Magazin #34

Self-published

Eigenverlegte Titel in Kleinauflagen machen Fotografen sicher nicht reich, aber glücklich. Befreit von allen Vorgaben bietet sich die Chance, frei zu experimentieren. Michael Klein denkt über das Phänomen »Self-publishing« nach und zeigt gelungene Beispiele, die von einfach bis extrem aufwendig reichen.

Text – Michael Klein
Fotos – Gerald von Foris, Patricia Escriche, Henrik Malmström, Nele Gülck & Julia Unkel

Die rasche Entwicklung im Bereich digitaler Druckverfahren ermöglicht seit ein paar Jahren, Bücher in sehr kleinen Auflagen und annehmbarer Qualität für wenig Geld zu publizieren. Eine Unzahl von oft einfach gestalteten und preiswert produzierten Büchern, Heften und Zines erobert seitdem die Szene. Das Internet bietet eine ideale Plattform zu Vermarktung und Vertrieb. Finanzielle Selbstbeteiligung, die viele Fotobuchverlage bei einer Veröffentlichung wie selbstverständlich erwarten, kann der Fotograf auch direkt für die eigene Produktion aufwenden. Was spricht also dagegen, sein kompromisslos ausgestaltetes Buch im Selbstverlag zu publizieren?

Für viele Fotografen eine berechtigte Frage, aber diese Strategie birgt gleichzeitig Fluch und Segen in sich. Denn Fotografen sind Fotografen, weil sie (im Idealfall) gut fotografieren können. Sie sind nicht automatisch auch gute Lektoren, Layouter, Gestalter und Vermarkter ihrer Arbeiten. Viele unausgereifte und mittelmäßige Publikationen sind das Ergebnis und der Begriff »Selfstorage« bekommt plötzlich einen bitteren Nachgeschmack. Dennoch: In den letzten Jahren sind es oft gerade Eigenpublikationen gewesen, die mich besonders überzeugt haben und die ich auch erfolgreich verkauft habe. Diese Bücher kennzeichnet, dass Inhalt und Form eine ideale Symbiose eingehen und einzigartige Objekte entstehen. Man merkt ihnen an, dass sie mit Konsequenz, Herzblut und Empathie geschaffen wurden. Ihnen wohnt etwas inne, das ich mit objektiven Maßstäben oft nicht zu greifen vermag und das vielleicht am besten mit dem Wort »Magie« zu umschreiben wäre. Ausgefallene Themen, eine individuelle Umsetzung ohne Zugeständnisse, Exklusivität durch eine kleine Auflage und nicht marktkonform. Dies sind Bestandteile, die Self-Publishing zu einem Erfolgsmodell machen können. Fünf in ihrer Art sehr unterschiedliche Beispiele möchte ich hier vorstellen.

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Gerald von Foris
Wunden

»Eine Wunde (lateinisch vulnus, griechisch trauma) ist die Trennung des Gewebszusammenhangs an äußeren oder inneren Körperoberflächen mit oder ohne Gewebsverlust.« (Wikipedia)

Ich schlage das Buch an einer beliebigen Stelle auf und sehe dieses Foto: Vier Männer sitzen dicht gedrängt auf einem Motorrad, das aus einer steilen Kurve herausfährt. Sie heben die Arme wie die flatternden Flügel eines unbeholfenen Vogels. Hoffnungsloser Versuch, die Schwerkraft zu überwinden und sich in die Lüfte zu erheben.

Einige Bilder weiter liegt, einer klaffenden Wunde gleich, eine zerborstene Melone neben Zigarettenkippen und anderem Unrat am Boden. Und dann immer wieder Kronleuchter und Deckenlampen als Bildmotiv. Wiederkehrendes Echo von Egglestons »The Red Ceiling«? Oder hat das gar nichts damit zu tun? Beharrlich versuche ich, zu ergründen warum der Fotograf diese Bilder aufgenommen hat. 69 Bildern später ist das Buch zu Ende und ich bin immer noch nicht schlauer. Das macht aber nichts, denn irgendwann lasse ich mich einfach nur noch mitnehmen auf die Reise in den geheimnisvollen Bildkosmos des Gerald von Foris, erfreue mich an der Vielschichtigkeit, dem versteckten Humor und der leisen Melancholie der Fotos. Genauso undurchschaubar wie die Bilder ist auch die Gestaltung »Wunden«. Der Titel ist tief in das Cover eingeprägt, der Schriftzug besteht aus zwei nicht zueinander passenden Schriften. Fährt man mit den Fingern darüber, vermittelt sich das Gefühl, über eine schlecht vernarbte Wunde zu streichen – genial. Eine beigelegte Audio-CD enthält einen wunderbar dadaistischen Dialog, den Rochus Boulanger und Dirk Stermann über die Fotografien von Gerald von Foris geführt haben.

