Magazin #19

Kreativität für Kreative

Gelernt hat man als Anfänger, denkt so mancher Profi – weit gefehlt: Auch routinierte Fotografen können von erfahrenen Kollegen profitieren. Zum Beispiel auf Workshops. Eine Betrachtung

Text – Karl Johaentges

Ärzte, Lehrer und unser Steuerberater, alle bilden sich weiter – nicht nur, weil man es steuerlich absetzen kann. Anders wir Fotografen: Fortbildung ist out. Angebot wie Nachfrage nach professionellen Workshops in Deutschland sind erstaunlich gering, und im Bewusstsein der knipsenden Kollegen ist das Problem kaum existent.

Wenn man mit Suchmaschine im Internet stöbert, kommen einfach zu viele Nieten – Akt-Workshops und elementare Kreativkurse für Anfänger und Amateure. Die Fragestellung dieser Veranstaltungen bewegt sich inhaltlich wie technisch auf recht unterschiedlichem Niveau: Wie gelingt mir mit welcher Blende und Brennweite welches Motiv? So und ähnlich lauten oft die zentralen Herausforderungen. Doch diese Workshops meine ich nicht. Und die »Fotografie am Schiffbauerdamm« von Arno Fischer und Jörn Vanhöfen spielt auch in einer anderen Klasse. An dieser Schule braucht man für die Teilnahme an den einjährigen Klassen (mit monatlichen Treffen) viel Ausdauer, um »sehen zu lernen«.

UNTER KÖNNERN

Als ich kürzlich Freunden und Kollegen erzählte, ich würde an einem Workshop in Italien teilnehmen, war meist die erste Frage: Wie viel Honorar bekommst du für sowas? Dass ich womöglich als Schüler teilnehmen würde, kam niemandem in den Kopf. Warum?

Zugegeben: Wir Fotografen sind Künstler, wir sind Journalisten, Beobachter – »sehen können« muss man sowieso. Was soll da Fortbildung? Halt – wir beherrschen zwar unsere geschundenen Canons und Hasselblads nach Jahren oder Jahrzehnten vermutlich nahezu perfekt und können in jeder Lebenslage ein brauchbares Bild schießen. Aber kreativ? Fakt ist, dass wir meist im eigenen Saft schmoren und kaum aus den eingefahrenen Bahnen herauskommen, die sich in langer Praxis eingeschliffen haben. Es ist zu verlockend, Bilder zu reproduzieren, die schon in anderen Situationen erfolgreich waren. Workshops sind eine gute Pille gegen diese Routine.

Zugegeben: Auch ich habe mich beim ersten Mal schwer getan. Zumal ein Workshop seinen Preis hat. Vielleicht hätte ich sogar gekniffen, wenn der Kurs in der Toskana nicht auch Sonne, Espresso und Wein versprochen hätte. Ein Anflug von Urlaub – wie kann man sonst einen Gesamtpreis von 1.400 Euro für eine Woche rechtfertigen, Kost und Logis inklusive? Zudem hatte ich mir im Toscana Photographic Workshop (TPW) hochkarätige Lehrer ausgesucht: Kent Kobersteen und David Alan Harvey berichteten über Teamarbeit von Fotograf und Bildredaktion bei National Geographic, Michael Yamashita über die »Art of Story Telling«. Auch Amy Arbus, Phil Borges, Tomasz Tomaszewski, Alex Webb, Jay Maisel und andere Prominente lehren hier bei Vino und Pasta.

LERNEN IM ZEITRAFFER

Meine Gruppe mit zwölf Teilnehmern ist bunt gemischt: Vom frustrierten Programmierer bis zu einem Vatikan-Fotografen und der Geschäftsführerin einer Agentur ist alles vertreten – in erster Linie Italiener und Amerikaner, ich bin der einzige Deutsche. Der Morgen beginnt an einem zwanzig Meter langen Frühstückstisch in der Scheune eines kleinen Landguts, dem Workshop-Zentrum sozusagen.

