Magazin #24

Ich liebe meine Hölle

G.M.B. Akash, 29, erreichte 2005 bei World Press Photo den dritten Platz in der Kategorie »Daily Life«. Er lebt seit Januar diesen Jahres mit seiner Frau in Hamburg. In seiner Heimat Bangladesch hatte er Todesdrohungen wegen eines seiner Fotos erhalten.

Interview – Dirk Kirchberg

Kirchberg: Akash, Du musstest Bangladesch verlassen und lebst derzeit in Hamburg. Was ist passiert?

Akash: Ich bekam einen Auftrag von GEOlino, nachdem ich beim World Press Photo einen dritten Platz erreicht hatte. Ich wollte eine positive Geschichte über eine Madrasa, eine Koranschule, fotografieren, wie die Kinder dort unterrichtet werden. Doch als ich dort ankam, war ich schockiert. Ich fotografierte diesen angeketteten Jungen, Arafat. Er war bereits zweimal weggelaufen. Doch seine Eltern brachten ihn jedes Mal wieder zur Madrasa zurück. Als sie ihn das zweite Mal zurückbrachten, wurde er an den Füßen angekettet.

Wann und wo wurde das Foto publiziert?

Das Magazin Himal machte es zum Titelbild der letztjährigen August-Ausgabe. Die Titelgeschichte handelte von Bangladesch. Himal erscheint in ganz Asien und ist sehr einflussreich. Der Chefredakteur warnte mich, dass das Foto zu einem größeren Problem werden könnte. Er machte sich um meine Sicherheit Sorgen. Aber ich sagte ihm, dass ich dieses Foto unbedingt zeigen will. Ich fühlte mich damals sehr stark. Ich dachte: »Was soll mir schon passieren?« Viele meiner Freunde, meiner Kollegen und mein Vater rieten mir, vorsichtig zu sein und meinten, die Veröffentlichung könnte gefährlich für mich sein. Eine Woche, nachdem die Ausgabe erschienen war, bekam ich den ersten Anruf. Und einige Tage später, als ich nicht zu Hause war, kamen fünf Männer zu meinem Haus, durchsuchten alles und stellten meinen Eltern viele Fragen. Da war ich zum ersten Mal wirklich verängstigt.

Islamische Fundamentalisten bedrohten Dich?

Ja, sie drohten, mich umzubringen.

Haben sie auch Deine Eltern bedroht?

Nein, nur mich. Ich habe dann auch keine Interviews mehr gegeben, weil ich meine Familie nicht gefährden wollte. Ich redete auch nicht mehr über die Islamisten und die politische Situation, um die es damals sehr schlecht bestellt war. Anfang 2006 gab es überall im Land eine Reihe von Bombenanschlägen.

Warum veröffentlichten bengalische Zeitungen und Magazine das Foto nicht?

Nur selten werden Fotos von freischaffenden Fotografen veröffentlicht. Und wenn sie doch einmal ein Foto eines Freelancers benutzen, zahlen sie nichts. Es ist sehr schwierig für freie Fotografen, in Bangladesch dokumentarisch zu arbeiten. Die Themen sind heikel. Magazine publizieren äußerst selten Bilder dieser Art, denn sie stimmen die Leser traurig oder regen sie auf. Die Redakteure bevorzugen unterhaltende Themen.

War es das erste Mal, dass Du bedroht wurdest?

Nein, das gab es vorher auch schon. Ich hatte einen Jungen fotografiert, der in einer Näherei arbeitete und mit einem Stock geschlagen wurde. Plötzlich rief mich der Fabrikbesitzer an: »Was machst Du? Du schadest unserer Industrie.« Und auch davor, als ich an einer Geschichte über Homosexuelle arbeitete, warnten mich Freunde und Verwandte: »Mach das nicht. Dein Leben könnte in Gefahr sein.« Weißt Du, Bangladesch ist ein muslimisches Land.