Das Buch wurde in einer Auflage von 500 Exemplaren gedruckt. Gerald von Foris hat es finanziert, indem er sein Erspartes verwendete und sich zusätzlich Geld geliehen hat. Die Auflage ist fast vergriffen. Sein neues Buch »Das, mein Sohn, wird einmal dir gehören« ist gerade fertig.


Gerald von Foris
Wunden
München, 2010, 144 Seiten, 69 Abbildungen in Farbe und Schwarzweiß, 16,5 x 23 cm, Hardcover, mit einer CD von Rochus Boulanger und Dirk Stermann, Auflage 500 Exemplare, 30 Euro

 

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Patricia Esriche
Desvelos

Der Begriff »Desvelos« hat im Spanischen zwei Bedeutungen. Er meint »offenbaren«, »aufdecken«, beschreibt aber auch jenen speziellen Zustand zwischen Schlaf und Wachsein, wenn sich Gedanken und Träume ineinander verweben.

Geisterhaft verschwommen zeigt die Fotografie ein Mädchen im roten Kleid. Sie hat dem Betrachter den Rücken zugewandt und scheint in die Nacht zu entfliehen. Ist es ein Tanz? Flüchtet sie in das schützende Dunkel? Ein Schotterweg umgeht einen Abhang und verliert sich in elegantem Schwung in der Ferne. Wie hingezaubert aus einer anderen Welt steht mitten auf dem Weg ein Pony, das den Betrachter anblickt. Fragend? Wartet es, dass man nachkommt? Wohin? Ist es real oder eine Traumgestalt?

Die Fotos in dem schmalen Buch entziehen sich hartnäckig einer eindeutigen Interpretation, sind rätselhaft und somnambul.

Patricia Escriche fotografiert keine konkreten Themen oder Motive. Als Flaneurin mit der Kamera visualisiert sie Stimmungen und persönliche Momente. »Ich suche nicht. Die Bilder finden mich« erläutert sie ihren Impuls. Bauch und Herz des Betrachters entscheiden, ob die Bilder einen zu berühren vermögen. Lässt man sich darauf ein, entwickeln sie eine Intensität und ziehen den Betrachter in ihren Bann.

So persönlich und individuell wie die Fotografien ist auch das schmale Buch gestaltet. Ergänzend zu einer Ausstellung im Kunstquartier Bethanien in Berlin entstand vorerst ein Einzelstück. Nachdem viele Besucher Interesse bekundet hatten, beschloss Patricia Escriche, »Desvelos« als Künstlerbuch in einer kleinen Auflage von 50 Exemplaren herzustellen.

Der Einband aus japanischem Chiyogami Papier fühlt sich warm und weich an. Offene Bindung und Japanbroschur sowie der kunstvoll von Hand vernähte Buchblock ergeben ein harmonisches Objekt, dessen handwerklicher Charakter den Reiz dieses Buches ausmacht.


Patricia Esriche
Desvelos
Berlin, 2013, ohne Paginierung, 15 Abbildungen in Farbe und Schwarzweiß sowie einem Inkjetprint, 27 Seiten, 15 x 15 cm, Paperback, Einband aus japanischem Chiyogami Papier, handgebunden, handvernäht, signiert und nummeriert, Auflage 50 Exemplare, 28 Euro

 

Zeitung ist das neue Fotobuch. Henrik Malmström fotografiert Menschen und Lokalitäten vor seiner Haustür in Hamburg St. Georg.
Zeitung ist das neue Fotobuch. Henrik Malmström fotografiert Menschen und Lokalitäten vor seiner Haustür in Hamburg St. Georg.

