilig fordern die Verlegerverbände gar, die jetzt gesetzlich nicht zulässige Einräumung der Verwertungsrechte für künftige, noch unbekannte Nutzungsarten zu ermöglichen; dies »helfe Urhebern und Nutzern, bei Vermarktungsmöglichkeiten von Anfang an auf rechtlich sicherer Basis mitzuwirken«.

Besonders perfide ist das Geschrei der Verlage, dass die neuen Medien wie das Internet lediglich Kosten verursachten und damit das Verlangen der Urheber nach Vergütung schon fast unanständig sei. Da kann man den Verlagen nur raten: Lasst es sein, oder gebt den Autoren Aktien eurer Unternehmen – sie beteiligen sich gerne am unternehmerischen Risiko. Wenn der Erfolg eines Mediums von der Ausbeutung der Urheber abhängig ist, ist es nicht wert, produziert zu werden.

Den Gastkommentar lieferte unfreiwillig der Leithengst der publizistischen deutschen Shareholder-Value-Fraktion – Thomas Middelhoff, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG: »Wir sitzen auf einem Sack voll Geld.«

Womit wohl eigentlich alles gesagt sein dürfte.