Hältst Du Bangladesch für ein islamisch fundamentalistisches Land?

Nein, aber es gibt fundamentalistische Gruppierungen. Von einer solchen wurde ich ins Visier genommen. Ich kenne die Bengalen, sie sind Muslime, aber sie sind nicht streng gläubig, sind keine Fundamentalisten. Bengalen sind sehr liberal.

Aber warum musstest Du das Land verlassen?

Weil meine Angst wuchs. In Bangladesch kann dich niemand schützen. Ich musste mein Land und meinen Job verlassen. Dadurch habe ich viele Aufträge verloren. Ich sollte nach Indien reisen. Vermutlich habe ich auch meine Stelle bei New Age, einer Tageszeitung, verloren. Wenn ich zurückkehre, werden sie mich wohl nicht wieder engagieren. Panos Pictures, meine Agentur in London, wird wahrscheinlich auch jemand anderen beauftragen.

Was hast Du zwischen der Veröffentlichung im August und Deiner Ankunft in Hamburg im Januar gemacht?

Ich bin untergetaucht und habe mich versteckt, denn zu Hause konnte ich nicht bleiben. Freunde und Verwandte nahmen mich auf. Ich ging nicht mehr ins Büro und erzählte niemandem, was los ist. Ich hatte Angst, mit anderen zu sprechen. Gerede und Gerüchte verbreiten sich sehr schnell. Mein Büro fragte mich oft: »Du arbeitest nicht ordentlich. Du kommst nicht ins Büro. Bist Du verrückt geworden?« Ich habe ihnen erzählt, dass ich ein Familienproblem hätte. Immer wieder tauchten Männer bei meinem Haus auf und suchten nach mir.

Wie kamst Du mit der »Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte« in Kontakt?

Ich kannte die Stiftung gar nicht, aber erzählte Ruth (Ruth Eichhorn, Fotochefin bei GEO Deutschland) von meinem Problem. Sie half mir und kontaktierte die Stiftung und regelte alles. Auch GEO hilft uns sehr. Es ist wie unser Zuhause und Ruth wie unsere Mutter. Sie sagt immer wieder: »Fühlt Euch wie zu Hause. Kommt wann immer Ihr wollt.« Sie ist ein wunderbarer Mensch.

Wann hast Du Deinen Eltern von den Todesdrohungen erzählt?

Habe ich gar nicht. Sie wissen zwar, dass ich irgendwie in Schwierigkeiten bin, aber von den Todesdrohungen habe ich ihnen nichts gesagt. Sie wissen nicht, dass ich als politischer Flüchtling nach Hamburg kam. Ich habe ihnen erzählt, ich hätte ein Stipendium bekommen.

Hattest Du auch in Hamburg Angst?

Zuerst schon. Fundamentalistische Muslime gibt es überall auf der Welt, sicher auch einige in Deutschland. Jetzt habe ich keine Angst mehr. Aber alles ist neu für mich, die Menschen, die Kultur, die Sprache. Es ist sehr anstrengend, in einem Haus zu sitzen und nichts tun zu können. Ich muss aber erst völlig die Situation verstehen, bevor ich Fotos machen kann.

Wie lange wirst Du in Hamburg bleiben?

Sechs Monate, vielleicht ein Jahr. Aber ich will unbedingt zurück und meine Arbeit fortführen. Ich liebe mein Land sehr und möchte etwas für Bangladesch tun. Es gibt viele Geschichten, die erzählt werden müssen.

Was wirst Du tun, während Du in Deutschland bist?

Vielleicht werde ich eine Geschichte über die Obdachlosen in Hamburg machen. Ich würde auch gern eine Ausstellung organisieren und einen Verleger für ein Buch mit 50 bis 60 meiner Fotografien finden. Und ich möchte durch Europa reisen.

Nach einem Abschluss in Unternehmensverwaltung hast Du 1996 begonnen, als Fotograf zu arbeiten. Wie kam es dazu?

