Magazin #29

Risse an der Buy-Out-Front

Medienunternehmen sind ausgesprochen kreativ, wenn es um die Einschränkung von Urheberrechten geht. Aber erste Gerichtsurteile weisen sie zurück. Denn Insider werten die meisten Verträge als sittenwidrig

Text – Lars Reppesgaard
Illustrationen – Dieter Jüdt

Ein grinsendes Äffchen mit langem Schwanz springt aus einer Schultüte, die von zwei fröhlichen Kindern gehalten wird. Keine Frage: Das Buchcover von »Ich werde Schulkind« ist gelungen. Es ist eine Zeichnung, die einen schmunzeln lässt, selbst wenn man das Vorschulalter längst hinter sich gelassen hat.

Den Illustratoren, die solche Bilder für den Herausgeber dieses Lehrbuches für Vorschulkinder zeichnen, ist das Lachen dagegen längst vergangen. Denn die Verträge, die ihnen Schulbuchverlagsgruppe Westermann Schroedel Diesterweg, aufgenötigt hat, haben es in sich.

Darin steht: Illustrationen werden einmal pauschal bezahlt – egal, wie oft und wofür sie der Verlag dann nutzt. Wenn eine Illustration in weiteren Auflagen gedruckt wird, sieht der Zeichner keinen Cent. Wird sie in Zusatztiteln wie etwa Materialien für Lehrer oder Eltern genutzt, ebenfalls nicht. Sogar wenn die Figuren aus den Schulbüchern auch auf Tassen oder T-Shirts abgebildet werden – und das geschieht immer häufiger, seit viele Lehrbuchverlage das Merchandising als zusätzliche Einnahmequelle entdeckt haben – schaut der Zeichner in die Röhre.

Buy-Out-Verträge nennt man derartige Vereinbarungen. Dabei räumt der Urheber seinem Vertragspartner umfassende Nutzungsrechte an seinem Werk ein und wird dafür mit einer einmaligen Pauschalvergütung abgefunden. Binnen weniger Jahre ist es fast zur Norm geworden, dass Verlage in ganzen Vertragskonvoluten den Totalausverkauf verlangen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber inzwischen müssen Urheber viel Zeit aufwenden, um im Dickicht der Verträge, juristische Winkelzüge zu erkennen und so die schlimmsten Klauseln zu verhindern. Wer dem sanften Säuseln oder den unverhohlenen Drohungen aus solchen Redaktionen nachgibt und unterschreibt, ist sämtlicher Rechte entledigt.

Die Folgen bekommen nicht nur Illustratoren zu spüren. Übersetzer haben nichts mehr davon, wenn ein Buch mit ihrer Hilfe zu einem Verkaufsschlager wird, weil sie im Falle von Neuauflagen oder bei der Veröffentlichung von Titeln als E-Book keine zusätzliche Vergütung bekommen. Freie Journalisten und Fotografen beobachten, wie Medienunternehmen skrupellos ihre Texte und Fotos von einer Webseite an die nächste weiter verkaufen, wie ihre Werke von einer Zeitung an die nächste weiter gereicht werden. Mitunter werden sie sogar an Dritte verkauft – die die Werke wiederum ihrerseits weiter verscherbeln. Texte wandern vom Computermagazin CIO über die Online-Seite des Manager Magazins zur Webseite der Postbank. Die Financial Times Deutschland schaufelt Inhalte auf die Webseite des Stern, das Handelsblatt beliefert Finanztreff.de, die Online-Redaktion der Zeit den Tagesspiegel und so weiter.

Selbst Prominenz schützt nicht davor, dass das Werk durch Buy-Out-Regelungen zum verramschten Content verkommt. Elke Heidenreich musste erst kürzlich hilflos mit ansehen, wie einer ihrer Texte im Verlag »Deutsche Literaturgesellschaft« erschien. Der Verlag mit dem hochtrabenden Namen verfolgt ein fragwürdiges Geschäftsmodell: Er bittet Schreiber für die Veröffentlichung ihrer Werke zur Kasse. Bei der prominenten Autorin wurde eine Ausnahme von der Geschäftspraxis gemacht: Der Heidenreich-Text wurde vom Archiv der FAZ gekauft, und adelte wenig später einen Sammelband des windigen Verlags. Nur die Autorin wurde weder gefragt noch für die Verwertung bezahlt.

