Magazin #32

Es gibt immer Überraschungen

Erfolg und Misserfolg liegen beim Crowdfunding dicht beieinander. Einige greifbare Faktoren machen das Vabanquespiel kalkulierbar. Tina Ahrens, Mitinitiatorin von Emphas.is, spricht über Chancen und Notwendigkeiten

Interview – Manfred Scharnberg

Manfred Scharnberg: Warum war João Pinas Arbeit »Shadow of the Condor« bei Emphas.is so erfolgreich?

Tina Ahrens: Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle. João Pina hat mit »Shadow of the Condor« ein sehr interessantes Projekt in Angriff genommen. Die Tatsache, dass es bis jetzt noch keine umfassende visuelle Aufarbeitung dieses Inhalts gab, hat Joãos Projekt wahrscheinlich für viele Menschen sehr interessant und relevant gemacht. Außerdem hat João eine große Glaubwürdigkeit als Journalist. Er arbeitet regelmäßig für die New York Times, Stern, GEO und andere renommierte Publikationen. Da seine eigene Familie als politische Gegner in Portugal verfolgt wurde, ist er sicher besonders geeignet, ein so heikles Thema anzugehen. Joãos Großmutter Albertina Diogo und sein Großvater Guilherme da Costa Carvalho waren beide aktive Mitglieder der Kommunistischen Partei in Portugal und wurde wegen ihrer Überzeugungen vom faschistischen Regime ins Gefängnis gesperrt und gefoltert. Seine einfühlsame Art, mit der er über das Projekt berichtet, hat viele Menschen angesprochen.

Zudem ist João sehr auf seine Unterstützer, die er über Emphas.is gefunden hat, eingegangen. Dies wird besonders beim zweiten Teils seines Projektes deutlich – João hat sein Vorhaben in zwei Blöcke aufgeteilt und zwei erfolgreiche Crowdfunding-Kampagnen gestartet. Er involvierte die Unterstützer und informierte regelmäßig über seine Recherchen sowie die Entwicklung seines Projekts von seinen Reisen aus. Auch das hat vielen gefallen.

Welche Kriterien müssen Projekte erfüllen, um sich für Crowdfunding zu eignen?

Ein Projekt muss schon eine gewisse Relevanz haben, um genügend Menschen anzusprechen. Entscheidend ist aber vor allem der Enthusiasmus des Fotografen. Kann er andere für seine Idee begeistern? Merken die Leute, dass der Fotograf für die eigene Idee brennt? Das Video, mit dem Fotografen ihr Projekt vorstellen, ist dabei ganz entscheidend. Es vermittelt dem Leser einen Eindruck vom Fotografen und verdeutlicht, weshalb er das Projekt für wichtig hält.

Außerdem ist es wichtig, dass die Fotografen ihre Arbeit bekannt machen, sobald sie online ist. Das heißt, die Menschen darüber zu informieren, dass es das Projekt gibt und sich jeder Interessierte an der Finanzierung beteiligen kann. Man kann nicht erwarten, dass das Geld von alleine rollt. Es ist wichtig, über soziale Netzwerke, Blogs und E-Mails, Leute auf das Projekt aufmerksam zu machen. Wenn ein Fotograf diese Art von Kommunikation scheut, ist Crowdfunding nichts für ihn.

Was ist der Part eines Fotografen beim Crowdfunding?

Ein Fotograf muss seine Kanäle und Kontakte nutzen, um das Projekt publik zu machen. Nur so kann sich der Schneeballeffekt ergeben, der für Crowdfunding wichtig ist. Nur so lässt sich eine kritische Masse erreichen, die sich für das Projekt interessiert. Die Fotografen müssen vor allem versuchen, passende Interessengruppen zu identifizieren, die das Projekt ansprechen könnte: Gibt es Hilfsorganisationen, die sich mit dem Thema beschäftigen und eventuell bereit sind, meine Kampagne auf ihrem Blog oder in ihrem Newsletter vorzustellen? Gibt es Aktivisten, bekannte Persönlichkeiten, die häufig über das Thema reden und die helfen könnten, das Projekt weiter bekannt zu machen? Eine Crowdfunding-Kampagne bedeutet eine Menge Arbeit, was viele Fotografen überrascht. Wir helfen den Fotografen natürlich, aber eine große Portion Eigeninitiative ist darüber hinaus wichtig.