Carlo Roberti – Gründer und Motor des TPW – hat den Workshop in ein erholsames Ambiente gesetzt. Nach dem Frühstück kurze Diskussion über die Fotos des Vortags, und dann streunen wir schon in die umliegenden Städtchen, um Bilder zu finden. Höhepunkt jeden Tages ist die Diasichtung am Abend. Nach dem gemeinschaftlichen Abendessen auf der Tenne dann die »Slideshow under the stars«. Die Lehrer zeigen per Projektor oder Beamer eigene Arbeiten und Projekte. Projektion auf eine riesige Leinwand an der Außenwand der Scheune, davor Reihen von Liegestühlen und Holzbänke. Darüber spannt sich nur der klare Sternenhimmel einer Toskana, weit weg von der Großstädten und Autobahnen. Und kurz vor Mitternacht sammeln sich die Hartnäckigsten für die Fahrt zur Trattoria an der nächsten Wegkreuzung.

Für mich brachte der Workshop erstaunliche neue Perspektiven. Technisch habe ich nicht viel dazugelernt, das war auch nicht mein Ziel. Obwohl man natürlich dank ein paar Gläsern Chianti Classico auch mal im Brennweitensumpf versinken kann. Es waren vielmehr die Mappenkritiken, die täglichen Diskussionen der Bilder, die konzeptionelle Auseinandersetzung mit anderen Bildsprachen, Reportagekonzepten und natürlich auch Techniken. David Alan Harvey beispielsweise arbeitet extrem reduziert, mit einer M6 und vor allem einem 1,4/35mm bei ziemlich offener Blende. Einen Schärfefanatiker wie mich, der Jahrzehnte mit möglichst viel Tiefenschärfe arbeitete, bringt das auf neue Gedanken. Offene Blende auch bei Sonnenschein, reduzierte Schärfe, Sucherkamera – nicht dass mir das unbekannt gewesen wäre, aber ich hatte mich praktisch einfach zu wenig damit auseinander gesetzt, mich zu sehr in eingefahrenen Spuren bewegt. Da herauszukommen war für mich Mühe und Geld wert. Kurz: Ich habe in einer Woche an konzeptionellem Denken mehr gelernt als in vielen Jahren auf mich allein gestellt.

Auffallend viele Teilnehmer in der Toskana waren Amerikaner. Das ist kaum verwunderlich. Nicht nur weil Italien beliebt ist bei vielen Yankees; auf der anderen Seite des Atlantik hat sich eine ausgeprägte Workshop-Kultur entwickelt, mit berühmten Zentren in Santa Fe, in Rockport/Maine oder »The New School« in New York. Sie alle bieten nicht nur beste Locations, sondern auch große Namen. Aber sind nicht gerade billig. Die Kosten für Kursgebühren, Unterkunft, Vollpension und Material kann man sich in einer ruhigen Stunde im Internet besorgen. Und da lauert ein großes Problem: Angesichts von Wirtschaftsflaute und klammen Geldbörsen ist oft an Workshops nicht zu denken. Zumal dann gerade das Telefon klingeln und ein Job angeboten werden könnte.

SCHÄRFE AUF AMRUM

Also im Lande geblieben. Doch in Deutschland tut sich die Szene schwer. Warum? Sind es die fehlenden großen Namen der Lehrer, ist es das fehlende Ambiente? Eine mit viel Elan begonnene Workshop-Reihe der aph-Hamburg dümpelt heute vor sich hin. Auch hier waren vor allem die Kurse mit prominenten Namen gefragt.

Während zahlreiche Angebote aufgrund mangelnden Interesses abgesagt werden mussten, war die Veranstaltung von Gerd Ludwig überlaufen. Der in Los Angeles lebende Kollege zählt weltweit nicht nur zu den besten seiner Zunft, von seiner Lehrmethode schwärmen die seinerzeit durchweg professionellen Teilnehmer noch heute. Grundlage des Erfolgs war vielleicht schon das Aussieben der Anmeldungen aufgrund von Mappen. Nichts ist frustrierender – für alle! – als ein Wochenende, an dem divergierende Fachkenntnisse überbrückt werden müssen. Dann bleibt für unterschiedliche Sehweisen keine Zeit mehr.

