Magazin #22

Kriegsfotografie. Ein Widerspruch

Das Elend der Welt im Bild zu sehen, mache aus dem Betrachter keinen besseren Menschen, schrieb Andreas Altmann in Heft 21 des FREELENS Magazins. Andreas Lobe verweist auf eine ganz andere Funktion der Fotos. 

Text – Andreas Lobe

»Nach den Millionen blutverschmierten Fotos, die bereits durch den Kopf des modernen Menschen geflutet sind, sollten wir schon vor langer Zeit aufgehört haben, den anderen beim Morden und Schlachten zuzuschauen. Denn ein Foto zu betrachten heißt nichts anderes als: Ich schaue zu.«

Aus der Sicht von Altmann stimmt das natürlich: Er schaut zu, hört zu, fragt und schreibt auf. Der Fotograf nimmt auf. Er ist dichter dran, der Sprachgebrauch weiß es, die Erfahrung beweist es.

Der Fotograf sagt mit seinem Bild: Ich habe das gesehen. Und aufgenommen. Synonyme für aufnehmen sind: berühren, in die Hand nehmen, aufheben, aufbewahren, bei sich behalten.

Sprache ist in ihrer Bedeutung sehr präzise, man kann sich auf sie verlassen. Obwohl das Bild älter ist als die Sprache, viel älter als die Schrift.

Der Betrachter schaut zu, da hat Altmann recht. Der Fotograf macht ihn mit seinen Bildern zum Augenzeugen. Und genau das brauchen wir: Augenzeugen, so viele wie möglich, vor allem, wenn es um Krieg und Menschenrechtsverletzungen geht.

Altmann weiß ganz genau, dass sein Text, der »die Mühsal des Lesens, des Denkens, des Begreifens von Zusammenhängen« ermöglicht, kaum wahrgenommen wird ohne die Funktion des beigestellten Bildes. Ist das also bei ihm ein Neidkomplex, Neid auf die Fähigkeiten des Bildes, die über die des Textes hinausgehen? Gleichzeitig erkennt er aber auch, dass das Bild vieles nicht kann, was mit dem Text möglich ist. Und der nächste Schritt wäre die Erkenntnis, dass die ganze erreichbare Palette an Möglichkeiten erst dann zur Verfügung steht, wenn man beides sinnvoll zusammenwirken lässt.

Wenn man genauer liest, erkennt man, dass es ihm gar nicht so sehr um die Fotos geht: Er mag die Fotografen nicht. Und da hat er Recht, ich mag viele von ihnen auch nicht – unter denen, die ich persönlich kenne. Was aber nichts daran ändert, dass auch viele von denen, die ich nicht mag, immer wieder sehr gute und wichtige Bilder machen.

Dasselbe kann ich im Textbereich von vielen Schreibern sagen. Natürlich muss ich mir an dem Punkt dann auch überlegen, was davon wichtig ist: meine persönlichen Vorlieben oder die Bilder und Texte.

Und was die Kriegs- und Katastrophenfotografie im Allgemeinen betrifft, erfüllt sie eine sehr wichtige gesellschaftliche Funktion: Wo wären wir denn in unserem Erkenntnisprozess über Faschismus und Krieg ohne die Bilder von den Kriegsschauplätzen zwischen Oradour, Bergen-Belsen und Hiroshima? Zu sagen, wir brauchen diese Bilder nicht mehr, weil wir schon Millionen davon gesehen haben – das hieße aufhören zuzusehen und damit: vergessen. Das Problem aktueller Kriegsbilder kann sich von selbst erledigen – wenn es keine Kriege mehr gibt. Falls wir jemals so weit kommen sollten.

Was die Gesellschaft und das Individuum angeht, kann man sich auch gut mal die Meinung von Experten anhören: »Die übliche Reaktion auf Gräueltaten ist, sie aus dem Bewusstsein zu verdrängen. Bestimmte Verletzungen des Sozialgefüges sind zu schrecklich, um öffentlich diskutiert zu werden. Darüber spricht man einfach nicht.

Andererseits lassen sich Gräueltaten nicht einfach verschütten. Ebenso stark wie das Bedürfnis, Gräueltaten abzuleugnen, ist die Überzeugung, dass die Verleugnung nicht funktioniert. Der Volksglaube kennt unzählige Geister, die in ihrem Grab erst Ruhe finden, wenn ihre Geschichte endlich erzählt ist. Ein Mord will ans Licht.

Sich an schreckliche Vorkommnisse zu erinnern und die Wahrheit darüber zu erzählen sind Vorbedingungen für die Wiederherstellung der sozialen Ordnung und für die Gesundung der Opfer.« (Aus: Trauma and Recovery/Die Narben der Gewalt, von Judith Lewis Herman, Professorin für Psychiatrie an der Harvard Medical School)

Das erscheint mir als Rechtfertigung für den Komplex der »Kriegsfotografie« als absolut ausreichend.