Magazin #31

Wir sind keine devoten Auslösefinger

June O’Sullivan und Levi Zimmermann haben Einfluss. Vor einem Monat wurden sie in das Exekutiv-Kommité von »cover.me« gewählt, jener erstaunlichen Multiplattform, die in den letzten Jahren einen kometenhaften Aufstieg erfahren hat. FREELENS Magazin hat die Bildgestalter in ihrem Studio in den ehemaligen Schlachthöfen des Hamburger Schanzenviertels besucht

Interview – FREELENS

FREELENS: Warum engagiert ihr Euch bei »cover.me«?

June O’Sullivan & Levi Zimmermann: Wir fühlen uns dort mit unserer Arbeit gut aufgehoben. Es ist ein Medium, dass einen genauen und intensiven Blick auf das gesellschaftliche Geschehen wirft. Seit die Mainstream-Medien völlig zur Werbewirtschaft übergelaufen sind, und nur noch seichtes PR-Gesäusel von sich geben, wächst »cover.me« ständig.

Worauf basiert das Konzept des Portals?

Es geht um Gegenöffentlichkeit, ein Begriff aus den legendären 1968iger Jahren. Es war der erste Versuch andere Sichtweisen als die herkömmlichen Medien zu verbreiten. Diese Art von Subkultur hat »cover.me« aufgegriffen. Heute ist aus dem Ansatz ein relevantes Medium entstanden. Das versprengte Häufchen von Individualisten wurde zur Medienmacht.

Nun ja, laut der letzten IVW-Summary erreicht »cover.me« einen Marktanteil von 7,2 Prozent – nicht gerade die Welt, oder?

Sicherlich, gegen die Macht der großen internationalen Kommunikationsunternehmen, die ihr Geld mit den Massenmärkten verdienen, sind wir winzig.

Viele der ehemaligen Großverlage, heute bescheidene Abteilungen von Apple, Xiao, Sony und Indimedia, haben die komplette Kommunikation in der Hand, dominieren den Netzmarkt, die Telefonie – auch wenn das eine schon fast historische Unterscheidung ist – und das Fernsehen. Doch seit das einst traumhafte Aktiengeschäft nicht mehr lohnt, sind auch sie auf dem absteigenden Ast. Die Währungskriege der frühen 2010er Jahre und die restriktiven internationalen Börsengesetze haben deutliche Spuren hinterlassen.

Was ist bei »cover.me« anders?

Das Portal vereinigt ein ganzes Heer von Medien, die von Gruppen, Organisationen und Einzelkämpfern bestückt werden. In diesem Netzwerk beleuchten Medienmacher unsere Welt in ihrem individuellen Stil. Als Meinung, Nachricht oder Feature vom emotionalen Bewegtbild bis zur messerscharfen Analyse, vom kleinen Fotoblog bis zur umfangreichen Datensammlung. Mit im Boot sind die Medien gemeinnütziger Verbände, NGOs, politische und kulturelle Einrichtungen, Umweltorganisationen, Künstlervereinigungen bis hin zu nachhaltig arbeitenden Banken.

Levi Zimmermann hat seine persönliche Spielwiese auf dem Kunstmarkt gefunden. Foto: Achenbach & Pacini
Levi Zimmermann hat seine persönliche Spielwiese auf dem Kunstmarkt gefunden. Foto: Achenbach & Pacini

Und was macht so ein kleines Bildgestalter-Büro wie ihr im Exekutiv-Kommité?

Wir kamen über den Minderheitenbonus hinein. Auch wir wollen dem Kasperltheater der Medienindustrie, die sich auf Sensationen und seichte Unterhaltung kapriziert, etwas entgegensetzen. Individualismus statt Schablonendenken, Humanismus statt Menschenverachtung, Meinungsbildung statt Verdummung, Nachhaltigkeit statt Verschwendung. »cover.me« vertritt eine Haltung, die sich auch in den Themen unserer Arbeit niederschlägt.

Ihr betreibt Fotografie und Film. Was ist so besonders daran?

Eigentlich nichts Außergewöhnliches. Seit jedes Aufnahmegerät eine Filmkamera ist und Stillpics bei Bedarf aus dem Bewegtbild geclipt werden, arbeitet fast jeder Profi in beiden Bereichen. Da wir beide aber Nostalgiker sind, holen wir gern noch unsere alte 80 Megapixel-Kamera hervor. Das mag vielleicht konservativ klingen, es macht uns aber einfach Spaß, uns konsequent auf Momente zu konzentrieren. Diese klassischen eingefrorenen Bilder haben ihre Faszination nicht verloren. Wir haben uns damit in der Kunstszene eine Fangemeinde geschaffen, ich mit meinen konzeptionellen Arrangements und June mit ihren dokumentarischen Serien.

Bildet das eure wirtschaftliche Grundlage?

Nur zum Teil. Diese Spielfelder, die jeder für sich beackert, sind finanziell zu unbeständig. Ein wichtiges monetäres Standbein ist die Fotografie für Unternehmen – genauer gesagt für eine einzige Firma. Einen der ehemaligen Energiegiganten, der die regenerative Wende verpasst hat und nun wieder auferstanden ist. Er betreibt Farmen mit künstlichen Bäumen, die Kohlendioxyd aus der Atmosphäre filtern. Einmal im Jahr befeuern wir deren Geschäftsbericht mit netten Porträts, inszenierten Technikszenen und einem Imagefilm zum virtuellen Bericht des Aufsichtsrates.