Mein Vater gab mir eine alte Kamera, die im Regal lag. Er hatte sie eigentlich gekauft, um Familienfotos zu machen, benutzte sie aber nie. Zu der Kamera gab es ein Handbuch. Da mein Englisch aber sehr schlecht war, verstand ich nicht besonders viel. Obwohl ich kurz vor einem Abschluss in Unternehmensverwaltung stand, konnte ich kein Englisch. Also begann ich, Englisch zu lernen, indem ich versuchte, das Handbuch zu verstehen. Auf eine Art hat mich die Fotografie unterrichtet. Die Fotografie hat mein Leben in vielerlei Hinsicht verändert. Sie ist meine Liebe, mein Ein und Alles. Anfangs wusste ich nichts mit meinen Fotos anzufangen. Ich hatte keine Vorstellung davon, dass es ein Beruf sein konnte, aber fotografierte alles Mögliche. Es war ziemlich kostspielig. Mein Vater gab mir immer zwei Dollar für das Mittagessen. Alle paar Tage sparte ich einen Dollar, kaufte einen Schwarzweißfilm, entwickelte diesen selbst in einer improvisierten Dunkelkammer im Badezimmer und machte Abzüge. So verbrachte ich viele Nächte. Manchmal hatte ich nicht einmal einen Film in der Kamera, wenn ich fotografieren ging. Ich fotografierte trotzdem und vergaß, dass ich keinen Film hatte. Ich wurde richtig krank, wenn ich nicht auf den Auslöser drückte.

Wann hast Du entschieden, professioneller Fotograf zu werden?

1998 besuchte ich eine Fotoausstellung über Aids-Patienten, die mich tief beeindurckt hat. Sexualkunde ist kein Thema in Bangladesch. Wir lernen darüber nichts in der Schule. Ich hatte damals eine sehr schlechte Meinung von den Aids-Patienten. Ich dachte, sie seien schlechte Menschen, weil sie mit Aids infiziert waren. Aber dann sah ich das Foto eines neugeborenen aidskranken Babys. Dieses Bild hat mich nachhaltig beeinflusst. Ich wollte ab sofort etwas unternehmen. Vorher hatte ich mich nie gefragt, was mein Anliegen war. Aber plötzlich wusste ich, dass ich Geschichten erzählen muss.

Du hast Geschichten über Transvestiten, Homosexuelle und Prostituierte fotografiert. In einem Interview sagtest Du, Du kämst aus einer Familie der Mittelklasse. Wie kam es zu Deinem Interesse an gesellschaftlichen Randgruppen?

Ich lebe in einem Ort mit einem großen Rotlichtbezirk. Eines Tages fand dort eine Zwangsräumung statt. Islamische Fundamentalisten wollten die Prostituierten zwingen zu verschwinden. Notfalls auch mit Gewalt. Als ich damals nach Hause kam und darüber nachdachte, womit ich mich als nächstes beschäftigen sollte, sagte mein Vater zu mir: »Du willst doch ein Journalist sein, oder? Was zur Hölle machst Du dann noch hier? Geh dorthin und fotografiere, wie diese Menschen leiden. Zeig ihre Misere.« So kam ich dazu, Prostituierte, Transvestiten und Homosexuelle zu fotografieren, Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. Ich mischte mich unter sie, redete, verbrachte Zeit mit ihnen und versuchte, sie zu verstehen. Ich hatte das Gefühl, dass ich die Geschichte ihres Lebens erzählen muss. In dieser Zeit habe ich viel über das Leben und mich selbst gelernt.

Glaubst Du, dass Fotografie etwas verändern kann?