Welche Projekte haben gute Aussichten finanziert zu werden und welche nicht?

Es ist für uns schwierig zu sagen, welche Projekte Aussicht auf Erfolg haben. Es gibt immer wieder Überraschungen. So waren wir zum Beispiel fest davon überzeugt, dass das Projekt »Besieged« von vier jungen Fotojournalistinnen über die Instrumentalisierung von Vergewaltigung im Kongo als kriegerisches Mittel auf großes Interesse stoßen würde. Es gibt viele Frauenorganisationen, die sich mit dem Thema beschäftigen, und die vier Journalistinnen waren mit Leidenschaft bei der Sache. Aber das Thema hat es nicht geschafft. Andere Projekte wie das Buch »Survivors« von dem Fotografen GMB Akash aus Bangladesch sind auf enormen Zuspruch gestoßen, obwohl ich mir nicht sicher war, ob er eine ausreichend große Masse an Menschen ansprechen würde.

Aber das unvorhersehbare Element ist ja gerade das, was Crowdfunding so toll macht: Man weiß eben nie, welches Thema die Menschen anspricht. Denn theoretisch gibt es für jedes Projekt eine Interessengruppe, die man erreichen kann – dank des Internets und unserer globalen Nutzergemeinschaft auf Emphas.is.

Wie viele Projekte wurden mit Hilfe von Emphas.is bereits finanziert?

Wir haben bereits 20 Projekte erfolgreich auf Emphas.is finanziert. Die erzielten Budgets der einzelnen Projekte lagen zwischen 4 400 und 26 431 Dollar.

Im Schnitt schafft es mehr als jedes zweite Projekt, voll finanziert zu werden. Im Vergleich zu den Chancen, einen Grant oder andere Förderungen zu bekommen, stehen wir damit ziemlich gut da. Beispielsweise liegt die Wahrscheinlichkeit, einen Getty Grant oder einen W. Eugene Smith Grant zu landen, bei 0,5 und 2 Prozent. Insgesamt haben wir bisher mehr als 270 000 Dollar für fotojournalistische Projekte zusammengetrommelt.

Was unterscheidet Emphas.is von anderen Crowdfunding-Portalen?

Wir beschäftigen uns ausschließlich mit visuellem Journalismus. Die Frage ist nämlich: Gehört ein Vorschlag für eine investigative Reportage wirklich neben eine Videospielneuentwicklung oder einen Softdrink-Produzenten wie auf anderen Crowdfunding-Portalen? Wir denken, dass es beim Journalismus wichtig ist, die Glaubwürdigkeit zu behalten.

Um die nötige Seriosität zu schaffen, gibt es auch unser Board of Reviewers, das aus Fotografie-Experten und Journalisten besteht. Jeweils drei Mitglieder des Boards überprüfen einen auf Emphas.is eingereichten Themenvorschlag auf Machbarkeit und Professionalität. Uns geht es vor allem darum, den professionellen Fotojournalismus zu unterstützen. Außerdem ist es uns wichtig, auf Emphas.is »Communities« aufzubauen, die sich längerfristig mit einem Thema beschäftigen. Wir wollen Fotografen nicht nur kurzfristig eine Reportage ermöglichen, sondern länger währende Beziehungen zwischen den Fotografen und ihrem Publikum schaffen. Ziel ist es, dass ich ein Bildjournalist eine Gruppe von Interessierten aufbaut, die ihn längerfristig bei seiner Arbeit begleitet – und die im besten Fall auch weitere seiner Projekte unterstützt, wie bei João Pina.

