Magazin #25

Die Optimisten

Der Krieg ist vorbei – der Kampf beginnt. Ein Roman beschreibt das Ringen eines Fotoreporters mit seinen grauenvollen Erinnerungen.

Text – Dirk Kirchberg

Wie viel Grauen kann ein Mensch ertragen, vermeintlich geschützt durch ein Objektiv, ohne seelisch Schaden zu nehmen? Und wenn ihn das Grauen dann doch packt, Besitz ergreift von ihm, seiner Erinnerung, seiner Seele, wie geht er damit um? Mit diesen existentiellen Fragen beschäftigt sich Andrew Millers jüngster Roman »Die Optimisten«.

Nachdem er Zeuge eines Massakers in der Kirche des namenlosen Ortes N. wurde, kehrt der Fotojournalist Clem Glass aus Afrika nach London zurück. Er wirft Kleidung und Schuhe weg, fasst seine Kamera nicht mehr an und schrubbt seine Hände ab. Regungslos liegt er tagelang in seiner Wohnung und starrt an die Zimmerdecke. Dann wandert er apathisch durch die Straßen Londons. Die Richtung spielt keine Rolle. Nur bloß nichts erblicken, dass an eine der zu Hunderten verstümmelten Leichen erinnert und die gespeicherten Bilder wieder hervorruft.

Die Schilderungen der ersten Seiten lassen den Leser bereits ahnen, dass Glass’ Versuche, seine Erinnerungen zu verdrängen, nicht lange erfolgreich sein werden. Auch wenn Miller im Nachwort zu »Die Optimisten« erklärt, der Roman basiere zwar auf einer wahren Begebenheit während des Völkermords in Ruanda 1994, handele aber nicht vom Völkermord selbst, verleiht er seinem Buch doch einen Realitätsbezug, der den Leser nicht mehr los lässt: Das im Roman erwähnte »Massaker in N«. spielt auf das tatsächliche Massaker von Nyarubuye an, bei dem um die 20000 Männer, Frauen und Kinder, die in einer römisch-katholischen Kirche Zuflucht gesucht hatten, auf bestialische Weise ermordet wurden. Bilder, zu grauenhaft, als dass Clem sie auf Dauer fernhalten könnte.

Für eine innere wie äußere Konfrontation ist Clem Glass aber noch nicht bereit. Er flüchtet – erst zu seinem Vater, in eine Mischung aus Männer-WG und Kloster, dann nach Kanada zu einem Kollegen, der ebenfalls Zeuge des Massakers in N. wurde und seine Erlebnisse verarbeitet, indem er Essen an Bedürftige austeilt, um letztlich mit seiner psychisch erkrankten Schwester Clare aufs Land zu gehen.

Während Clem seinem Dämon in der wirklichen Welt begegnet ist, wird Clare von inneren Dämonen gepeinigt. In der Abgeschiedenheit der unversehrten Natur sollen ihre wunden Seelen heilen. Diese Art von Ein- und Abkehr kennen wir von realen Fotojournalisten wie dem World Press Photo-Gewinner von 2000, Claus Bjørn Larsen, der nach seinem Aufenthalt im Kosovo wochenlang sein Haus in Dänemark anstrich und keine Kamera anfassen konnte.

Von Greueltaten wie denen in Bosnien, im Kosovo und Ruanda wissen wir, weil die »Berufstouristen«, wie Susan Sontag Reporter in ihrem Buch »Das Leiden anderer betrachten« abschätzig nennt, uns mit Informationen versorgen. Wir werden zu Zuschauern bei allen möglichen Katastrophen. Die »stetig wachsende Flut von Informationen über die Leiden des Krieges« stellt uns immer wieder vor die Frage, wie wir auf diese Bilder reagieren sollen. Denn, »wen der Terror der Bilder nicht zum Terroristen macht, den macht er zum Voyeur«, so der Philosoph Hans Magnus Enzensberger. Boulevardblätter wie Nachrichtensender und einschlägige Internetseiten beweisen dies Stunde um Stunde mit steigenden Auflagen und wachsenden Ratings und Clicks. Denn die alte Regel gilt nach wie vor: »If it bleeds, it leads.«

Manche Situationen in »Die Optimisten« muten zwar konstruiert an, aber in den vermeintlich kleinen und unscheinbaren Momenten entfaltet der Roman eine Kraft und Tiefe, die so manchem zeitgenössischen Buch gut tun würde.

Andrew Miller
Die Optimisten
Roman
Wien: Zsolnay Verlag 2007
336 Seiten – fest gebunden, 21,50 Euro

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Dirk Kirchberg
arbeitet als freier Autor, Konzepter und Online-Redakteur in Hannover.