Magazin #24

Journalistische Werte verteidigen

von Ayperi Karabuda

Reuters versteht sich ganz klar als ein Teil der Zukunft der Fotografie. Nachdem wir bereits 1998 vollständig auf digitale Technik umgestellt haben, sehen wir diese Technologie als integrales Element des zeitgenössischen Fotojournalismus. Produktion und Lieferung von Fotos sind eine untrennbare Einheit.

Das viel diskutierte Thema der regionalen Berichterstattung ist ein vitaler Teil unseres Hauptgeschäfts. Mit einem weltweiten Netzwerk von gut 600 Fotografen und Büros in 130 Ländern sind wir auf lokale Kenntnisse und Talente angewiesen. Da unsere Bilder unverzüglich in 190 Ländern verbreitet werden, sind wir gezwungen, in jedem Markt starken regionalen Content zu präsentieren, damit wir veröffentlicht werden. Die Effekte dieser Struktur werden sicher bedeutenden Einfluss auf die unmittelbare Zukunft des Fotojournalismus haben.

Das Ergebnis ist eine neue Generation von Fotografen in den Schwellenländern, die von einer global operierenden Organisation ausgerüstet und geschult werden und dafür verantwortlich sein werden, Ereignisse in ihren eigenen Ländern in Bildern festzuhalten. In der Verbindung von Talent, Technologie und Wissen wird diese Generation die Art und Weise verändern, wie Nachrichten fotografiert und verbreitet werden. Es wird schrittweise schwieriger, das ökonomische Modell einer früheren Freelancer-Generation aufrechtzuerhalten – in den meisten Fällen westliche Fotografen, die die Welt für westliche Medien beobachten.

Hinsichtlich der Bildinhalte wird es zunehmend schwieriger werden, auf gleichbleibend hohem Niveau Missstände mittels Fotos anzuprangern. Aufgrund eines wachsenden Interesses an regionalen Inhalten wird es einen größeren Bedarf geben, ungefilterte, unmittelbar entstehende Nachrichtenfotografie in vertiefende Features zu verwandeln, die mit Texten kombiniert werden. Und weil sich ein so großer Teil der Welt schnell fortentwickelt, wird dieser wirtschaftliche Aufstieg mit mehr als nur einer Vision des Elends begleitet werden.

Auch die Art des Fotografierens und der Veröffentlichung wird sich ändern. Wenn der Bedarf an Bildern aus einem breiteren Spektrum erkannt ist, wird die Form der Veröffentlichung engere Grenzen bekommen. Das Online-Wachstum mit dem Schwergewicht auf Einzelbildern, eine Reduzierung der Zeitungs- und Magazinseiten und ein überwältigendes Maß an Unterhaltungsinhalten wird es schwierig machen, originär erzählende Fotografie zu publizieren.

Der klassische Aufbau einer Geschichte – das Setting, die Stimmung etc. – wird nur in spezialisierten Magazinen oder Büchern zu finden sein. Es wird notwendig sein, in einem plastischeren Stil zu fotografieren; die Bilder eines Ereignisses werden mehr Symbolismus haben müssen, und man wird mit weniger Fotos auf den Punkt kommen. Die Ausbildung von Nachrichtenfotografen innerhalb dieser Beschränkungen wird sehr hilfreich sein, um die großen Themen unserer Zeit zu bewältigen.

Der gesamte Prozess des Editing wird einen grundlegenden Wandel durchmachen. Der Fotograf ist bereits der erste Redakteur der Geschichte. Doch da ein guter Fotograf nicht immer auch ein guter Editor ist, entwickeln wir bei Reuters neue Editing-Instrumente. Die neueste Form ermöglicht es Redakteuren und Fotografen, von unterschiedlichen Orten aus simultan zusammenzuarbeiten.

Auf der anderen Seite werden die großen Verlagsgruppen, die Fotojournalismus publizieren, zunehmend unter den Einfluss von Textredakteuren geraten. Auch wenn sie keine wirklichen fotografischen Kenntnisse haben, werden sie letztlich die Entscheidung treffen, was wir sehen. Viele Mühen, die auf die Produktion der visuell relevantesten Bilder verwendet werden, könnten in deren anspruchsloser illustrativer Verwendung versickern.

Zusammen mit dem anhaltenden Verfalls des Preises von Fotos könnten diese Entwicklungen dazu führen, dass keines der existierenden ökonomischen Modelle der Nachrichtenproduktion in der gegenwärtigen Form überleben wird. Selbst die größten Akteure könnten verschwinden.

Daher ist es nicht nur dringend nötig, journalistische Werte zu verteidigen und die visuelle Qualität zu heben, sondern auch neue Modelle zu adaptieren und sich den Online-Möglichkeiten sowie der Kombination von Video und Bürgerjournalismus gegenüber zu öffnen.

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Ayperi Karabuda Ecer,
ab 1984 International Editor und später Bürochefin für die Agentur Sipa in New York, ab 1991 Editor in Chief bei Magnum in Paris. Seit 2002 bei Reuters, derzeit als Director of Development on Photography. Lebt in Paris.