Magazin #31

Zurück zur Glaubwürdigkeit

Durch exzessive Bildbearbeitung hatte der Fotojournalismus den Bezug zur Wirklichkeit fast verloren. Um die Wahrhaftigkeit der Bilder wieder herzustellen, wird nun die zertifizierte Kamera eingeführt – als digitaler Fingerabdruck

Text – Manfred Scharnberg

Die Unsicherheit hat ein Ende. Wer bislang  den Zeiten nachgetrauert hat, als man Bildern noch glauben durfte, kann wieder Hoffnung schöpfen. FREELENS hatte sich lange dafür eingesetzt, und nun ist REGCAM Realität geworden. Registrierungen sind ab sofort möglich. Ab Oktober ist das Abruftool geschaltet und 2022 ist das System voll funktionsfähig. Nach langem Ringen um technische Modalitäten ist nun der automatisierte Abgleich für Kamera-Fingerprints funktionsfähig und wird vor allem von allen beteiligten Parteien unterstützt.

Das Prinzip der personengebundenen, eindeutig identifizierbaren Kamera gibt es schon lang, dennoch war es eine schwere Geburt. Nachdem Datenschutzbedenken ausgeräumt waren, hatte sich die Fotoindustrie weiter geziert, schließlich wollte man sich nicht in die Karten schauen lassen. Als aber der Weg gefunden war, das Auslesen des Rauschprofils zu standardisieren, ohne dass Kameraproduzenten die Software-Geheimnisse ihrer Bilddatenverarbeitung Preis geben müssen, war der Damm gebrochen. Seit Mitte 2020 bekommt jeder Profifotograf mit seiner Kamera den individuellen Fingerprint des Sensors mitgeliefert.

Der Registrierung bei REGCAM ist ganz einfach. Presseausweis in den Kartenleser einführen, Kameraverbindung zum REGCAM-Server herstellen und den Fingerprint übertragen. Dem Ethik-Kodex zustimmen: fertig. Das Zertifikat kommt per E-Mail. Redaktionen, Agenturen und alle professionelle Bildnutzer, die Wert auf Glaubwürdigkeit legen, haben nun die Möglichkeit Bildmaterial auf Authentizität zu prüfen. Mehr noch als um gesicherte Personen- und Geodaten, geht es um den Nachweis eines dokumentarischen Originalbildes, egal ob Still- oder Move-Material.

Die Idee, 2011 von Fotografen im Zuge der Bemühungen um eine Standard RAW-Format an FREELENS-Beirat Professor Gregor Fischer und das DIN-Institut herangetragen, basiert auf der individuellen Pixelstruktur jedes Sensors. Jede Kamera arbeitet mit einem spezifischen Rauschverhalten. Bei der Sensorproduktion ist es zwangsläufig, dass einzelne Pixel leichte Fehlergebnisse liefern. Und diese ergeben ein über den gesamten Sensor verteiltes charakteristisches Muster, welches nur dieser Aufnahmechip aufweist – den digitalen Fingerprint. Mit Hilfe des bei REGCAM hinterlegten Steckbriefs ist zweifelsfrei nachzuweisen, ob ein Bild manipuliert ist, oder »naturbelassen«.

Was demnächst als automatisiertes Verfahren schon nach dem Upload in die Redaktion im Hintergrund läuft, kann man getrost als Rettungsanker für die Dokumentarfotografie begreifen. Welche Fakes mussten wir in den letzten Jahren erleben. Das während der Unruhen zur Einführung der siebten Sozialreform entstandene Bild ist das eklatanteste Beispiel. Der Rentner mit dem Molotowcocktail wurde so dramatisch an die Polizistenreihe gerückt, dass es für Aufsehen sorgte, aber wenig mit der Realität zu tun hatte. Kein Wunder, dass niemand anders das Bild hatte, und es sich wie geschnitten Brot verkaufte. Beim World Press Award kam es bekanntlich mehrfach zu Disqualifikationen wegen Bildmanipulationen, und selbst Videosequenzen sind mit den Tools von Final Cut 9 leicht manipulierbar.

Klar, bei diesen Mogeleien mischen auch die Publisher der Sensationsmedien mit. Da sind mit flinken Fingern schnell die Wunschbilder hergestellt – je nach redaktionellem »Konzept«. Im Lifestyle Metier ist eine künstliche Welt zum Standard geworden, die nur noch schöne Menschen mit sauberer Haut, geraden Zähnen, ordentlicher Kleidung und idealen Proportionen zeigt. Dennoch gibt es die Unentwegten, die auf Dokumentarbilder schwören. Die klassischen Nachrichtenagenturen mit ihren eigenen Kanälen sind da ein leuchtendes Beispiel. Die Zwei-Klassen-Gesellschaft – die der echten und die der vermeintlichen Wirklichkeit – spaltet ja schließlich auch die Gemeinde der Bildgestalter. Die registrierte Kamera schafft Klarheit, wer welcher Fraktion angehört. Vermutlich wird die Gruppe der Dokumentaristen anwachsen – zumindest der Bildgestalter, die ihre Kamera bei REGCAM registrieren lassen. Denn Bilder von einem zertifizierten Sensor sind zudem leichter im Internet aufzuspüren. Ein ungeheurer Vorteil bei der Suche nach unberechtigten Veröffentlichungen, die heute zur Alltagsroutine eines Urhebers gehört. Der in den Bilddaten gut versteckte Fingerprint ist ein wirkungsvolles Werkzeug in der Hand der Urheber, um Lizensierungsverstöße zu entdecken. Bleibt nur zu hoffen, dass den Datentricksern und -dieben für einige Zeit das Leben schwer gemacht wird. Wahrscheinlich versuchen einige Computerspezies bereits die Sicherheitsschranken zu knacken. Ein ewiger Kampf. Fortsetzung demnächst in diesem Kino?