2. Juli bis 27. August 2016
L.A. Galerie Lothar Albrecht

Joachim Schumacher

2. Juli - 27. August 2016

Erst um 1930 hatte sich der Begriff Ruhrgebiet etabliert, der keine geografische oder verwaltungstechnische Bezeichnung impliziert, sondern sich eher verstehen lässt als dem Einzugsgebiet der Ruhr bzw. eigentlich eher der Emscher zugehörig. Das Ruhrgebiet scheint eher eine »gefühlte« Region zu sein, die die Menschen verbindet. Diese Gemeinsamkeiten in ihren mikro- und makroartigen Erscheinungen und Überschichtungen sind es, die Schumacher als Chronist und Künstler dokumentiert.

Joachim Schumachers Bilder sind geprägt durch eine dokumentarische Herangehensweise, sein Sujet ist eher die Landschafts- als die Stadtfotografie. Die Motive sind Industriebrachen in ihrer charakteristischen Mischung aus Naturresten und Industrierelikten. Die Stadt mit ihren Straßen und Häuserzügen, die vom schnellen Wechsel in ihren Nutzungen geprägt ist, fotografiert er in ähnlicher Weise. Die Bilder sind stets fast menschenleer, im Grunde wirken sie wie ausgestorben, das diffuse, immer gleiche Licht tut ein Übriges. Die von Menschen massiv veränderte Landschaft wirkt wie freigestellt, sachlich, etwas distanziert. Viele Ansichten bestechen durch eine Art absurde Tristesse mit zahllosen Satellitenschüsseln, jeder Menge grauem Beton und billigen Plakaten neben der Fassade eines Wettbüros.

Bochum-Hofstede, Einkaufspark Hannibal (ehemalige Zeche), 2014. Foto: Joachim Schumacher
Bochum-Hofstede, Einkaufspark Hannibal (ehemalige Zeche), 2014. Foto: Joachim Schumacher

Die Bilder sind oft an der Grenze zur Satire, dennoch verleiten sie nicht zum Lachen. Aber der Betrachter erschrickt auch nicht angesichts der Tristesse. Den Bildern ruht eine eigentümliche Würde, ja Schönheit des Wirklichen inne. Ihre Kraft beziehen sie u. a. aus der Tatsache, dass sie sich gekonnt und selbstbewusst den Suggestionen jener Fotografie entgegenstellen, die vom Stadt- und Regionalmarketing in Auftrag gegeben werden. Auf diese Weise befriedigen Schumachers Bilder vielleicht auch eine Sehnsucht nach dem Echten und Authentischen. Seine Motive sucht er übrigens mit dem Fahrrad, immer da »wo Menschen alltäglich leben«.

Es ist eine bemerkenswerte Unaufgeregtheit in Schumachers Bildern, eine Gleichmut ohne Gleichgültigkeit. Eine fast kontemplative Stimmung, was seine teils schnurgeraden Fluchten (etwa bei den Emscherkanal-Bildern) oder die weiten Perspektiven unterstützen. Schumacher ist ganz Chronist und dieser Rolle fühlt er sich verpflichtet. Ihm geht es darum, möglichst authentisch zu sein. Seine sehr überlegten Bilder sind wohlproportioniert, nicht hässlich, nicht schön. Eher zeigen sie eine innere »Normalität«, die die Heimat des Fotografen als eine »Von dieser Welt« beschreibt.

Duisburg-Bruckhausen, 2003. Foto: Joachim Schumacher
Duisburg-Bruckhausen, 2003. Foto: Joachim Schumacher

Nicht im Sinne von »Woanders ist auch scheiße«, eher im Sinne von »Endlich so wie überall«. Aber auch das wird den Bildern nicht gerecht, denn sie haben eine innere Autorität dadurch, dass sie ohne semantischen Überbau authentisch wirken. Es ist klar, dass Fotografie nicht Wahrheit ablichten kann, doch für den Fotografen ist diese Disziplin »näher dran«. Schumachers Bilder bilden Wahrheiten ab, die Konsens sein dürften, wenn es um Orte »Von dieser Welt« geht: Orte im ständigen rasanten Umbruch. Orte, die beständig Überformungen ausgesetzt sind und wenig mit gestaltetem Stadtbild zu tun haben, bei aller Profanität dennoch Heimat sind.