So wie Heidenreich geht es auch zahllosen anderen, weniger namhaften Urhebern. Das Klima zwischen Urhebern und Verlagen ist frostig geworden, seit vermehrt Controller und Verlagsmanager, und nicht mehr Redakteure, die Spielregeln der Zusammenarbeit festlegen. »Selbst wenn man keine entsprechende Vereinbarung unterschrieben hat, verkaufen manche Verlage die Texte weiter, die man für sie schreibt«, sagt der freie Journalist Christoph Lixenfeld. »Und natürlich traut sich fast niemand, einen Auftraggeber zu verklagen. Weil die Kollegen befürchten, dann nicht nur von diesem Verlag, sondern auch von anderen keine Aufträge mehr zu bekommen.«

Dass freie Journalisten, Illustratoren und Fotografen solche für sie Knebelverträge überhaupt unterschrieben haben, ist der strukturellen Unterlegenheit der Urheber gegenüber der Medienwirtschaft geschuldet. Einer Vielzahl von Einzelunternehmern steht eine relativ gesehen kleine Gruppe von Unternehmen der Kulturwirtschaft gegenüber, die so nicht nur Preise, sondern auch Vertragsbedingungen diktieren können. Die Verhandlungsmacht des Einzelnen ist gering, Versuche, Buy-Out-Klauseln auch nur ein Stück weit zu modifizieren, werden von den Verlagen routiniert abgewehrt.

Zudem werden Buy-Out-Verträge oft mit Ellbogenmethoden durchgesetzt: Wer nicht unterschreibt, bekommt in der Regel keine Aufträge mehr. Einige Verlage legen schwarze Listen an, andere drohen den Urhebern, das Honorar für bereits gelieferte Geschichten oder Bilder nicht auszubezahlen. »Lieber XXX, (…) Leider bekomme ich heute über unser Honorarsystem die Mitteilung, dass Sie den Autorenbrief des Handelsblatts nicht unterzeichnet zurückgesandt haben. Dies bewirkt, dass Honorarzahlungen bis zu einer endgültigen Klärung zurückgehalten werden. Bitte senden Sie uns den Brief baldmöglichst zu, damit die Überweisungen getätigt werden können.(…) Mit freundlichen Grüßen…«, schreibt etwa die Verlagsgruppe Handelsblatt an ein Mitglied des Journalistenverbands Freischreiber. Wenn freie Journalisten die Verlage darauf hinweisen, dass Gerichte solche Formulierungen möglicherweise als Nötigung verstehen könnten, wird abgewiegelt. Das Ganze sei »ein Versehen«, wahlweise auch »ein Missverständnis«, natürlich denke niemand daran, die Auszahlung des Honorars bereits gelieferter Beiträge an die Unterschrift eines Buy-Out-Vertrags zu koppeln.

Na denn. Die Verleger, die sich sonst gerne wortmächtig in öffentliche Debatten einschalten, gehen bei diesem für sie unangenehmen Thema dezent in Deckung. Wer mit Verlagen wie dem Jahreszeiten Verlag oder Westermann über das Thema Buy-Out-Verträge sprechen will, erntet eisiges Schweigen. Fragen von FREELENS an diese Medienunternehmen, wie auch andere Rechercheanfragen zum Thema Buy-Out zuvor, wurden nicht beantwortet.