Gerd Ludwig legt Wert auf eine gute Mischung. »Ich beginne oft mit einem Überblick über die Reportagefotografie«, erläutert er sein Konzept. Konzeptionelles Denken steht ebenso im Mittelpunkt wie Arbeitsmethoden und Tricks für unauffälliges Blitzen.

Wochenend-Workshops scheinen im Alltagsstress der Teilnehmer fast zwangsläufig die einzige realisierbare Möglichkeit zu sein. Rolf Nobel – seit zwei Jahren Hochschullehrer in Hannover – zweifelt jedoch am Sinn solcher Kurzveranstaltungen. Grund: Ein Lehreffekt ist aus dem Stehgreif selten möglich. Mehr Erfolg wäre garantiert, wenn die Teilnehmer schon vor dem eigentlichen Wochenende ein gestelltes Thema fotografieren und dann im Rahmen des Kurses zur Diskussion stellen.

Aber wir müssen uns auch einen Ruck geben: Denn wichtiger als das Wo scheint vielen Kollegen immer noch die Frage: Muss ich mir das antun? Und: Will ich überhaupt neue Bildsprachen entdecken? Oder besuche ich lieber einen nutzungsbezogenen Kurs, der mir später Geld verdienen hilft? Was einander natürlich nicht ausschließt.

Bleibt die Frage: Warum gibt es keine professionelle Workshop-Kultur nördlich der Alpen? Denn nicht nur Hamburg und Berlin bieten Hinterhöfe, Szene-Cafés, Underground und Multikulti für das nötige Workshop-Ambiente. Was in diesem Umfeld vielleicht fehlt, ist ein Angebot mit ausgewiesenen Namen, die erfolgsgeplagten Fotoprofis Umdenken und »neues Sehen« garantieren können, wo eigene Bildsprachen und Techniken hinterfragt werden und konzeptionelles Denken im Mittelpunkt steht.

Vielleicht müssen Workshops vor allem Spaß machen. Wenn man Rolf Nobels Workshop-Bericht in Mare No. 34 über einen Anfängerkurs in Großformatfotografie an den Stränden von Big Sur liest, dann wird klar, dass dies süchtig machen kann. 5 x 7-Inch-Boliden auf im Westwind zitternden Stativbeinen – und grenzenlose Schärfe. Das wäre doch was für Amrum. Das liegt auch nahe bei Hamburg.

Nochmals: Lernen macht Spaß! Damit wir den Überblick behalten, wird Freelens in Zukunft auf der Website eine Rubrik Workshops mit ausgewählten Angeboten und Links einrichten. Für alle, die darauf nicht warten wollen, bietet die übersichtliche Homepage von Ulla Schmitz www.fotoinfo.de einen ersten – aber nicht bewerteten – Überblick über die Workshop-Szene in deutschen Landen. Geordnet nach Monaten und Themen findet man alle nur erdenklichen Angebote von der Großbildfotografie bis »Vom Schnappschuss zur Reportage« – die aber meist fortgeschrittene Amateure oder den ambitionierte Textautor im Visier haben.

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Karl Johaentges
wechselte vor fast 20 Jahren aus dem Architektenberuf in die Fotografie, gründete einen eigenen Verlag (KaJo) und arbeitet hauptsächlich an Bildbandproduktionen und Reisereportagen. Gründungsmitglied von LOOK.

Websites
Fotografie am Schiffbauerdamm: www.fasberlin.org
Toscana Photographic Workshop: www.tpw.it
The New School, New York: www.nsu.newschool.edu
Santa Fe Workshops: www.sfworkshop.com
Palm Beach Photographic Centre: www.fotofusion.org