Magazin #04

Twen – Fremdling im Land der Riesen

Das dritte Leben der Zeitschrift twen

Text – HEIKO HAUPT

Es begab sich vor langer, langer Zeit. Da fanden sich landauf, landab Redaktionen, die Geschichten freudig annahmen und sie auch druckten. Bunte Geschichten, andere Geschichten – gute Geschichten. Redaktionen von Zeitschriften, die machten, was sie für gut befanden. Nicht was sie auf Marketing-Geheiß für gut befinden mußten.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann sind sie heute groß und mächtig. So groß, daß sie den Mut verloren haben, all die anderen, die nicht marktgetesteten Geschichten zu drucken. Aus Angst, ein falsches Wort, ein schlimmes Bild auf ihren Seiten könnte einem X-tel Prozent der umworbenen Leserschaft mißfallen. Da werden Spannung und Ästhetik dem Nutzwert geopfert, wird die stimmungsvolle Reportage dem was-weiß-ich-wievielten »Themenschwerpunkt«-Sammelsurium geopfert.

Doch wie es so ist in Märchen. Im Land der bösen Ritter taucht irgendwann ein Fremder auf. In Lumpen gekleidet und von vielen belächelt. Doch während die Großen und Mächtigen auf den Fremdling herabsehen, klatscht das Volk ihm zu; während sie alle sich längst mit den Machtverhältnissen abgefunden haben, macht der Fremdling was er will – um damit genau das, was sie alle am liebsten täten.

Unser Fremdling heißt twen. Wie bitte? Genau jenes einst so kultige Magazin, dem nicht wenige mittlerweile schon fast musealen Wert zugestehen. Ein Blatt, das, frech und neu wie es war, etwas mehr als ein Jahrzehnt lang für Furore sorgte. 1959 geboren blühte es in den sechziger Jahren beim Springer-Verlag auf. Ende des Jahrzehnts wurde es dann von Gruner + Jahr übernommen – und entschlummerte 1971.

So unbekannt also ist der Fremdling nicht. Und daß sein Name nun wieder durch die Lande irrt, löst bei den Mächtigen zwiespältige Reaktionen aus. Die einen mögen den neuerlichen Wiederbelebungsversuch belächeln – schließlich gab es schon 1980 einen solchen Plan. Der gedieh sogar zu gedruckten Exemplaren, brachte es auf eine Auflage von 70.000 Stück. Mußte aber nach einem Jahr wieder aufgegeben werden, weil ein großer Verlag ihm Hindernisse in die Vertriebswege legte. Die anderen reagieren euphorisch – endlich traut sich jemand zu machen, wozu ihnen in den durchrationalisierten Vorstandsetagen schon vor den Tangos und Ergos die Courage abhanden gekommen ist.

Nun also wird am dritten Leben des Patienten twen gebastelt. Und das Projekt veranlaßt auch manchen im niederen Volk der Großverlagsgeschädigten Fotografen und Texter zu mittleren Freudensprüngen. Ein Blatt sei da geplant, das sich nicht nach den herkömmlichen Marketing-Schemata richten will. Eine Zeitschrift, die so gut sein soll, daß sie sich aus eben diesem Grunde auch bestens verkauft.

Kein Werbe-Trickser soll die Ideen auf Kurs bringen, sondern schlicht und einfach eine Gruppe twen-überzeugter Journalisten. Dabei sind die Oberen der befremdlichen Truppe beleibe keine weltfremden Blatt-Bastler. Sie haben ihr Handwerk bei denen gelernt, die jetzt in Mutlosigkeit verstauben.

Dr. Rainer Jogschies und Ulf Thomas heißen die beiden – und waren zur twen-Urzeit gerademal so weit, daß sie aus den Blättern des Magazins fluguntüchtige Papier-Segler falten konnten. Jogschies, heute 42 Jahre alt, erlebte zumindest die Wiederauferstehung von twen anfang der 80er als leitender Redakteur mit. Seitdem hat er für Spiegel, stern oder das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt geschieben, hat Sachbücher veröffentlicht und fürs Fernsehen gearbeitet. Ulf Thomas (40) ist gelernter Kameramann, hat es bei Sat 1 zum stellvertretenden Chefredakteur und stellvertretenden Programm-Direktor gebracht. Seit Januar ’96 ist er mit seiner Agentur Telepoint als Medienberater aktiv.

Über das Stadium einer bloßen Idee ist »twen die Dritte« mittlerweile weit hinausgewachsen. Acht Redakteure feilen an einer Nullnummer, nichtgenannte Layout-Künstler arbeiten an einem neuen Erscheinungsbild der etwas anderen Art. Die Suche nach einem Verlag ist ebenfalls weit gediehen. Was in der aktuellen Medienlandschaft verwundern darf: Schließlich haben sich Jogschies und Thomas zum Grundprinzip gemacht, daß sie sich nicht reinreden lassen. twen könne nur funktionieren, sagen sie, wenn es nicht in die Interessen eines Großverlags eingebunden ist. Das hat natürlich den einen oder anderen Gesprächspartner verschreckt – aber nun scheint der Bruder im Geiste doch gefunden.

Beim bloßen Zeitschriften-Machen soll es in Sachen twen übrigens nicht bleiben. So ist geplant – was Wunder bei der Vergangenheit der twen-Chefs – daß Twen-TV die Familie erweitert. Stichworte: Digitales Fernsehen, Spartenkanäle. Und weil man sich die Rechte an dem Titel nun schon europaweit gesichert hat, wird an Twen-Bücher ebenso gedacht, wie an Twen-CDs oder auch Twen-Online.

Das allein zeigt schon, daß es nicht um eine bloße Neuauflage nach altem Muster geht. Schließlich wissen auch die Blattmacher, daß es die Zielgruppe von anno damals in dieser Form nicht mehr gibt. »Der Twen ist tot, es lebe twen«, lautet denn auch ein Motto für das Projekt. Verbunden mit der Umkehrung einer Plattitüde aus der Ur-»twen«-Endzeit: Trau keinem unter 30, heißt es heute. Und zeigt, wohin die Zeitschriften-Reise geht.

Bei aller Andersartigkeit ist es nicht so, daß die Macher ihr Projekt als Mauerblümchen mit Minderheiten-Status sehen. Gedacht wird nicht etwa in Auflagengrößen, wie sie Zeitgeist-Magazine à la Tempo oder Wiener letztlich mit Krampf erreichten. Unter 200.000 wolle man gar nicht erst anfangen, heißt es. Dafür, daß die letzte Null nicht alsbald wieder verschwinden muß, soll unter anderem ein ständig neues Erscheinungsbild sorgen, so daß Nummer 2 nicht wie Nummer 25 aussieht.

Und natürlich der Inhalt. Den wird nicht die irgendwann auf 16 bis 20 Leute anwachsende Redaktion inzestiös ausbaldowern – das neue twen soll ein »Forum für Fotografen und Autoren« sein. Eines, das für ein Zurück in Zukunft der Reportagen und Geschichten sorgen soll. Statt Mainstream Provozierendes und Freches, andere Fotos und individuelle Texte. Eben das, was die Riesen von heute erst zu dem gemacht hat, was sie nicht mehr sind.