Magazin #09

reportage is back again

Manchmal wiederholt sich die Medien-Geschichte: Vier Jahre nach seiner Einstellung erscheint die britische Fotozeitschrift reportage wieder. Ein Experiment – mit gleichem Konzept und denselben Machern

Text – Rolf Nobel

Die Wiedergeburt fand klammheimlich statt: Die englischsprachige Fotozeitschrift reportage meldet sich auf dem Markt zurück – nach Absicht der Herausgeber viermal pro Jahr. Wie bereits vor dem zeitweiligen Verschwinden des Blattes im Jahre 1995 gehört auch diesmal Colin Jacobsen zum »Editorial Team«. Und schon das allein weckt Neugier. Machte er doch vor Jahren mit dem wöchentlich erscheinenden Independent Magazine, dem Supplement der britischen Tageszeitung, als Fotochef Furore. Leider hat der Verlag die herausragende Beilage inzwischen zu einem belanglosen, aber wohl billiger produzierbaren Allerweltsblatt umgemodelt. Jetzt also arbeitet Jacobsen wieder an reportage. Die Konzeption des durchgängig schwarzweißen Magazins mit etwa fünf bis sieben Fotogeschichten und dazugehörigen Kleintexten blieb unverändert. Das Heft ist ganz der klassischen schwarzweißen Erzähl-Fotografie gewidmet, die in vielen Ländern nach wie vor Auszeichnungen gewinnt, doch in den Magazinen rund um den Globus immer seltener gedruckt wird.

Schwäche des Blattes ist jedoch zweifellos sein Strickmuster – und es wurde gegenüber der bereits einmal gescheiterten Version kaum geändert. Ein kommerziell denkender Verlag würde seinem Chefredakteur vermutlich kräftig in den Hintern treten und ihm vielleicht anschließend die Kündigung noch mit einer Abfindung versüßen, brächte er nach einem Flop das gleiche Heft wieder auf den Markt. Indes nicht bei reportage. Dabei müsse man gerade bei diesem Objekt knallhart kalkulieren, meint Herausgeber Menno van de Koppel. Keiner der Mitarbeiter bekäme soviel bezahlt, daß er allein von seiner Tätigkeit für reportage leben könne. Das Blatt bleibt also auch weiterhin ein Magazin von Enthusiasten für Enthusiasten.

Aber ob es bei aller Begeisterung auf Seiten der Macher langfristig wirklich ausreicht, einfach ein paar Schwarzweiß-Reportagen ohne thematische oder aktuelle Bezüge hintereinanderweg zu drucken? Fotografen und Foto-Interessierte sind nämlich, allen anderen Gerüchten zum Trotz, oft auch oft bewußte und interessierte Leser. Und da langweilt es doch etwas, wenn man in einem Magazin eine Reihe von thematisch bunt zusammengewürfelten S/W-Geschichten vorgesetzt bekommt, die sich in der fotografischen Umsetzung noch dazu stark ähneln. So blättert man in Heft 3 fast übergangslos vom Leben und Sterben am Ganges zum Wall Memorial, gelangt von dort weiter zu Pornofilmerei und zur Gewalt gegen Frauen, und endet erschöpft in einem ruandischen Gefangenenlager, nachdem man noch Bilder von italienischen Festen gesehen hat, die für das Thema seltsam humorlos und trist fotografiert sind. Die Reise ins Herz der schwarzweißen Finsternis führt über größtenteils wohlbekannte Themen, die noch dazu fast sämtlich merkwürdig zeitlos wirken. Man hat das Gefühl, das alles schon mal irgendwo gesehen zu haben, manchmal auch besser.

Warum werden diese Geschichten also nochmal in reportage gedruckt, zumal die beigestellten Texte über eine nüchterne Vermittlung von Informationen nicht hinausgehen oder gar nur die Arbeitsweise des Fotografen beschreiben? Sie sind ein weiterer großer Schwachpunkte des Blattes und so lieblos geschrieben, als betrachteten wir Fotografen die Kraft des Wortes mit einer ähnlichen Arroganz wie manche Texter die Kraft unserer Bilder. So wichtig sollten wir uns auch in einem Fotografen-Magazin nicht nehmen, daß wir glauben, mit unseren Fotos ohne gleichrangige Sprache auszukommen. Gute Fotografie braucht die gute Schreibe wie ein Film den Plot. So sehr die Fotografie als journalistisches Medium ihre Stärken hat – ohne gute Texte kommt sie in reportage dann doch etwas zu museal daher. Und das kann sich wirklich nur ganz große Fotografie in solcher Konzentration leisten.

Ohne Frage: Die Zeitschrift unterstützt die ambitionierte Autorenfotografie, gegen alle Trends im Blätterwald, wo fast nur noch dekorative und illustrierende Magazinfotografie stattfindet. Dabei wird man aber das Gefühl nicht los, daß es der gleiche Kreis von Fotografen ist, der auch anderswo gefeiert wird, also immer wieder Krassowski, Towell, Mendel, Salgado usw.

reportage ist trotz seiner Schwächen vor allem bei den gegen die Farbnegativ-Beliebigkeit anknipsenden S/W-Fotografen geschätzt (auch beim Autor). Ob es jedoch überleben wird, ist unsicher. Die Zahl von bislang 26 deutschen Abonnenten spricht nicht gerade dafür. Da mag sich die lange Liste der »Friends of Reportage« im Heft noch so gut ausmachen. Dringend angebracht wäre es wohl, zumindest die fotografischen Stilarten mehr zu mischen bzw. andere Stile und Genres zuzulassen, wenn man vom Schwarzweiß-Purismus schon nicht abweichen will. Der Verpflichtung einer kritischen Sehweise widerspräche es schließlich nicht, wenn mehr Portraits oder auch Landschaften in reportage gedruckt würden. Und es würde möglicherweise verhindern, daß aus monochrom gleichzeitig monoton wird.

Die Ursache für die relativ geringe Verkaufsauflage des Magazins hat vermutlich mehr damit zu tun, daß das Konzept der Reportage-Zeitschrift nicht überall auf ungeteilte Freude stößt, als mit zweifelsfrei vorhandenen Marketing-Problemen. Trotzdem hat der größte Teil der deutschen Fotojournalisten noch nie etwas von reportage gehört oder aber nicht mitbekommen, daß das Blatt mittlerweile wiedergeboren wurde. Bis sich an der Konzeption des Magazins etwas ändert, werden die Leser wohl weiter mit ihren widerstrebenden Gefühlen leben müssen, die zwischen Begeisterung – die einige Reportagen zweifellos hervorrufen – und Langeweile hin und her schwanken.