Magazin #06

Immer auf dem Sprung

Editorial – Manfred Scharnberg

Alles verändert sich“. Politiker, Unternehmer, Angestellte und sogar Medienleute bejammern den Wandel in unserer Gesellschaft. Eigentlich wunderbar – denn das ist der Stoff aus dem unsere Geschichten sind, aus dem neue Bilder entstehen.

Von der Veränderung leben die Medien, leben wir. Warum aber kleben wir am Hergebrachen, am Gewohnten? Weil wir uns auch selbst ändern müßten. Aber je bequemer der Sessel ist, auf dem man sitzt, desto schwerer fällt es.

Für freie Fotografen sind Veränderungen so alltäglich wie das Zähneputzen: Heute gefeiert, morgen abgesagt. Heute ein schönes Foto gemacht, morgen muß ein besseres her. Fotografen sind immer auf dem Sprung, sind wandlungsfähig. Sind sie deshalb angepaßt ?

Antworten darauf geben zwei Geschichten unseres Titelthemas. In »Tut mir leid, aber ich kann kein Bild mehr machen« erzählen erfahrene, renommierte Fotografen, warum sie sich aus dem Beruf zurückgezogen haben. Keiner von ihnen beschwert sich darüber, daß sich etwas verändert hat. Entscheidend ist für sie, wie sich die Situation verändert hat. In unserer Geschichte »Irgendwie muß man doch anfangen« berichten Newcomer über ihren Einstieg in die professionelle Fotografie. Sie wollen nicht irgendeinen Platz in den Medien, sondern suchen ihren Platz.

Fotografen stürzen sich im regelrechten Freistil in eine Branche, die beim Run auf Marktnischen, Serviceorientierung und Marktforschung ihre eigene Identität verliert. So attestiert denn auch Medienexperte Bernd-Jürgen Martini den Printmedien einen Verlust von Charakter. Sein Plädoyer: Mut zur neuen Zeitschriftensprache, Mut zur Veränderung.

»Der Sozialwert des Einzelnen wird vor allem in Begriffen standardisierten Könnens und der Anpassungsfähigkeit bemessen, statt nach autonomem Urteil und persönlicher Verantwortung«, meint der Philosoph Heinrich Makuse. Urteilsfähigkeit und Verantwortung hat Fotograf Gerhard Gronefeld bewiesen. Der heute 86 jährige arbeitete im zweiten Weltkrieg als Wehrmachtsfotograf und ließ 1942 seine Filme von Hinrichtungen unschuldiger Passanten im Brotbeutel verschwinden. Heute sind sie in der Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« die einzigen professionell fotografierten Beweise von Greueltaten. Aufmerksam geworden durch unhaltbare Fälschungsvorwürfe gegen Gronefeld, interessierte uns wie dieser Fotogaf außerhalb der Militärzeit gearbeitet hat und unter welchen Umständen die Hinrichtungsfotos entstanden sind. »Ich kann es nicht vergessen – und will es auch nicht«, sagt Gerhard Gronefeld über die erschütterndsten Momente seines Lebens.