Magazin #14

Eine Kamera für die Ewigkeit

Benutzen statt besitzen, ausleihen statt kaufen: Der Berliner Designer Sebastian Feucht hat ein System für ressourcenschonendes Fotografieren entwickelt

Text – Klaus Schmidt-Lorenz

Klick-klack, ritsch-ratsch – und ab zum Entwickeln. Danach ruck, zuck eine Neue gekauft – für nicht mal 20 Mark. Wegwerfkameras sind schon praktisch: kein Bangen um die wertvolle Ausrüstung und doch passable Bilder. Wenn nur das schlechte ökologische Gewissen nicht wäre …

Von wegen! Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich das Massenprodukt als die ökologische Kamera schlechthin. Zu diesem Ergebnis kam der Berliner Designer Sebastian Feucht, als er den »ökologischen Rucksack« der Plastikkisten untersuchte. Diese Größe, entwickelt vom Nachhaltigkeits-Forscher Friedrich Schmidt-Bleek, enthält alle Ressourcen – vom Rohmaterial bis zum Transport –, die ein Produkt theoretisch mit sich herumträgt; ausgedrückt wird sie in MIPS (Material-Input pro Service-Einheit).

Ein durchschnittlicher Hobbyfotograf etwa verbraucht – wenn er mit Wegwerfkameras arbeitet – bei geschätzten 13000 belichteten Negativen im Laufe eines Lebens zirka 13 Kilogramm abiotisches Material (die Bodys von Wegwerfkameras werden immerhin bis zu 25-mal nach Japan geschickt, mit einem neuen Film und Blitz bestückt, bevor sie schließlich recycelt werden). Bei der Sucherkamera – und unter der Annahme, dass im Leben vier Kameras verbraucht werden – sind es dagegen 49 Kilo. Wer mit einer Spiegelreflex arbeitet (zwei Kameras im Leben), der verbraucht gar 526 Kilogramm an Ressourcen, mehr als eine halbe Tonne! Oder, anders gesagt, das 39-fache des Kollegen mit der Plastikschachtel.

Diese Beobachtungen hat Feucht zum Anlass genommen, auch für semiprofessionelle Fotografen ein Kamerasystem zu entwickeln, das weniger Material-Input benötigt, zugleich aber auf der Service-Seite einen höheren Nutzen verspricht.

Titel seiner Diplomarbeit an der Kunsthochschule Weißensee, die von den Professoren Helmut Staubach und Friedrich Schmidt-Bleek betreut wurde: »Wie können mit einer zehnfachen Steigerung der Ressourcenproduktivität fotografische Bilder erzeugt werden?« Dies mit Hilfe der Digital-Technik zu versuchen bot sich förmlich an: Hier müssen nur die wirklich benötigten Fotos entwickelt/ausgedruckt werden. Weitere Vorteile: kein Filmmaterial, weniger Chemikalien- und Wasserverbrauch; Speicherung und Archivierung sind einfach und preisgünstig; Transporte entfallen weitgehend, da die Bilder auf digitalem Weg verschickt werden können.

Die von Feucht entwickelte digitale Leihkamera, kurz »diLeihka«, besteht aus einem zylindrischen Body und einer Mini-Brennstoffzelle oder einem Hochleistungsakku zur Energieversorgung; die um 270 Grad schwenkbare Aufnahmeeinheit ist für Wechselobjektive ausgelegt. Über einen 6-Zoll-Flachbildschirm werden die Bilder fokussiert, ausgewählt und bearbeitet. Der Autofokus-Mechanismus liegt im Gehäuse, so dass über einen systemoffenen Adapter auch Fremdobjektive aufgenommen werden können. Ein Hochleistungschip sorgt für eine Aufnahmequalität, die der von Fotos im Kleinbildformat entspricht. Alle Elemente sind baukastenartig aufeinander abgestimmt, was auch die Größe des Geräts erklärt. Die einzelnen Komponenten sollten je nach Stand der Technik austauschbar sein – ohne dass gleich die ganze Kamera weggeschmissen werden muss.

Darüber hinaus lässt sich die Ressourcenproduktivität auch durch neue Nutzungskonzepte verbessern. Feucht hat Vor- und Nachteile verschiedener Leihmodelle untersucht: etwa, dass der Benutzer die Kamera ausleiht und an den eigenen PC anschließt oder dass er sich diese Dienstleistung in einem Copyshop besorgt, dass er pro Aufnahme bezahlt oder für die reine Leihzeit und Ähnliches.

Der Schwierigkeiten, ein derartiges Konzept am Markt durchzusetzen, ist sich der Designer bewusst: Die Industrie habe zwar Interesse signalisiert, doch sei die Zeit noch nicht reif; noch könne man vom normalen Kameraverkauf leben. Interessierter zeigt sich der Handel, der seine Geschäfte bis dato vor allem mit Filmverkauf und Entwicklung macht, Bereiche, die in den nächsten Jahren schrumpfen werden. Um ein derartiges Projekt auf den Weg zu bringen, kann sich Feucht eine Allianz mehrerer Beteiligter vorstellen. Dafür müssten sich Kamerahersteller, Chip-Produzenten und der Handel an einen Tisch setzen.

Dieser Beitrag ist ein Nachdruck aus dem Design Report Heft 05/2000. Er gehört zu einem Themenschwerpunkt Öko-Design, in dem sich ein weiterer Text von Friedrich Schmidt-Bleek mit umfassenderen Aspekten der Ressourcenschonung auseinandersetzt.

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Klaus Schmidt-Lorenz
studierte Kunstgeschichte in Hamburg. Tätigkeiten als Redakteur, Mitarbeit an verschiedenen Ausstellungen des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg sowie in Shanghai. 1996–2001 stellvertretender Chefredakteur des Design Report, jetzt als Redakteur in Hamburg tätig.