Henrik Malmström
Life is one Live it well

In einer der zahllosen Nächte in den Kneipen St. Georgs begegnet Henrik Malmström einer Unbekannten. Zum Abschied schenkt sie ihm ein Stück Papier, auf das sie in runder Mädchenschrift die Worte »Life is one Live it well« notiert hat. Die schöne Sentenz gab der Publikation ihren Namen.

»Zum Frühaufsteher«, »Moin Moin« oder »Rund um die Uhr« sind Kneipen, in denen Malmström sein St. Georg-Projekt fortgesetzt hat, ergänzt um Videoclips, die parallel zu seinen Fotos entstanden sind.
Mehr noch als in der vorangegangenen »St. Georg für Alle« -Zeitung richtet er diesmal seine Kamera auf die Menschen, die er dort trifft, kombiniert ihre Portraits mit Interieurs und Details der Lokalitäten. Schäbig und schrill sind deren Protagonisten, vom Leben gezeichnet. Aber Malmström geht es nicht um Attraktionen und Kuriositäten. Unter dem hässlichen Firnis entdeckt er Dinge wie Heimat, Schönheit und Würde. Diese unsichtbare Schicht macht er in seinen Fotos sichtbar.

Konsequent hat er die Arbeit wieder in Form einer preisgünstig produzierten Zeitung in kleiner Auflage publiziert. Mit billigen Flair und unperfektem Druck unterstützt die Publikation Inhalt und Atmosphäre der Bilder auf bestmögliche Art. Der Vertrieb von »Life is one Live it well« erfolgt über seine Webseite, »The Independent Photobook« und die »Buchhandlung im Haus der Photographie« in Hamburg.


Henrik Malmström
Life is one Live it well
Hamburg, Edition Müll im Keller, 2013, 36 Seiten, 28 Abbildungen in Farbe, 29 x 38 cm, Zeitung, Auflage 75 Exemplare, 12 Euro. Separat erhältlich sind drei Motive der Arbeit als unlimitierter, signierter Inkjetprint zum Preis von je 20 Euro.

 

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Nele Gülck
Auf Ewig – Fotografischer Katalog einer 66-jährigen Ehe

Als ich »Auf Ewig« das erste Mal, noch im »Dummystadium«, in den Händen hielt, war ich von der Geschichte, ihrer fotografischen, konzeptionellen und formalen Umsetzung sofort sehr angetan.

Die Diplomarbeit dokumentiert die Lebensgeschichte eines 92 Jahre alten Paares, das seit 66 Jahren verheiratet ist und 52 Jahre lang im selben Einfamilienhaus zusammen lebt. »In meiner Arbeit wollte ich mich der Liebe nähern. Doch wie sollte ich die Liebe fotografieren?« sagt Nele Gülck. Sie beschloss schließlich, nicht die Personen und ihr Umfeld zu dokumentieren, sondern lediglich die Dinge, die sie umgeben. Zimmer für Zimmer entnahm sie Gegenstände und fotografierte diese in einem kleinen improvisierten Studio. So kamen schließlich über 1 000 Objekte zusammen, akribisch katalogisiert auf 536 Buchseiten. Die Räume des Hauses bilden gleichzeitig die Kapitel des Buches. Jedem Abschnitt folgt ein Glossar der dokumentierten Gegenstände sowie kurze autobiographische Texte und Zitate. Die sachliche, scheinbar triviale Darstellung der Dinge lässt eine berührende Geschichte von Verbundenheit und Liebe sichtbar werden. Es entfaltet sich ein langes gemeinsames Leben von Kindheit und Jugend, der ersten Begegnung, vom Familienalltag und besonderen Ereignissen.