Ich glaube, die Chancen dafür sind sehr gering. Es ist schwierig, in bengalischen Galerien Fotos auszustellen. Fotografie wird nicht als Kunst verstanden. Das ändert sich zwar langsam, aber regelmäßig Arbeiten auszustellen ist immer noch nicht möglich. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass meine Fotos veröffentlicht oder ausgestellt werden müssen. Immer, wenn ich an einer Geschichte arbeitete, zeigte ich meine Bilder Freunden, Verwandten und natürlich Kollegen. Sie machten sich über mich lustig, als ich an der Reportage über Homosexuelle arbeitete: »Du lachst wie ein Schwuler. Bist Du jetzt schwul?« Verwandte riefen meine Eltern an: »Er fährt mit Homosexuellen zusammen in einer Rikscha. Ist Akash verrückt geworden?« Aber meine Eltern wussten, was ich tat. Obwohl meine Freunde meine Arbeit und mich nicht ernst nahmen, erzählte ich ihnen immer und immer wieder von den Menschen, die ich fotografierte. Plötzlich änderten sie ihre Meinung, stellten Fragen. Ihre Perspektive hatte sich verändert. Sie hatten Respekt entwickelt. Deshalb glaube ich, dass die Chance auf Veränderung sehr gering ist, aber sie ist den Versuch wert. Fotografie kann etwas bewirken. Ich bin nicht der einzige Fotograf, der diese Themen bearbeitet. Es gibt viele Fotografen, und sie alle erzählen wichtige Geschichten.

Welches sind die größten Probleme in Bangladesch?

Wir haben viele Probleme. Korruption zum Beispiel. Transparency International hat Bangladesch fünfmal als eines der korruptesten Länder der Welt aufgeführt. Oder Armut. Viele Menschen leiden sehr darunter, dass unser Land arm und schwach entwickelt ist. Es ist die Hölle. Aber ich liebe meine Hölle sehr. Mit meinen Bildern will ich etwas Positives bewirken. Dinge sollten berichtigt und anerkannt werden. Deshalb muss ich zu­rück. Egal wie und zu welchem Preis. Ich muss arbeiten: Bilder machen, Geschichten erzählen. Ich fuhr einmal zu einem Gebiet in Bangladesch, über das ein starker Wirbelsturm hinweggefegt war. Alle Häuser waren zerstört. Ich konnte nicht weiter fotografieren. Ich dachte: »Was in aller Welt mache ich hier? Ich sollte besser neue Häuser bauen.« Aber dann begriff ich, dass ich zeigen muss, was diesen Menschen widerfahren ist, wie sie leiden, damit andere ihnen vielleicht helfen.

Hast Du einen Traum?

Als ich als Fotograf anfing, träumte ich davon, einmal bei World Press Photo zu gewinnen. Ich dachte, wenn ich dort einen Preis gewinne, kann ich sterben. Als ich dann aber gewann, dachte ich, ich muss ihn noch zehnmal gewinnen. (lacht) Mag­num war schon immer mein Traum. Ich will mich zumindest einmal bewerben, es versuchen, auch wenn eine Mitgliedschaft unerreichbar scheint. Man kann nie wissen.

Wann wirst Du Dein Portfolio einreichen?

(lächelt) Dieses Jahr.

 G.M.B. Akash
Geboren 1977 in Bangladesch. Ab­schluss in Unternehmensverwaltung. Ab 1996 Aus­bildung zum Fotografen, u.a. am World Press Photo Seminar in Dhaka. Publikationen in vielen internationalen Magazinen, vor allem zu politischen und sozialen Themen. Sein Buch First Light (Dhaka 2006) wurde mehrfach ausgezeichnet.
Auszeichnungen & Preise:
2002 Joop Swart Masterclass
2006 World Press Photo Award
Akash gewann zahlreiche Preise bei Wettbewerben in Japan, China, Frankreich, Norwegen, Holland, Indien, der Schweiz und den USA und wurde 2007 von der Photo District News als einer der 30 vielversprech­endsten Fotografen des Jahres nominiert.
(www.pdngallery.com/gallery/pdns30/2007/)
www.gmb-akash.com

___
Dirk Kirchberg
arbeitet als freier Autor, Konzepter und Online-Redakteur in Hannover.