Aber das ist doch auch die vorhin so gescholtene Werbung, oder nicht?

Sicherlich. Aber zumindest nicht für ein kritikwürdiges Produkt. Es ist unser Stück vom Kuchen Corporate Publishing, einem Segment, das an Investitionsvolumen und Anzahl der Publikationen die journalistischen Nachrichtenmedien in den Schatten stellt. Auch wenn wir dabei engagiert und absolut professionell arbeiten, liegt uns die PR-Arbeit nicht gerade am Herzen – aber ohne sie wären unsere freien Arbeiten nicht möglich.

Ihr seid bekanntlich durch euren Film »Mindmaschine« zu vielzitierten Medienprofis geworden. Welchen Stellenwert haben eure freien Projekte?

Darauf liegt unser hauptsächliches Augenmerk, auch wenn wir nur ein bis zwei Projekte im Jahr realisieren können. Wir verstehen uns als Produzenten. Mit unserer derzeitigen Arbeit »All Or Nothing« beschäftigen wir uns mit Kritikern des globalen Finanzsystems. Wir haben Finanziers, Manager und Fantasten besucht, die hoffnungsvolle Projekte vorantreiben. Sie betreiben Unternehmungen, die den Spekulantenmärkten eine Absage erteilt haben und in der Realwirtschaft zuhause sind. Viele Interviews, stundenlanges Ton- und Bildmaterial sind bislang nur im Grobschnitt zusammengefügt. Nun drängt die Fertigstellung.

June O’Sullivan sieht sich als Journalistin. Foto: Achenbach & Pacini
June O’Sullivan sieht sich als Journalistin. Foto: Achenbach & Pacini

Gibt es einen Veröffentlichungstermin?

Nein, aber unsere Follower erwarten nun endlich auch das Endprodukt, die Langfassung zu sehen. Schließlich bekamen wir von ihnen wertvolle Hinweise für unsere Arbeit. Schon im Anfangsstadium haben wir die Zuschauer mit eingebunden, sie mit kleinen Meldungen in Netzwerken und mit Snippets bei »cover.me« versorgt. Ohne die sozialen Netzwerke und unseren Blog, die wir fast täglich aktualisieren, wären wir nicht so erfolgreich.

Warum setzt ihr auf euer Netzwerk?

Weil alles immer komplexer wird. Während des Studiums habe ich noch ganz naiv gedacht, wir würden uns nur mit Bildern beschäftigen. Dass man heute selbst aktiv werden muss, um nicht nur als willenloser Auslösefinger wahrgenommen zu werden, habe ich dann feststellen müssen. Das bedeutet aber auch, dass man sich um Konzeption und Recherche, bis hin zu Softwareaktualisierungen und Betitelung, um alles kümmern muss. Andererseits gibt es kaum einen Beruf der so vielseitig und interessant ist wie unserer.

Was gehört zu der Umsetzung eurer freien Projekte dazu?

Zusätzliches Know-how und Geld. Bei der Realisation unseres vierten Langzeitprojektes haben etliche Spezialisten geholfen: Autoren, Grafiker, Übersetzer und Programmierer. Finanzielle Spritzen gab es über das Stipendium einer Stiftung und von einer NGO. Mit der Vernetzung stehen wir aber nicht allein da. In den letzen Jahren haben sich Kollegen immer häufiger zu Gemeinschaftsbüros zusammen geschlossen. Einzelkämpfer sind eine Seltenheit.

Warum überhaupt eigene Projekte?

Wir gehören zu den Unverbesserlichen. Es geht uns nicht allein um die Ästhetik, die in unseren Bildern Ausdruck findet. Wir wollen unsere eigenen Geschichten erzählen, etwas bewegen in einer Gesellschaft, die nun wahrlich nicht perfekt ist. Grundsätzlich arbeiten wir an unserer Unverwechselbarkeit, an einer Autorenschaft die nicht austauschbar ist. Das ist unserer Meinung nach das universelle Überlebenskonzept in einer harten Branche.

Steht das nicht im Widerspruch zum weit verbreiteten User Generated Content?

Im Gegenteil. Dieser einstigen Plage des  guten Journalismus, den Amateurknipsern, können Berufsfotografen nur mit professionellen Konzepten etwas entgegensetzen. Sicherlich ist jeder Leser ein potenzieller Konkurrent. Bei den Bürgerjournalismus-Agenturen wie Tvype.com, Content24.eu oder StreetScout.de ebbt aber die große Welle ab. Nur weil es billig ist, sind diese Bilder rauf und runter veröffentlicht worden. Heute ist dieses Metier wieder auf seine eigentliche Funktion zurückgestutzt, nämlich unverhoffte Ereignisse von der Straße in Echtzeit auf den Sender zu bringen. Nur den Profis, die planlos in der Weltgeschichte rumknipsten, hat es den Ruin gebracht. Wer aber journalistische Qualität und eine klare Bildsprache pflegt, braucht sich vor so einer Konkurrenz nicht zu fürchten.