Magazin #01

Wer tut es… wenn nicht wir selbst?

Über das Selbstverständnis von FreeLens

Text – ROLF NOBEL

Nun ist es soweit: FreeLens steht – mit Satzung und Vorstand, mit Büro und Konto. Und mit Freelens Magazin sowie steigenden Mitgliederzahlen. Für eine Schar von Individualisten, denen jede Form von Vereinsmeierei zuwider ist, ging die Gründungsphase relativ problemlos über die Bühne. So weit, so gut?

Die Zahl der Fotojournalisten in Deutschland liegt im Dunkeln. Aber rechnet man alle Kollegen zusammen – Tageszeitungs-, Bildbände-, Magazin-, News- und Presseagentur-Fotografen – so scheinen kursierende Zahlen zwischen 1.500 und 2.000 realistisch zu sein. Da nehmen sich 300 Mitglieder eher bescheiden aus. Zu wenige sind wir noch, um den Verlegern eine beeindruckende Organisation entgegenzusetzen. Denn darüber müssen wir uns im klaren sein: Werden wir in vernünftigen Gesprächen keine akzeptable Einigung über die uns betreffenden Probleme erzielen können, so müssen wir im Ernstfall einig handeln. Und hier gilt nun einmal die altbekannte gewerkschaftliche Erfahrung, wonach nur ein hoher Organisationsgrad die Durchsetzbarkeit ermöglicht.

DAS ENDE DES »HANNEMAN«–PRINZIPS

In fast allen Gesprächen äußerten sich Kollegen zustimmend zur FreeLens-Gründung: »Prima!«, »Überfällig!«, »Endlich!« Dennoch sind noch immer viele von denen, die den Gründungsaufruf unterschrieben, nicht eingetreten! Darunter auch einige prominente Kollegen. Wollen sie nicht in den Redaktionen anecken? Leuchtet ihnen die Notwendigkeit nicht ein? Oder ist es einfach die »Hannemann-geh-Du-voran«-Mentalität: Erst einmal schauen, nicht die Finger verbrennen und wenn es klappt, trotzdem davon profitieren – das scheint immer noch eine beliebte Fotografen-Taktik zu sein.

Einige Spiegel-Fotografen meinen, FreeLens beträfe sie nicht: »Ich habe noch niemals einen Vertrag unterschreiben müssen. Bei mir läuft es auch ohne FreeLens wie immer.« Dabei ist die gesamte Medienwelt im Umbruch. Nichts bleibt wie es ist. Zeitungmachen wird immer stärker ein wirtschaftliches Kalkül. So ist auch die Zahl der Fotoaufträge, mit denen der Spiegel in der Vergangenheit sein Archiv auf dem neuesten Stand hielt, drastisch zurückgegangen. Keiner wird mehr losgeschickt, um einfach mal das Unternehmen Bundesbahn von vorn bis hinten durchzufotografieren. Man bedient sich stattdessen billiger mit Archivfotos von Bildagenturen.

DIE »TRAUMJOB«-ZEITEN SIND VORBEI

Heute schon sprechen Großverlage offen davon, pro Jahr fünf neue Objekte auf den Markt zu bringen, von denen man bei drei Zeitschriften von vornherein mit dem schnellen Ableben rechnet. Bei diesem medialen Stochern im Nebel werden auch einige etablierte Magazine dran glauben müssen. Wer glaubt, er kann unbehelligt von alledem auf seiner rosaroten Wolke weiter fotografieren, ist ein Traumtänzer.

Jetzt haben die Fotojournalisten in Deutschland mit FreeLens erstmalig eine Organisation geschaffen, die zumindest vom Anspruch her allein deren Interessen zum Gegenstand hat. Inwieweit dieser Anspruch erfüllt wird, hängt nicht zuletzt von uns selbst ab. Schuldzuweisungen, die man Organisationen wie der Gewerkschaft IG Medien, dem Deutschen Journalisten-Verband oder dem BFF hatte machen können, weil man sich in ihnen erst eine Lobby für eigene Interessen hätte schaffen müssen, ziehen bei FreeLens nicht. Hier sprechen wir eine Sprache, jeder kann mitmachen und Einfluß nehmen – somit steht und fällt der Erfolg von FreeLens mit dem Einsatz eines jeden einzelnen Fotografen. Es ist eine große Chance, und die sollten wir nutzen.

