Magazin #32

Ehrliche Farben

In Deutschland ein Digitallabor zu finden, das bei der Bearbeitung von Fotos journalistische Maßstäbe setzt, ist schwierig. FREELENS Magazin wurde in Rom fündig, bei 10b Photography, das Fotojournalisten wie Paolo Pellegrin und Yuri Korzyrev oder Agenturen wie NOOR und MAGNUM zu seinen Kunden zählt. Laborchef Claudio Palmisano zieht eine klare Grenze zur Bildmanipulation

Text – Johannes Kühner

Eine schwarze Rauchwolke steigt in den blauen Himmel über der Wüste Libyens. Junge Rebellen springen von einer Kanone, weil offensichtlich gleich ein Schuss losgeht. Es ist der 11. März 2011, ein weiterer Tag im arabischen Frühling und im Kampf um die Hafenstadt Ras Lanuf. Der russische Fotojournalist Yuri Kozyrev macht ein Bild der Szene und schickt es nach Rom in eines der etabliertesten Digitallabore für Fotojournalismus.

Claudio Palmisano von 10b Photography öffnet das Foto am Computer und verschiebt die Regler in Photoshop. Höherer Kontrast lässt die Rauchwolke im Hintergrund noch rußiger erscheinen, Korrekturen in der Helligkeit bringen die Rebellen im Vordergrund besser zur Geltung. Palmisano leitet das Foto wie mit Kozyrev abgesprochen an Bildredakteur Patrick Witty vom TIME Magazine weiter. Ein Jahr später gewinnt das Einzelbild den World Press Award in der Kategorie »Spot News«.

Seit fünf Jahren leitet Palmisano bei 10b Photography das Digitallabor. Er steht vier Mitarbeitern und einigen Assistenten vor. »Ich war Fotograf, Programmierer und begeistert von der Telekommunikation. Da führt eins zum anderen.« Er hatte zunächst zu Hause und später mit einem Freund in einem kleinen Studio mit der Bildbearbeitung begonnen. Dann bot ihm der Fotojournalist Francesco Zizola 2006 an, sein Partner bei 10b Photography zu werden.

Nun trägt Palmisano die Verantwortung dafür, dass die Fotos der Auftraggeber den letzten Schliff bekommen. Palmisano sichtet sie, bearbeitet sie selbst oder reicht sie an einen Kollegen weiter und überprüft sie vor der Auslieferung ein letztes Mal. »Unser Digitallabor ist Teil eines Arbeitsablaufs. Wie ein Journalist, der eine Bildunterschrift schreibt, interpretieren auch wir, was auf dem Foto zu sehen ist«, sagt Palmisano. »Ich bemühe mich, das Gefühl einer Situation zu reproduzieren, indem ich meine Erinnerungen benutze, mit dem Fotografen spreche oder einfach hineinlege, was mir am besten gefällt. Ich gebe mein Bestes, eine Situation zu analysieren und versuche, das Land, in dem sie fotografiert wird, und das Ereignis, das über den Fotografierten hereinbricht, zu verstehen.«

Wenn Palmisano das sagt, dann denkt er an die Ethik bei der Postproduktion von Fotos, die er eng mit dem Begriff »Glaubwürdigkeit « verknüpft sieht. Seit jeher gehört die Bildbearbeitung zum Prozess des Fotografierens dazu. Nie zuvor war es aber so einfach, ein Foto in Photoshop zu verfälschen. Umso mehr gelte es deshalb, die Grenzen zur Manipulation zu kennen.

»Als die Debatten über zuviel Photoshop begannen, haben wir uns spezifische Fragen gestellt. Wir bemühten uns zu verstehen, ob das, was wir machten, die journalistische Botschaft verderben könnte und demzufolge die Glaubwürdigkeit zwischen Betrachter und Foto zerstört. Wie Wissenschaftler analysierten wir unsere eigene Arbeit.« 10b Photography holte verschiedene Sichtweisen ein und sammelte so viele Meinungen wie möglich: Palmisanos Aussage nach von den angesehensten internationalen Agenturen bis hin zu den Kunden.

