Magazin #16

Die Lust am leisen Klick

Sucherkameras erfreuen sich dank neuer Modelle und alter Tugenden wieder zunehmender Beliebtheit – so lautet das Ergebnis einer Umfrage unter Freelens-Fotografen.

Text – Horst Gottfried

»Man wird mit diesen Kameras nicht ernst genommen«, so die Erfahrung von Frank Boxler mit der Leica M, »und das ist ein großer Vorteil«. Auch Sven Creutzman würde sich beim Fotografieren nicht nur in Havanna manchmal »am liebsten eine Tarnkappe« aufsetzen und greift stattdessen zur Leica M als zweitbester Lösung. Mit dieser Einschätzung stehen beide für viele Fotografen, die zwar gerne mit, aber nicht bei ihrer Arbeit auffallen wollen. Daher nutzen sie immer öfter Sucherkameras, wenn die diskrete Art der Fotografie gefragt ist.

»Die digitale Nikon D 1 hat die Leica nicht verdrängen können«, meint ddp-Fotograf Carsten Koall. »Die Leica ist kleiner, unauffälliger, nicht so laut und daher kommunikativer; die Menschen fassen schneller Vertrauen.« So wundert es nicht, dass die meisten Kollegen die Kameras mit dem leisen Klick hauptsächlich für Reportage und Porträt bevorzugen.

Einige betonen auch eine andere Art des Sehens, die Sucherkameras gegenüber den SLR-Modellen bieten. Michael Ebert nutzt seine M-Leicas bei Porträts und szenischen Essays, »überall, wo ich mich intensiv in meine Geschichte einfühlen will«. Und nicht nur Sven Creutzmann schätzt das »bewusstere Arbeiten auch daher, weil der Prozess des Foto-Machens wesentlich aufwändiger ist als bei einer Autofocus-SLR mit Motor. Mit der Leica muss ich mir das Foto erarbeiten. Da überlegt man es sich sehr gut, ob man wirklich abdrücken will, und das führt dann im Endeffekt zu konzentrierterem Arbeiten.«

Jenseits solcher subjektiven Einschätzungen können die Sucherkameras mit ganz unbestreitbar handfesten Vorteilen aufwarten. »Da meine Motorrad-Reisereportagen mit meiner kleinen Honda kein großes Gepäck zulassen, fiel meine Wahl auf die Leica M 6 und drei Objektive«, erklärt Petra Gall stellvertretend für viele, die möglichst mobil bleiben wollen. Sie bringt die Vorteile auf den Punkt: »Leicht, handlich, leise und super Bildqualität.« Reise- und Landschaftsfotografie waren denn auch die meistgenannten Haupteinsatzgebiete. Ein weiterer prinzipieller praktischer Vorzug von Messsucherkameras – nicht nur der Leica M – ist die sicherere Fokussiermöglichkeit auch bei schlechten Lichtverhältnissen, hochlichtstarken Objektiven und unabhängig von der Lichtstärke des Objektivs.

23 Prozent der 90 Freelenser, die sich an der Umfrage beteiligt haben, favorisieren Leicas – meist die M 6, aber auch alte M 3, 4 und 5. Neben der traditionell dominierenden Leica M werden ein halbes Dutzend weiterer Modelle genannt, die sich größerer Beliebtheit erfreuen. Dabei handelt es sich zumeist um Kameras, die neu am Markt sind, und um Exoten für Individualisten.

Die Messsucherkameras Mamiya 7 – für das 6×7-Format – und die inzwischen nicht mehr lieferbare Mamiya 6 für 6×6 übertreffen mit zusammen 25 Prozent Beliebtheitsgrad sogar die Leica M. »Super Schärfe und Kontrast, Optiken besser als bei Hasselblad, 100 Prozent zuverlässig«, meint Claus Uhlendorf; »arbeitet leise, leichtes Handling«, findet Wolfgang Steche; Bernhard Schurian spricht von »Leica-Fotografie im Mittelformat«, und Dominik Giegler schwärmt: »Handliche Kamera, ausgezeichnete Objektive – die beste Mittelformat-Sucher­ka­­­mera auf dem Markt. Sie ist äußerst leise und unauffällig. Trotz der Größe des Bodys fühlt man sich unbeobachtet. Für eine Mittelformatkamera ist sie extrem handlich und fast wie eine Kleinbild zu bedienen« – die Kommentare zur Mamiya 7 klingen, als ob die Kollegen sich ein Zubrot als Werbetexter verdienen wollten. Nur je einmal wird das umständliche Procedere beim Filmeinlegen und mit den zwei Suchern beim Fotografieren mit Weitwinkel-Objektiven bemängelt. Dafür bietet die Mamiya 7 mit dem als Zubehör erhältlichen 24x65mm-Panoramaeinsatz für 35mm-Kleinbildfilm einen netten Zusatznutzen, den bislang scheinbar nur Michael Hughes für sich entdeckt hat.

Einen beachtlichen dritten Platz unter den Umfrage-Favoriten konnte sich mit acht Prozent die XPan von Hasselblad erobern. Diese 35mm-Messsucherkamera mit Wechselobjektiven bietet neben allgemeinen, schon erwähnten Tugenden dieses Kameratyps und dem üblichen 24x36mm-Format zusätzlich das Panorama-Format 24×65 Millimeter. Das hat für Landschafts- und Architekturaufnahmen einen ganz besonderen Reiz und dürfte ein Hauptgrund für den Kauf sein. »Ich habe mir eine Xpan zugelegt und gehe kaum noch ohne das Ding aus dem Haus; die veränderte Arbeitsweise hat schon einige Vorteile«, meint Stefan Sobotta, der einige Anwendungsbeispiele unter www.photo-guerilla.com und dem Stichwort »xpan« ins Internet gestellt hat.

