Magazin #09

Friß oder stirb

Freies Arbeiten oder Ausbeutung – die Grenzen sind fließend. Versucht eine Verlagsgesellschaft jedoch, ihre Freelancer mit Knebelverträgen hinters Licht zu führen, sind sie eindeutig überschritten

Text – Veronika Mirschel

Beiliegend senden wir Dir Deine Rechnung sowie die Mahnung zurück. Wie bereits telefonisch mitgeteilt, legt bei der MVG der Chefredakteur die Bild-Honorarsätze fest und nicht die Fotografen.“ Dieses Schreiben bringt das Problem einiger Redaktionen der Münchner Medien Verlagsgesellschaft (MVG) auf den Punkt: Bei mehreren im Hause erscheinenden Jugendzeitschriften wird – etwa im Fall von Auslandsveröffentlichungen – freien Fotografinnen und Fotografen gar nichts gezahlt oder eben nur das, was die Chefredaktionen vorgeben. Und am liebsten sollen Freie nun blind Allgemeine Geschäftsbedingungen unterschreiben, die rechtlich unhaltbar sind und schlicht Existenzen gefährden. Wer nicht spurt, kriegt keinen Auftrag mehr – ganz nach dem Motto: Friß oder stirb.

Doch der Reihe nach. Im Spätherbst letzten Jahres wurden die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zeitschrift Popcorn zu Einzelgesprächen eingeladen. Zum Beispiel mit der harmlos, ja verlockend klingenden – sinngemäßen – Aussage: Wir wollen in Zukunft mehr mit dir zusammenarbeiten, wir brauchen nur deine Unterschrift unter einen Vertrag. Das Erstaunliche: Die Freien bekamen Allgemeine Geschäftsbedingungen vorgelesen, aber nicht vorgelegt. Der Inhalt: Sie sollen bei einmaligen, aus Erfahrung ziemlich miesen Honoraren nicht nur sämtliche exklusiven Verwertungsrechte für alle alten und neuen Medien

sowie für Auslandstöchter der Mutter-Verlagsgruppe Jürg Marquardt auf fünf Jahre abgeben – und damit jede Zweitverwertungschance verlieren. Zudem sollen sie rechtlich dafür geradestehen, daß die abgebildeten Personen mit jeder Form von Veröffentlichung einverstanden sind. Schließlich soll »das Eigentum an den Beiträgen auf MVG übergehen« – vermutlich eine aus Erfahrung entstandene vorbeugende Verlagsmaßnahme, sich aus teuren Regreßansprüchen für verloren gegangenes Bildmaterial zu stehlen. Nach der Fusion von Poprocky mit dem MVG-Blatt Popcorn hatte es für Poprocky-Fotografen angesichts verschlampter Dias ein böses Erwachen gegeben.

Nun, ein Vertrag ist ein Vertrag, den man prüfen und schließlich unterschreiben oder auch zerreißen kann. Nicht so bei MVG, denn niemand bekam das »Werk« ausgehändigt. Und die meisten haben – nach Absprache untereinander und obwohl sie ahnten, daß damit die Zusammenarbeit beendet würde – nicht unterschrieben. Selbst unterzeichnete Verträge stünden rechtlich auf wackeligen Beinen, meint die Anwältin des Bayerischen Journalistenverbandes, Ulrike Eisenhut, in einem Schreiben an den MVG-Anwalt Leopold von Weiler. Denn »die allgemeinen Geschäftsbedingungen sind nur dann Vertragsbestandteil geworden, wenn der Verlag dem Fotografen die Möglichkeit verschafft hat, in zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen« – und zwar nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung des Rechts Allgemeiner Geschäftsbedingungen.

Den Kern des Verlags-Ansinnens hatten die meisten Freien genau erfaßt. Und deswegen verweigerten sie trotz ihrer meist guten Zusammenarbeit mit den Redakteurinnen und Redakteuren, die überwiegend wenig Verständnis für das Verlagsgebaren aufbringen, ihre Unterschrift: Für wenig Geld sollten sie alle Rechte abtreten und dafür alle Risiken tragen. »Einen derartigen Vertrag kann ein Fotograf wirklich nur unterschreiben«, so der FreeLens-Geschäftsführer Manfred Scharnberg, »wenn auch entsprechende Exklusivhonorare gezahlt werden«. Solche Vergütungssätze fangen etwa bei 1500 Mark pro Tag an. »Das ist bei Popcorn nicht der Fall. Dort wird überhaupt kein Tagessatz gezahlt, sondern nur ein Seitenhonorar von 400 Mark.« Manchmal auch weit weniger. Dafür reist ein Fotograf herum, baut mit Assistenten die Blitzanlage auf – und alles, um dann eventuell eine Seite im Heft zu haben. Und um sich, wie einem Kollegen passiert, womöglich auch noch schräg vom Konzertveranstalter anmachen lassen zu müssen, warum er Bildmaterial ohne Absprache für Buchveröffentlichungen weiterverwertet habe. Der Kollege fiel aus allen Wolken, denn er wußte nichts von der Materialweitergabe an andere Verlage, die die Merchandising-Chancen des Konzertveranstalters unterläuft und zudem das Vertrauensverhältnis zwischen Veranstalter und Fotograf zerstört.

Unerlaubte Weiterverwertung: Auch das ist ein brennendes Thema in der Auseinandersetzung zwischen Verlag und freien Fotografinnen und Fotografen. Die Verlagsgruppe Jürg Marquardt, zu der MVG gehört, veröffentlicht in etlichen Auslandsausgaben – ohne Kenntnis der Urheber und natürlich zumeist unhonoriert – Fotos, »was einer strafbaren Urheberrechtsverletzung gleichkommt«, so Scharnberg in einem Brief an den MVG-Bereichsleiter Zeitschriften, Albrecht Hengstenberg. Der übrigens – dies am Rande – hat selber jahrelang seine Brötchen als Fotograf verdient.

Die Reaktion des Verlages: wochen-, ja monatelanges Schweigen. Erst im Februar, nach zahlreichen Schreiben und ersten Klärungsversuchen seitens der neuen Chefredakteurin eines der Blätter, die mit qualifizierten Leuten zusammenarbeiten und sie einigermaßen anständig honorieren will, wurde Scharnberg nach München eingeladen.