Lange genug hat es ja gedauert. Im Elfenbeinturm unseres eitel gepflegten Individualismus haben die meisten von uns jahrelang geglaubt, sie bräuchten keine starke Organisation. Probleme mit Bildredaktionen konnten häufig im persönlichen Gespräch gelöst werden. Wenn es gar nicht anders ging, nahm man sich halt einen Anwalt oder gab klein bei. War der Streit gravierend und man verlor einen Kunden, so fand sich dafür unter den anderen Redaktionen häufig Ersatz. Die Zahl der Fotojournalisten befand sich in einem erträglichen Verhältnis zur Zahl der Aufträge.

Diese Zeiten sind vorbei. Mit der Mär vom »Traumjob Fotoreporter«, gepflegt von kamerabehängten Fernsehserien-Helden und den verklärenden Artikeln der Fotoamateur-Zeitschriften ist die Zahl der Fotojournalisten deutlich gewachsen. Der Kuchen, den wir uns teilen, aber nicht. Außerdem geht die Zeit großer Reportagen unweigerlich dem Ende entgegen. Ein Doppelseiten-Aufmacher und anschliessend ein paar mittelgroße bis kleine Fotos – das reicht den meisten Blättern. Dafür schickt niemand mehr einen Fotografen längere Zeit vor Ort. Schon heute füllen Archivfotos die meisten der bunten Zeitschriftenseiten gesichtsloser Magazine. Selbst hochwertigere Bildmagazine wie stern und GEO kürzen die Dauer der Reportagereisen. Vorbei die Zeiten, in denen GEO einen Fotografen sechs Wochen an einer Geschichte arbeiten ließ. Der Qualität des Bildjournalismus sind diese Veränderungen nicht dienlich. Wer aber – wenn nicht der Fotograf selbst – muß sich zum Sachverwalter einer qualitativ anspruchsvollen journalistischen Fotografie machen?

»KEINE UNTERSCHRIFT – KEIN AUFTRAG«

In den Verlagen bestimmen mehr und mehr stromlinienförmig geschulte Betriebswirtschaftler und ihre Designer-Taschenrechner die Arbeitsbedingungen der Fotografen. Kein großer Verlag, der nicht versucht, unsere Bilder in ihr eigenes Vertriebssystem, die Syndication, zu zwingen. Wer sich weigert – so die nicht einmal verhohlen ausgesprochene Drohung – werde halt keinen Auftrag mehr bekommen. Die Begründung, oft gehört: »Wir haben den Auftrag gegeben und die Kosten erstattet. Somit haben wir das Recht auf die Verwertung des Fotomaterials.« Abgesehen davon, daß diese Aussage falsch ist (lediglich unsere vertragliche Zustimmung gäbe ihnen recht), läßt sie viele wichtige Tatsachen unberücksichtigt.

Die Auftragsvergabe und die Bezahlung von Honorar, Reisekosten und Filmmaterial ist seit Jahrzehnten branchenüblich mit dem Erstdruckrecht abgegolten. Häufig folgt dem noch eine Sperrfrist von drei bis sechs Monaten, in denen die Fotos nirgendwo sonst in Deutschland gedruckt werden dürfen. Unterschreibt man keinen Vertrag vor der Abwicklung des Auftrages, so ist diese rechtliche Position im Konfliktfall maßgebend. Erst die vertragliche Zustimmung durch den Fotografen kann eine andere Rechtslage schaffen. Natürlich leistet kein Fotograf eine solche Unterschrift freiwillig. So wird diese Zustimmung häufig über wirtschaftlichen Druck erzwungen (»Keine Unterschrift – kein Auftrag!«). Manchmal erinnern die Methoden, wie das Beispiel von MAX zeigt, gar an frühkapitalistische Zeiten. Dort läßt man sich bei Aufträgen schon mal die Abtretung der gesamten Verwertungsrechte unterschreiben. Und in seinen Editorials mimt Chefredakteur Wrede dann mit allerlei humanistischem Engagement den Menschenfreund.

Viele von uns haben schon vor Jahren mit beträchtlichem finanziellen Aufwand eigene Vertriebssysteme aufgebaut. Agenturen wie Bilderberg, VISUM, Laif oder LOOK, gegründet von Fotografen, wollen ihren Fotografen und Eigentümern unabhängig vom Tagesgeschäft größere soziale Sicherheit schaffen. Jetzt versuchen einige Verlage, diesen Agenturen das Fotomaterial ihrer Vertragsfotografen, von dessen Verkauf die Agenturen und eine stattliche Anzahl von Angestellten leben, durch die eigene Verlagsagentur zu entziehen. Das wir uns dagegen wehren müssen, liegt auf der Hand.

VERTRIEBSRECHTE WEGEN SPONSORING?