 

Umfrageergebnisse: Wer spendet für Fotoprojekte?

 

Eine Untersuchung von Emphas.is in Zusammenarbeit mit der Amsterdam University of Applied Sciences gibt Antworten darauf:

64,6% interessieren sich für das Thema.

73,4% interessieren sich für die Arbeit des speziellen Fotografen.

68,4% identifizieren sich mit dem speziellen Anliegen des des Projekts.

64,9% sind enttäuscht von den Medien und glauben, dass die Qualität der Berichterstattung nachgelassen habe.

73,5% bezeichnen sich selbst als Amateurfotografen.

Der größte Anteil der Nutzer ist zwischen 20 und 40 Jahre alt.

Die Nutzer sind global zu finden. Mehr als 25 Prozent kommen aus den USA, gefolgt von Europa, Russland, Südamerika, Australien und Asien.

 

João Pinas Erfolgsstory mit dem Crowdfunding
»Es hätte nicht besser laufen können«

 

Beim Crowdfunding ist Pina mit seiner Geschichte sehr erfolgreich – das steht im krassen Gegensatz zum mangelhaften Interesse konventionller Medien an seinem Thema. Nachdem der Fotograf das Thema »Shadow Of The Condor« einem guten Dutzend Redaktionen angeboten hatte und nur The New Yorker einen kleinen Ausschnitt der Geschichte brachte, bewarb er sich damit bei Emphas.is.

Bei vorgesehenen 60 Tagen Laufzeit waren die Kosten für die geplante Brasilienreise bereits sechs Tage vor dem Ablauf finanziert. Insgesamt kamen für die bisherigen zwei Phasen des Projektes gut 19.000 Dollar von 125 Spendern zusammen. Damit konnte João Pina inzwischen 70 Prozent seines Gesamtprojektes abarbeiten.

Die dritte Phase, in der er Bolivien und Paraguay besuchen will, möchte er demnächst starten. Mittlerweile setzt Pina seine Prioritäten auf eine Veröffentlichung in Buchform, was einem so komplexen Thema angemessen erscheint.

Die Entscheidung des Emphas.is-Bords für seine Arbeit fiel innerhalb weniger Tage. Er selbst steckte daraufhin viel Mühe in die Motivierung von Spendern. Neben einem Exposé erstellte er einen Budget-Plan, gestaltete ein Portfolio und ein Video. Als das Projekt bei Emphas.is online ging, warb er in sozialen Netzwerken dafür, erklärte Interessenten das Prinzip von Crowdfunding, schickte unzählige E-Mails in die Welt hinaus und bat seine Freunde, die Botschaft weiter zu verbreiten.

»Die Finanzierung gibt mir die Möglichkeit meine Arbeit fortzusetzen, ohne dabei Geld zu verlieren«, erklärt João Pina, »Ein Honorar ist in der Förderung aber nicht enthalten, weshalb ich weiterhin auf Assignments angewiesen bin, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten.« Die helfen ihm auch für sein eigenes Projekt. Bei Fotoaufträgen in der Nähe seiner Ziele in Lateinamerika verlängert er den Aufenthalt auf eigene Kosten, um sein Projekt weiter voran zu treiben.

Die Realisation eines derart umfassenden Themas erfordert einen langen Atem. Denn einige der Länder sind größer als Europa. Ebenso aufwändig ist die Recherche: Die Erlaubnis für den Zutritt zu Locations war oftmals schwierig zu bekommen. Mehr als zwei Jahre benötigte er beispielsweise, um in eine Marineschule zu kommen, in der 5.000 Menschen verschwanden Da noch ein Gerichtsverfahren lief, stand die Schule unter juristischem Schutz. Erst als der zuständige Richter grünes Licht gab, lief das Genehmigungsverfahren zügig.