Als Alternative zur Leica sehen jeweils sechs Prozent der Freelens-Sucherfans die Contax G 2, weil sie die modernere Technik hat, sowie die Konica Hexar – die alte mit fest eingebautem 2,0/35mm-Objektiv. »Das ist die Leica für ein Fünftel des Geldes«, freut sich nicht nur Philipp Wiegandt, der damit »Reise, Reportage, still und heimlich« fotografiert. Die 1/250 Sekunde als kürzeste Verschlusszeit bemängelt er nicht. Die neue Hexar RF mit Leica-M-Bajonett, Wechselobjektiven, Zeitautomatik sowie automatischem Filmtransport inklusive Einfädeln scheint noch nicht so viele Freunde gefunden haben.

Ganz anders dagegen Voigtländer, vor allem mit der Bessa L und dem verzeichnungsfreien 15mm-Superweitwinkel zu einem sensationellen Preis. Obwohl erst seit 1999 erhältlich, hält sie in der Umfrage beachtliche vier Prozent Anteil unter den Sucherkameras. Hinzu gekommen ist inzwischen die Bessa R, im Prinzip die gleiche Kamera mit 39mm-Objektivgewinde, aber jetzt mit Messsucher, samt einer Reihe hochwertiger, lichtstarker Festbrennweiten. Wegen der Fummelei mit dem M-39-Gewinde beim Objektivwechsel sollten Interessenten sich nach dem Motto »1 Optik – 1 Gehäuse« erstmal auf die zwei für sie spannendsten Brennweiten beschränken. Zusätzliche Attraktivität gewinnt das neue, alte System durch das 121°-Superweitwinkel Ultra-Wide-Heliar 5,6/12mm, die kürzeste Brennweite mit verzeichnungsfreier Abbildung, die es überhaupt gibt. Auch dieses Objektiv passt mit Adaptern an andere Messsucherkameras wie die Leica M.

Zum Minderheiten-Programm unter den Sucherkameras gehören Exoten wie die 6×9-Rollfilmkameras Fuji 690 (noch lieferbar!) und Mamiya Universal 69. Viel gesucht auf dem Gebrauchtmarkt und noch mehr geschätzt von ihren Besitzern sind die Minolta CLE mit Leica-Bajonett sowie die Plaubel Makina 67 und 67 W mit Nikkor-Objektiven, ebenfalls sehr handliche 6×7-Reisekameras. Zu den Sonderfällen gehören Panorama-Kameras wie die Widelux oder Noblex, deren zylindrische Projektion und die daraus resultierende gekrümmte Perspektive waagerechter Linien die Einsatzmöglichkeiten jedoch einschränken. Richtig schön wird die Panorama-Fotografie dagegen mit der Fuji G 617 und der Linhof 617, die mit ihrem 6×17-cm-Bildmaß schon Großformat-Qualitäten erreichen.

Einige Kollegen nutzen die Contax T 2, TVS oder die Yashica T 5 als optische Notizbücher und wenn es ganz unauffällig gehen soll. Die Bildqualität dieser Kompakten erreicht SLR-Niveau. Hier bietet vor allem die leider kürzlich aus dem Programm gestrichene Yashica T 5 mit ihrem Zeiss Tessar 3,5/35mm und zweitem Suchereinblick von oben, die zuletzt für unter 300 Mark verkauft wurde, super Qualität für kleines Geld.

Schon kein Geheimtipp mehr – wie einige Nennungen in der Umfrage zeigen – sind die schlanken, flachen Ricoh-GR-Schnuckelchen. Ein superscharfes, siebenlinsiges 2,8/28mm-Weitwinkel mit asphärischen Elementen im hochwertigen Metallgehäuse bietet für knapp 900 Mark die Ricoh GR-1s. »Habe ich immer am Gürtel dabei, never leave home without it«, so Sven Creutzmann. Die neue Ricoh GR 21 – seit Februar 2001 auf dem Markt – ist ein kleines Wunderwerk im Zigarettenschachtel-Format mit enorm hohem Sichtfaktor, fest eingebautem 3,5/21mm-Superweitwinkel samt Autofokus, Zeitautomatik mit Blendenvorwahl und sogar Belichtungsreihenautomatik. Sie kostet zwar rund 2.500 Mark, doch das ist aus Leica-Perspektive fast schon ein Sonderangebot.

Völlig neue und preislich entgegengesetzte Wege geht der Nachwuchs. »Ich benutze hauptsächlich eine Yashica T 5 und manchmal auch eine Holga, obwohl ich nicht weiß, ob die auch als Sucherkamera zählt«, outet sich Bärbel Möllmann, die an der FH Bielefeld Fotografie studiert. Na klar doch, die Holga geht als Sucherkamera durch, Lomo im 6×6-Format, das hat doch Stil. Und wer von den alten Knackern nicht ganz den Anschluss an den Nachwuchs verlieren will, sollte schnellstens zum Lomo Action Sampler Kit greifen: 1 x Auslösen = 4 Bilder in einem, und das in einer Sekunde und quietschbunt. Wer fotografiert die erste Reportage damit? Weniger ernst genommen werden geht nicht.

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Horst Gottfried
staatlich geprüfter Fototechniker, seit 20 Jahren freiberuflich als Fachjournalist mit Schwerpunkt Servicethemen und Verbraucherberatung rund ums Bildermachen tätig. Lebt in Hamburg.