Magazin #34

Überschwemmte Insel der Glückseligkeit

Editorial – Peter Lindhorst

Anfang der neunziger Jahre befand ich mich auf Elysion, jener in der griechischen Mythologie beschriebenen Insel der Seligen. In der Tat kam der Ort, an dem ich damals arbeitete, dieser Insel gleich. Eine der ersten Fotobuchhandlungen, sehr überschaubar und exklusiv im Sortiment. Längst nicht alle Regale waren mit Fotobänden besetzt. Wenige Kunstverlage produzierten Fototitel, die man fast ausnahmslos und in beachtlicher Stückzahl bestellte. Bücher von Irving Penn oder Albert Watson, reine Übersichten im Coffee-Table-Gewand, wanderten wie warme Semmeln über die Theke. Daneben reüssierten Bände, die radikale Inhalte und eine bestimmte subjektive Sicht auf die Welt anboten. Über Nick Waplingtons »Living Room« kam man mit seinen Kunden unweigerlich ins Gespräch.

Und heute? Das spricht man nicht über das Fotobuch, weil jeder über alle möglichen Bücher spricht. Kein Thema, das nicht Einzug ins Fotobuch findet. Kein Fotograf, der nicht ein »Projekt« aus der Schublade zieht und zum Buch machen will. Ausufernd sind die Programme der großen Fotobuchverlage. Dazu gesellt sich ein wachsender Sektor der Self-Publisher. Die Digitalisierung bewirkt eine Demokratisierung der Produktion. Über das Netz nimmt man die Distribution gleich selbst in die Hand. Wer genügende Energie bei Finanzierung und Marketing entwickelt, kann die eigene Kleinauflage ohne großes Risiko realisieren. Damit ist ein Schleusentor geöffnet. Überbordend drängen die Bücher auf den Markt. Aber kommen auch immer mehr Käufer? Die das Fotobuch umgebende klassische Infrastruktur bricht aus vielerlei Gründen weg, einige Protagonisten sind schon sang- und klanglos verschwunden. Viele große Verlage sind zu einem Umdenken gezwungen, um dauerhaft bestehen zu bleiben.

Dem Fotografen muss klar sein: Mit dem Fotobuch lässt sich kein monetärer Erfolg erwirtschaften. Mit der anderen Währung »Aufmerksamkeit« bezahlt zu werden, ist noch aussichtsloser. Ein Buch gerät vor allem dann in den Fokus, wenn es vergriffen ist und für unanständige Summen im Sammlermarkt gehandelt wird. Derzeit konkurrieren viele Festivals, Messen, Events, auf denen Fotobücher angeboten werden, miteinander. Dazu kommen Internetbuchhändler, Blogs, You-Tube-Buchtrailer, unzählige Ankündigungen im Social Media. Wie den Überblick bewahren? Dies könnte die Chance einer neuen Buchhändlerspezies sein, sich aus der tradierten Rolle zu lösen und als Informationshändler zu fungieren.

Die Buchhandlung, in der ich einst arbeitete, existiert weiterhin. An verändertem Ort und unter anderem Namen. Es geht ihr gut. Das freie Regal wird man dort allerdings vergeblich suchen. Eine riesige Bücherwelle überschwemmt uns. Bleibt abzuwarten, wer am Ende oben schwimmt.

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Peter Lindhorst

Chefredakteur des FREELENS Magazins