Auffällig ist – und hier erkennt man den Experten, der sich 40 Jahre lang intensiv mit der Region beschäftigt hat –, dass er bei der Auswahl der Motive auf eine repräsentative Mischung der das Ruhrgebiet kennzeichnenden Ansichten achtet. Dazu gehören typische Materialien wie Beton und Asphalt, Grünflächen wie Rasen, Bäume und Sträucher, Verkehrswege wie Schienen und Straßen sowie die Fassaden und Fördertürme ehemaliger Industrieanlagen. Schumacher ist Fachmann für eine Ikonografie dieser Landschaft. »Fotografie muss sich stärker an der Wirklichkeit orientieren, sonst schwimmt sie mit der Malerei«, sagt er. So kommt es auch nie zu Überbetonungen, die auf starke Effekte zielen. Alles bleibt nüchtern und in dieser Nüchternheit steckt Poesie. Wie ein Archäologe legt Schumacher Zeitschichten frei. (…)

Duisburg-Bruckhaus, (Thyssen-Hüttenwerk), 2003. Foto: Joachim Schumacher
Duisburg-Bruckhaus, (Thyssen-Hüttenwerk), 2003. Foto: Joachim Schumacher

Man muss an dieser Stelle betonen, dass Farbfotografie eine andere Herausforderung für Joachim Schumacher darstellt als die ihm bis dahin so vertraute Schwarz-Weiß-Fotografie. Farbe ist echter, Farbe ist Emotion, sie ist viel schwerer beherrschbar und lenkt schnell ab vom Wesentlichen. Anders als die Struktur und die Form ruft die Farbe stärkere Emotionen hervor – für Fotografen gilt es, dies in den Griff zu bekommen und der Farbe nicht zu viel Gewicht zu geben. An den Farbaufnahmen Schumachers wird deutlich, wie gekonnt er diese Herausforderung angenommen hat. Man fragt sich, warum Schumacher als bekennender Chronist nicht schon früher die Farbfotografie für sich entdeckt hat, zumal man sich nicht vorstellen kann, dass er den Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus sentimentalen oder rein ästhetischen Gründen den Vorzug gegeben hat. Die Antwort darauf ist recht banal: Erst ab den 1990er Jahren konnten farbstabile Vergrößerungen angefertigt werden, die sich auch während der Archivierung nicht veränderten. Zu dieser Zeit etwa begann Schumacher Großbilder in Farbe zu produzieren.

Schumachers Bilder lassen den Betrachter anhand der öffentlichen und halböffentlichen, jedoch nie privaten Ansichten die Spuren, welche Geschichte und Gegenwart in die Region gegraben haben, ablesen. Das gleichzeitige Vorhandensein von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem zeigt sich in einer für die Region eigentümlichen Mischung. Dies spiegelt sich in allen Bildern wider, die einerseits von großen stadtplanerischen Umgestaltungen zeugen, aber auch individuelle, teils improvisierte bauliche Eingriffe wiedergeben. So entsteht beinahe der Eindruck einer etwas behelfsmäßigen Gemütlichkeit, die Individualität, Menschlichkeit und eine Art tiefere Schönheit offenbart – wie ein kleines inhabergeführtes Geschäft mit individueller Beschilderung inmitten eines großen Einkaufszentrums. Letztlich wird darin deutlich: Das Fotografierte ist das Ergebnis menschlichen Handelns in vielen Ausprägungen, vom großen ökonomischen Entwurf oder dem kleinen, individuellen, improvisierten Geschick. Die Atmosphäre seiner Bilder ist – wie bei anderen Werken der Kunst – nichts anderes als der verdichtete Inhalt menschlichen Wirkens.

(Text: Fabian Lasarzik aus »Von dieser Welt«, Buchkatalog, Verlag Kettler, 2014 zur Ausstellung Stiftung Zollverein)

Ausstellungseröffnung in der L.A. Galerie am 2. Juli 2016 von 11 bis 18 Uhr in Anwesenheit des Fotografen.

2. Juli bis 27. August 2016
Joachim Schumacher

L.A. Galerie Lothar Albrecht
Domstraße 6, 2. Etage, 60311 Frankfurt am Main

Geöffnet
Dienstag bis Freitag 12-19 Uhr
Sonnabend 11-16 Uhr

www.lagalerie.de