Die Haltung der Urheber zu Buy-Out-Verträgen jedenfalls ist eindeutig. »Unser Meinung nach sind diese Verträge sittenwidrig«, sagt Marcus Frey, Geschäftsführer des Illustratoren Organisation e.V. (IO) in Frankfurt, die sich in diesem Sommer mit einem Offenen Brief gegen die Westermann-Verträge wehrte. Mehr als 540 Illustratoren haben ihn bisher unterzeichnet – eine beispiellose Aktion für die traditionell sehr individualistische Zeichner-Szene. Dass sich so viele Illustratoren aus der Deckung wagen, zeigt, wie tief der Ärger der Urheber gegen die Verträge sitzt. »Es geht nicht nur um Westermann«, sagt Frey, »sondern darum, generell ein Signal zu setzen, dass es so nicht weiter gehen kann.«

Mit noch vehementerer Gegenwehr hat derzeit der Jahreszeiten Verlag zu kämpfen. Über 4000 Fotografen und Fotoagenturen, darunter die Crème de la Crème des deutschen und internationalen Fotojournalismus, haben sich dem FREELENS-Appell gegen neue Vertragsbedingungen angeschlossen, die die Ganske-Tochter zum Standard machen will. Auch mit einer großformatigen Anzeige in der Zeit protestierte FREELENS gegen das Ansinnen, Fotos nach einmaliger Honorierung zum Nulltarif in den Jalag-Zeitschriften und 50 weiteren Verlagsobjekten, die zur Ganske-Gruppe gehören, zu nutzen. Zudem sollen die Bilder vom Verlag exklusiv vermarktet werden.

Die Gegenwehr ist verständlich. Tatsächlich widersprechen Buy-Out-Verträge dem im Urheberrecht festgeschriebenen Postulat der »angemessenen Vergütung« schon deshalb, weil die pauschal gezahlten Honorare fast immer zu gering bemessen sind. Gerade die Novelle des Urheberrechts im Jahr 2002 sollte dafür sorgen, dass Urheber beteiligt werden, wenn eines ihrer Werke mehrfach genutzt wird. Die Medienunternehmen darauf festzunageln, ab welcher Höhe eine Vergütung angemessen ist, gelang Verbänden wie dem DJV und ver.di, die sich auf Seiten der Urheber an diesen Verhandlungen beteiligen, bislang nicht. Sieben Jahre ziehen sich diese Verhandlungen mittlerweile hin.

Zugleich versuchen einige Verlage, durch eine neue Welle noch dreisterer Buy-Out-Verträge die Daumenschrauben weiter anzuziehen. Aktuelle Klauseln verpflichten Autoren und Fotografen dazu, alle Notizen, alle ungenutzten Foto-Negative sowie das gesamte Recherchematerial einschließlich aller Rechte daran den Verlagen zu überlassen. Sie verbieten es Autoren, Texte selbst weiter zu verkaufen und Fotografen, ihre Fotos eigenständig zu verwerten. Das soll nur noch der Auftraggeber dürfen.

Grenzen setzen lassen sich die Verlage in ihrem juristischen Einfallsreichtum nur von der Justiz. So klagte FREELENS jüngst erfolgreich gegen den Hamburger Bauer Verlag. Dem wurde die zynische Argumentation untersagt, dass Ruhm und Ehre, in einem Bauer-Titel zu erscheinen, für sich schon eine angemessene Entlohung darstellen – sodass bei einer Mehrfachnutzung von Inhalten kein Geld fließen muss. Auch dem Herausgeber des Nordkurier, das Nordost-Mediahouse, erklärte der Richter auf Betreiben des DJV, dass die dort verwendeten Buy-Out-Klauseln in ihren wesentlichen Grundgedanken mit gesetzlichen Regelungen, insbesondere des Urhebergesetzes, nicht im Einklang stünden. Sie zögen, wie es in einer Pressemitteilung des Landgerichts Rostock heißt, »eine unangemessene Benachteiligung der freien Mitarbeiter nach sich.«

Auch der Verband der Illustratoren denkt derzeit über Verbandsklagen gegen besonders dreiste Vertragsmodelle nach. Gut möglich also, dass bald nicht nur das Äffchen auf dem Schulbuch-Cover etwas zu lachen hat, sondern auch der Illustrator, der es entworfen hat.

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Lars Reppesgaard

arbeitet seit 1996 als freier Journalist für Zeitungen, Magazine und den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk sowie als Buchautor. Er lebt in Hamburg und ist Gründungsmitglied von »Freischreiber«.