Magazin #31

Statisten in der Konsumlandschaft

Bilder vom Mobiltelefon in einem Buch abzudrucken – diese paradoxe Idee haben Fotograf Joel Sternfeld und Verleger Gerhard Steidl ausgeheckt. Ein Meilenstein.

Text – Michael Klein-Reitzenstein
Fotos – Joel Sternfeld

Der Blick des Betrachters fällt in das anonyme Interieur irgendeiner Fastfood-Kette. Billige braune Holzstühle, Bistrotische und ein steriler Fliesenboden dominieren den Raum. Im Vordergrund des Bildes sitzt ein etwa zehnjähriger, dicklicher Junge in Muscle-Shirt, kurzer Hose und Flip-Flops, das allgegenwärtige Handy am Ohr. Am Tisch dahinter: drei Araber, in traditionellen weißen Kanduras und Ghutra. Das Bild sieht aus wie ein Schnappschuss. Im schnellen Vorbeigehen, beiläufig, aus erhöhter Perspektive hat der Fotograf dieses Szenarium geknipst. Aber es handelt sich nicht um das Amateurfoto eines flanierenden Touristen, sondern ist Bestandteil von »iDubai«, einem Projekt, das der amerikanischen Fotograf Joel Sternfeld als Buch im Steidl Verlag veröffentlicht hat.

In seiner Arbeit hat er sich einer völlig unerwarteten Arbeitsweise bedient, indem er sein iPhone als Kamera benutzte. Und so unterscheiden sich die Fotos stilistisch und formal völlig von dem, was Sternfelds frühere Arbeiten charakterisiert. Denn als einer der bekanntesten Vertreter der »New Color Photography« wurde er berühmt durch dokumentarische Großformatfotografien, die sich formal durch präzise Kompositionen, sowie eine bewusst eingesetzte Farbwelt auszeichneten. Inhaltlich-konzeptionell beeinflusst von Fotografen wie Robert Frank oder Gary Winogrand, sowie den Vertretern der »New Topographic« setzte er sich in all seinen Arbeiten mit der Schnittstelle zwischen Landschaft/Natur und Zivilisation auseinander.

Ein Konsumtempel in der arabischen Wüste wird bei Sternfeld zum Sinnbild für globale Einfalt. Foto: Joel Sternfeld
Ein Konsumtempel in der arabischen Wüste wird bei Sternfeld zum Sinnbild für globale Einfalt. Foto: Joel Sternfeld
Foto: Joel Sternfeld
Foto: Joel Sternfeld

Den Betrachter von »iDubai« erwartet also Unerwartetes. Nichts entspricht dem Bild, das man von dem kleinen Emirat im Kopf hat. Keine in die Wüste gepflanzte Großstadtskyline, keine Riesenhotels auf künstlich in das Meer geschütteten Inseln, keine Dromedare, die in flirrender Hitze über Saharadünen schreiten. Stattdessen: Dolce & Gabbana, Ikea, Starbucks und Burger King.

Für Joel Sternfeld ist Dubai das grotesk übersteigerte Sinnbild der globalisierten Shopping- und Kommerzmentalität. Und so hat er es konsequenterweise auf ein gigantisches Einkaufszentrum reduziert, das in seiner Beliebigkeit überall auf der Welt vorkommen könnte, außer vielleicht, dass hier alles noch viel gewaltiger und geschmackloser ist als andernorts. Nichts scheint natürlich gewachsen und authentisch. Selbst die ab und an in den Fotografien auftauchenden Araber, die traditionell gekleidet sind, sehen in dieser Umgebung aus wie Statisten in einer absurden Konsum- und Eventlandschaft. Erdrückt von gigantischen Einkaufstüten scheinen sie orientierungslos durch kilometerlange Marmorkorridore zu irren, oder verlieren sich als einsame Gestalten in den sterilen Luxusläden.

Die Fotografien wirken auf den ersten Blick wie ihr Sujet: flüchtig und austauschbar. Aber das hat hier Methode, denn Sternfeld setzt bewusst die formalen Mängel und die Beliebigkeit als Ausdrucksform ein und passt so seinen Stil auf kongeniale Weise dem Milieu an, das er dokumentieren will. »Diese Bilder sind keine Einzelstücke. Der Gedanke ist, dass es tausende solcher Bilder gibt. Handyfotos sind überall,« sagt er in dem Dokumentarfilm »How to make a Book with Steidl«.

Ein weiterer Grund, das iPhone zu benutzen war pragmatischer Natur, denn diese »Kamera« ermöglichte ihm ein unauffälliges Agieren in einer Umgebung, in der fotografieren nicht erwünscht ist. »Es ist nicht schön, so was mit den Leuten zu machen«, gab er zu.

Trotzdem entschied Sternfeld sich dafür, die Bilder ohne Wissen und Einverständnis der Porträtierten aufzunehmen. Er trieb die Camouflage dabei sogar so weit, dass er beim Fotografieren mit Hilfe des Programms »Fake Caller« so tat, als schaue er während eines Telefonats auf dem Display etwas nach, um dann im geeigneten Augenblick den Auslöser zu betätigen.

So fehlt die räumliche Distanz, die seine vorangegangenen Arbeiten oft auszeichnete, bei »iDubai« völlig. Er war immer mittendrin im Geschehen, eine Arbeitsweise, mit der er an seine ganz frühen Fotografien im Stile der klassischen »Street Photography« anknüpfte. Und dennoch: bei näherer Betrachtung sind die Bilder aus »iDubai« wieder »Landschaftsfotografien« in Sternfeldscher Tradition.

Ebenso Sternfeld like: Die manchmal bissige Ironie, die viele seiner früheren Aufnahmen auszeichnet, findet sich auch in »iDubai« wieder, genauso wie der systematische Einsatz eines bestimmten Aufnahmemediums zur bestmöglichen Umsetzung des Themas. Joel Sternfelds Aufnahmen in »iDubai« sind bewusst ohne großen künstlerischen Anspruch fotografiert, das Einzelbild ist bedeutungslos geworden. Trotzdem oder gerade deshalb gelang ihm eine bemerkenswerte Serie, in der er wieder einmal das Medium Fotografie auf unerwartete Weise reflektierte, ein hochaktuelles Thema aufgriff und gleichzeitig sein Repertoire durch die Benutzung einer ordinären Handykamera um eine interessante Facette erweiterte.

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Joel Sternfeld
iDubai

Steidl, Göttingen 2010
. 160 Seiten, 70 Farbabbildungen
, Hardcover, 20,3 x 25,4 cm
Mit einem Essay von Jonathan Crary

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Michael Klein-Reitzenstein

Buchhändler im Haus der Photographie, Hamburg, stellt im FREELENS Magazin regelmäßig seine Favoriten unter den neu erschienenen Fotobüchern vor.