Noch ist die Schaffung von Fotos ein überwiegend kreativer Akt und die Urheberschaft ein allemal wichtigerer Punkt für das weitere Bestimmungsrecht über die Fotos als die Bezahlung von Filmmaterial und Kilometergeld. Wobei die Verlage nicht einmal das mehr als jungfräuliches Argument verwenden dürfen, hat doch das Sponsoring von Reisekosten durch Airlines, Hotelketten, Reiseveranstalter und Leihwagenfirmen ein beträchtliches Ausmaß angenommen. Kaum eine Reisereportage, an der nicht ein Veranstalter mitfinanziert. Sollen die jetzt auch Vertriebsrechte an unseren Fotos bekommen, wo sie doch die Reisekosten übernehmen?

Dabei leben die Magazinfotografen noch vergleichsweise im Fotografenhimmel, betrachtet man die Arbeitsbedingungen der Bildbände-Fotografen. Die Buchverlage haben deren Honorare in den letzten Jahren drastisch gekürzt. Im gleichen Zeitraum sind alle Kosten, etwa die für Labore, Fotogeräte, Mieten und Fahrtkosten gestiegen. Für einen Bildband, der im Laden an die 80 Mark kostet und für den mindestens vier Wochen Fotoarbeit anfallen, werden dem Fotografen selten über 8.000 Mark gezahlt – Filmmaterial und Reisekosten inklusive, wohlgemerkt! Inklusive sind dabei auch die Weiterverwertungsrechte für den Verlag. Sogar vom Zweitverkauf der im Bildband gedruckten Fotos verlangen einige der renommierten Bildbandproduzenten von den Fotografen noch einen Anteil von 50 Prozent. Die Spitze des Übels allerdings sind Verleger – auch dies ist keine Seltenheit – die den Fotografen bei Vergabe des Auftrags nicht einmal einen Vorschuß für Filmmaterial und Reisekosten zahlen. Von Luft und Liebe zum Beruf getrieben, dürfen unsere Berufskollegen sich dann vier Wochen die Seele aus dem Leib fotografieren. Das Risiko, daß sich ihr Bildband anschließend nicht verkauft und sie Arbeitszeit, Material- und Reisekosten investiert haben, tragen sie allein. Wem es nicht paßt, der bekommt von den Buchverlegern zu hören: »Wenn Sie es nicht machen wollen, dann macht es eben ein anderer.«

Wir wollen keine erpressbaren Knipser sein. Mit der Schaffung eines verminderten Beitrags für Fotostudenten und Assistenten hat FreeLens ein Zeichen setzen wollen, für wie wichtig wir die nachrückenden jungen Fotografen halten. Sie sind es, die in ein paar Jahren unsere Jobs übernehmen. Und sie sind es auch, die im Ernstfall eingesetzt werden, wenn es gilt, ein einheitliches Vorgehen zu durchbrechen. Aber auch in ihrer Ausbildung gibt es Probleme, derer wir uns anzunehmen haben. So hat sich an einigen Hochschulen und Fachhochschulen längst eine Eitelkeit unter den Professoren breitgemacht, die den jungen Fotografen eine freie Entwicklung schwer macht. Da wird die Freiheit der Lehre dahingehend fehlinterpretiert, daß man aus den Studenten Abziehbilder der eigenen fotografischen Persönlichkeit machen will. Nicht nur der Stil des Lehrers muß bedingungslos kopiert werden, nein, sogar Kameratechnik und Fotomaterial werden vorgeschrieben. Wer’s nicht tut, wird aus dem Seminar gedrängt. Solchen Professoren, gut bezahlt von Steuergelder, wünscht man die 68er Studenten an den Hals. Also muß auch in diesem Punkt FreeLens in die Diskussion für eine vernünftige Hochschul- und Fachhochschulausbildung einsteigen.

Die genannten Probleme sind nur die Spitze des Eisberges. Vieles wissen wir selbst nicht, weil darüber nur im engeren Kollegenkreis gesprochen wird, aus der berechtigten Angst heraus, bei Bekanntwerden der Meckerei würde einem der Auftraggeber die Jobs entziehen. Wir müssen diese Fakten sammeln, Mißstände beim Namen nennen und auf ihre Beseitigung drängen. Auch die Namen derer müssen genannt werden, die Fotografen bislang als dumme, erpreßbare Knipser behandeln in der Erwartung, daß wir uns nicht wehren. Die Zeit, wo die wirtschaftliche Macht auf der Verwerterseite jeder Schikane und Ungerechtigkeit Vorschub leistet, muß vorbei sein. Unsere Kollegen von der amerikanischen Fotografen-Gewerkschaft ASMP, die diese Dinge seit Jahren in ihrem Magazin aufgreifen, geben uns dafür viele Beispiele.