Das Ergebnis steht als Ethik-Standard auf der Unternehmens-Homepage. »Wir sind der Ansicht, dass man nur von Manipulation sprechen kann, wenn tatsächlich Pixel bewegt werden, die kleinste Einheit eines Digitalfotos also entweder ersetzt oder kopiert wird. In diesem Fall kommt es zu einer Verfälschung der Wirklichkeit.«

Aber wie steht es um die Grenzfälle? 2009 hatte die Jury des dänischen »Picture of the Year«-Awards den Fotografen Klavs Bo Christensen disqualifiziert. Bei der Bildbearbeitung seiner Fotos aus Haiti sei er zu weit gegangen: Auf einem der Bilder habe er bewusst einen Stuhl ausgewählt und dessen Gelb intensiviert. Mit der Wand dahinter sei er auf dieselbe Art verfahren und habe sie blau gefärbt. »Für mich ist das inakzeptabel «, sagte Jurymitglied Peter Dejong.

Claudio Palmisano wiederspricht diesem Urteil: »Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung – Juroren von Fotowettbewerben und Bildredakteure eingeschlossen. Aber es besteht ein großer Unterschied, ob man ein Foto nicht gut findet oder ob man es nicht ehrlich findet.«

Die Farbwahrnehmung sei eine sehr subjektive Sache. »Keiner kann wirklich sagen, was eine richtige oder falsche Farbe ist.« Vor dem menschlichen Auge erscheine eine Wand auch dann weiß, wenn sie von einer Wolfram- oder Neonlampe beleuchtet werde; ein Negativfilm stelle sie gelb oder grün dar, in einer RAW-Datei lasse sie sich ganz einfach dem gewünschten Farbton anpassen. »Wer hat Recht?«, fragt Palmisano. »Die Chemie? Die Mathematik? Unser Gehirn?« Christensen habe auf seinen Fotos nichts ergänzt oder entfernt und somit die Grenze zwischen Manipulation und digitaler Bildbearbeitung nicht überschritten. »Das eine ist die Mystifizierung der Wirklichkeit, das andere eine ästhetische Interpretation davon «, heißt es in den Ethik-Standards. »Es ist schwer nachzuvollziehen, weshalb Millionen von Schwarz-Weiß-Fotos akzeptiert und gelobt worden sind, wohingegen zu viel Sättigung oder ein tiefblauer Himmel in der modernen Fotografie verdammt werden. Ist ein Schwarz-Weiß-Himmel näher an der Realität als einer, der tiefblau ist?«

Etwas anderes sei es, wenn einzelne Farben unabhängig voneinander verändert würden. »Wenn ich beschließe, dass der Himmel grün und das Meer darunter rot sein soll, dann verändere ich wissentlich die Beziehung zwischen den Farben«, sagt Palmisano. »Ich passe nicht die Farbtemperatur an, sondern verändere eine einzige Farbe. Das ist nicht ehrlich und nicht akzeptabel – aus journalistischer Sicht.«

Palmisano geht noch mehr ins Detail: »Eine zu hohe Sättigung einzelner selektiver Farbtöne ist meiner Ansicht nach zu viel des Guten – besonders, wenn Blut verstärkt wird, um den Betrachter noch mehr zu schockieren. Es geht zu weit, den Kontrast einer Fliege auf dem Auge eines unterernährten Kindes in Afrika zu erhöhen. Und es ist nicht okay, wenn man den Gesichtsausdruck eines Menschen hervorhebt, dem es elend geht, oder jemanden hässlich macht, der es eigentlich gar nicht ist.« Die ethischen Standards gelten für alle Bildbearbeiter von 10b Photography gleichermaßen, wenn sie die Fotos auf den Rechner bekommen. »Normalerweise läuft das so: Der Fotograf macht sein Editing. Dann wählt er sich in unseren Server ein und lädt die Dateien hoch – meistens RAW-Dateien.« Alle Mitarbeiter haben Erfahrungen mit gewöhnlichen Dunkelkammern. Dieselben Standards verwendeten sie auch bei der Entwicklung des RAW-Formats. »Wenn wir die Dateien haben, schickt uns der Fotograf eine E-Mail, beschreibt uns seine Arbeit und ob er spezielle visuelle Wünsche hat. Möglicherweise beherrscht er eine spezielle technische Sprache oder eifert einem visuellen Vorbild nach – zum Beispiel einem anderen Foto-Essay, einem Film oder einer Malerei.« Danach richten sich die Bildbearbeiter. Normalerweise ist für einen Fotografen immer derselbe Mitarbeiter zuständig. »Um ehrlich zu sein, ist das Ergebnis niemals für alle Fotografen dasselbe – aber es ist schlüssig für die Fotos in einer Geschichte oder eines größeren Projekts. Über die Jahre ist es manchmal besser, den Stil eines Fotografen zu ändern, weshalb ich seine Arbeit zu einem anderen Bildbearbeiter gebe.«