Gleichzeitig wird ein Stück deutsche Nachkriegsgeschichte dargestellt, das gesellschaftliche Strukturen, technische Veränderungen und bürgerliche Lebensart spiegelt. Schon von Beginn an hat Nele Gülck »Auf Ewig« auch als Buch geplant. Aufgrund des Umfangs der Arbeit und ihrer sehr konkreten Vorstellungen hinsichtlich der formalen Umsetzung war klar, dass die Produktionskosten sehr hoch sein würden. Uninteressant also für einen herkömmlichen Verlag. So war es nur folgerichtig, es als aufwendig gestaltete Künstleredition in einer kleinen Auflage für einen relativ hohen Preis zu realisieren. In einem schlichten Pappkarton liegt der telefonbuchdicke Band, eingeschlagen in Seidenpapier. Obenauf der mit einem weißen Rahmen versehene Abzug. Dieses Konzept ist aufgegangen, die Edition war nach nur wenigen Wochen ausverkauft. Es gibt noch viele Anfragen und die Künstlerin denkt über eine zweite Auflage nach.


Nele Gülck
Auf Ewig – Fotografischer Katalog einer 66-jährigen Ehe
Hamburg, 2013, 536 Seiten, 1 000 Farbabbildungen, 21 x 27,5 cm, Paperback, Buch mit gerahmtem Print (21 x 27.5 cm) in selbstgefertigtem Karton, 3 Printmotive wählbar, Auflage je 10, Auflage der Edition 30 Exemplare, signiert, nummeriert, 198 Euro

 

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Julia Unkel
Im Angesicht

In ihrem Projekt »Im Angesicht« setzt sich Julia Unkel mit der industriellen Fleischproduktion auseinander, das durch Skandale und gesellschaftspolitische Diskussionen in den Medien sehr präsent ist. Anders als in tagesaktuellen journalistischen Magazinbeiträgen ist ihre Arbeit jedoch künstlerisch-dokumentarisch angelegt. In hellen, farblich entsättigten Bildern beleuchtet sie verschiedene Teilbereiche der Arbeit im Schlachthof. Sterile Räume, bei deren Betrachtung man sich fragt, welchen Zweck sie wohl dienen mögen, Detailaufnahmen von Maschinen, deren Aufgabe man nicht ergründen kann, Objekte, deren Funktion rätselhaft erscheint, kombiniert sie mit klassisch fotografierten Portraits der Angestellten in ihrer mehr oder weniger blutbefleckten Arbeitskleidung. Der eigentliche Prozess des Schlachtens, Fleischstücke oder lebendige Tiere tauchen nicht auf. Diese Bilder bleiben der Vorstellungskraft des Betrachters überlassen. Trotz oder gerade wegen der scheinbar wertfreien Darstellung des Sujets, hinterlässt die Arbeit ein vages Unbehagen, beim Betrachter, fordert ihn auf zum Nachdenken und zur Reflektion.

Julia Unkel hat ihr Projekt von Beginn an in der klassischen Präsentationsform als Buch geplant. Die unterkühlten, sterilen Fotos der Arbeit konterkariert sie mit einer außergewöhnlichen Umsetzung, indem sie gebrauchte Schlachterschürzen als Schutzumschlag für das Buch umarbeiten ließ. Autorenname, Titel und Editionsnummer sind mit Siebdruck, aussehend wie ein amtlicher Gütestempel, auf den Umschlag gedruckt. Der Geruch haftet den Schürzen noch an, der Umschlag fasst sich kühl und fast ein bisschen feucht an. Das ist ekelig, aber hochwirksam, denn es untergräbt und unterstützt die bildnerische Aussage gleichermaßen. So besticht diese Edition neben ihren fotografischen Qualitäten vor allem durch ihren olfaktorisch-haptischen Objektcharakter.


Julia Unkel
Im Angesicht
Dortmund, 2012, 68 Seiten, 32 Farbabbildungen, 24 x 34 cm, Papier: Phoenix Motion Xenon 150g, Hardcover mit einem Schutzumschlag aus alter Schlachterschürze, Siebdruckstempel mit Nummerierung auf SU, zusätzlich ein Print im Format des Buches (auf Hahnemühle Fine Art Pearl 285g Papier), das Motiv ist frei wählbar. Buch und Print nummeriert und signiert, Auflage 15 Exemplare, 180 Euro

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Michael Klein

ist ein genauer Kenner der Fotobuchszene. Er betreibt die Buchhandlung im Haus der Photographie in Hamburg und bespricht von Zeit zu Zeit Bücher für einschlägige Fotomagazine.