In Ausnahmefällen schickt Palmisano die Fotos gar nicht mehr an den Fotografen zurück, sondern direkt an das Magazin, das die Geschichte veröffentlicht. »Wir haben eine solche Beziehung mit manchen Fotografen und Bildredakteuren beim TIME Magazine und bei l’Espresso in Italien.« Kozyrev war im Arabischen Frühling einer von ihnen. In einem Interview sagte er: »Was Claudio für mich getan hat, hätte ich niemals mit meinem Laptop machen können, vor allem, weil ich meistens kein Internet oder keinen Strom hatte.«

Umso wichtiger ist es, dass Palmisano sich in die Situationen hineinversetzen kann, die er auf den Fotos zu sehen bekommt. Auch das hat mit Ethik zu tun. Damit ihm das gelingt, denkt und arbeitet er wie ein Fotograf: »Ein Bildbearbeiter sollte genauso viel lesen und reisen wie ein Fotojournalist. Das ist die einzige Möglichkeit, den Unterschied zwischen der Farbe des Sandes am Strand von Sardinien und der Wüste Libyens zu erkennen.«

 

Yuri Kozyrev zu 10b Photography
»Sie schätzen den Fotojournalismus«

 

»Viele Leute denken, sie hätten Ahnung von Photoshop. Haben sie aber nicht«, meint Yuri Kozyrev. Fotografen brächten zwar passable Ergebnisse zustande. »Aber das heißt nicht, dass sie professionell sind. Wir Fotografen machen das nach Geschmack und Instinkt und sagen: sieht doch ganz okay aus.« Früher habe man einen Profi beauftragt. So machen es der World-Press-Gewinner und einige seiner Kollegen der Agentur Noor auch im digitalen Zeitalter. »Es ist eine Illusion, dass wir Fotografen so gut sind wie ein Profi. Wenn ich mein Auto reparieren muss, lasse ich es jemanden reparieren, der Ahnung davon hat.«

Claudio Palmisano heißt dieser Jemand im digitalen Fotolabor von 10b Photography. Kozyrev kennt ihn seit etwa fünf Jahren und hat sich mit ihm angefreundet. »Es könnte sehr formell zugehen mit 10b. Sie wissen, dass kommerzielle Projekte ihnen mehr Geld bringen würden. Aber sie nehmen sich die Zeit für uns – sie schätzen den Fotojournalismus.« Claudio Palmisano habe ein unglaubliches Gespür für Situationen. »Als ich letztes Jahr die Revolution fotografiert habe, hat er jeden Tag mitgefiebert.«

Soeben ist Kozyrev wieder aus Libyen zurückgekehrt. Er hat sich eine Woche für die Auswahl der Bilder genommen, jetzt hat Claudio Palmisano eine Woche für die Bearbeitung. Die Zeit lässt es zu. »Aber wenn es schnell gehen muss, dann arbeitet er auch die Nacht durch«, sagt Kozyrev. »Claudio weiß, was eine Deadline ist.«

Dennoch arbeite er sehr genau. Anfangs stimmten sich die beiden noch ab; mittlerweile haben sie dieselbe Handschrift. »Claudio ist sehr bedacht. und er ist immer dazu bereit, noch etwas zu ändern, wenn es mir nicht gefällt.« Die Ethik-Standards seien sowieso erfüllt, weil Palmisano auf eine Weise arbeite, die auch zu Analogzeiten im Labor üblich war. »Er nutzt nur die wesentlichen Dinge, um alles aus der RAW-Datei herauszubekommen. Wenn eine Wand flau ist, steckt in der Datei trotzdem eine Information. Die Augen sehen diese Details.« Und 10b bringe sie wieder zum Vorschein. Wie die Fotos vorher aussahen und was daraus wird, zeigt Kozyrev ganz offen. »Damit die Menschen die Möglichkeit bekommen, den Unterschied zu sehen.«

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Johannes Kühner

volontierte bei der Schwäbischen Zeitung und arbeitet seitdem als freier Redakteur. Derzeit studiert er Fotojournalismus & Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover.