Magazin #27

Auf dem Sprung durchs Zeitfenster

Fotografen, die ihre Reportage-Bilder aus dem Ausland im Stern gedruckt sehen möchten, müssen zunächst mal Harald Menk überzeugen. Das gelingt manchmal, wenn die Aufnahmen spektakulär sind und fast immer, wenn sie auch zur richtigen Zeit in Hamburg landen.

Text – Jochen Brenner
Fotos – Martin Schlüter

Auf dem Sprung durchs ZeitfensterDer Tsunami rollt heran, als der letzte Produktionstag endet. Mugabes Schergen beginnen nach Redaktionsschluss zu marodieren. Das World Trade Center stürzt ein, als die ersten Hefte gerade in den Druck gehen: Das Weltgeschehen schert sich nun mal nicht um Produktionszeiten und Deadlines. Und so schlagen Woche für Woche Magazinjournalisten eine makabere Schlacht gegen die Zeit. »Kriegen wir das noch mit rein?«, rufen CvDs über deutsche Redaktionsflure: montags früh beim Stern, dienstags abends bei der Zeit und freitags nachts beim Spiegel – Magazin-Journalismus als Waren-Termin-Geschäft.

Es sind neben den schreibenden Journalisten gerade die Fotografen, deren Produkte häufig den kurzen Halbwertszeiten des Redaktionsalltags ausgesetzt sind. Sie stehen unter dem Druck, spektakuläre Bilder zur richtigen Zeit liefern zu müssen. Für den Stern, das Prestigeobjekt des Verlages Gruner und Jahr und Doppelseiten-Paradies für Fotografen, arbeitet Harald Menk seit 19 Jahren daran, den richtigen Zeitpunkt für den Druck der besten Fotos zu finden. Als Bildredakteur betreut er »die im Ausland spielenden Reportagen« – so der Redaktions-Jargon. An Menk muss vorbei, wer den Stern zu seinen Auftraggebern zählen möchte. Das sind unter den Fotografen nicht wenige: Trotz seiner turbulenten Geschichte ist der Stern, den Freunde »Magazin« und Feinde »Illustrierte« nennen, immer noch eine Messlatte für Erfolg. Eine Doppelseite im Heft bedeutet Renommee, das Titelbild Ruhm.

Es mangelt deshalb auch nicht an Fotografen, die sich mit Themenvorschlägen bei Menk bewerben. Nur wenige aber haben Erfolg, die meisten scheitern an der Wahl des richtigen Zeitpunkts, dem Timing. »Es gibt den richtigen Moment fürs Anbieten nicht«, sagt Harald Menk, »so bitter das klingt«. Von seinem Schreibtisch in der Ecke eines lichtdurchfluteten Großraumbüros hält Menk Kontakt zu den Fotografen, betreut Geschichten, verteilt Aufträge. »Für jede Geschichte gibt es aber ein Zeitfenster«, sagt er. »Viele springen zu früh hindurch, die meisten zu spät und nur wenige im richtigen Moment.«

Auf eine Faustformel will sich Menk, ein grauhaariger Mittfünfziger, nicht festlegen, aber »alles was eine Woche nach dem Ereignis kommt, ist definitiv zu spät«, sagt er. »Dann war ein Stern-Fotograf schon dort, oder die Geschichte ist nicht mehr relevant. Im Fall einer Katastrophe brauchen wir das Bild in dem Moment, in dem sie passiert.«

Muss ein Fotograf hellsehen können? »Er muss die Situation richtig einschätzen können«, sagt Menk und erzählt, während auf seinem riesigen Monitor der Bildschirm-Schoner mit den Urlaubsfotos anspringt, von Christoph Bangert, einem jungen Fotografen, der nach Pakistan flog, als die allerersten Meldungen über ein Erdbeben Deutschland erreichten. »Er hat das auf eigene Kappe gemacht, ohne Auftrag, aus dem Gefühl heraus, dass daraus ein Thema würde«, sagt Menk. Er sollte recht behalten, obwohl anfangs nichts wie erwartet lief.

Als Bangert sich bei Menk in Hamburg meldete, sagte der ihm ab. »Zu dem Zeitpunkt interessierte uns das Thema noch nicht«, berichtet Menk. Erst einige Tage später, als das Ausmaß des Unglücks deutlicher wurde, begann Bangert offiziell im Auftrag des Stern zu arbeiten. »Als einer der wenigen hat er die Situation richtig eingeschätzt«, sagt Menk.

Auch bei einem späteren Einsatz auf dem afrikanischen Kontinent bewies Bangert das richtige Zeitgefühl. Er reiste nach Simbabwe, bevor Staatschef Mugabe Journalisten die Einreise verbot, wartete, bis sich die Situation zuspitzte, fotografierte und verschwand, ehe Mugabes Helfer eingreifen konnten.

Nicht alle Bilder entstehen unter solch lebensgefährlichen Bedingungen. Je berechenbarer die Aufgabe sei, desto mehr müsse sich der Fotograf nach den Bedingungen des Auftraggebers richten, meint Menk. »Wer für den Stern am Sonntag Abend oder Montag noch los fliegen will um ein aktuelles Thema zu fotografieren, ist zu spät dran«, sagt er und spielt auf den Redaktionsschluss des Sterns zu Wochenbeginn an. »Auch hier geht es um den richtigen Zeitpunkt: Das Timing des Fotografen hängt am Timing des Kunden. Letztlich spielt die fotografische Qualität eine kleinere Rolle als im richtigen Moment das richtige Foto zu machen und das dann auch noch rechtzeitig anzubieten.« Menk rät jedoch ab, auf vagen Verdacht hin in Krisengebiete zu reisen. »Die Gefahr, auf den Kosten für Flug und Unterkunft sitzen zu bleiben, ist groß, gerade für Anfänger.« Neben der aktuellen Krisenberichterstattung gehören auch Themen ins Spektrum des Stern-Auslandsressorts, die zeitlos sind oder langfristig geplant werden. »Wenn ein Fotograf eine gute Themenidee hat, die nicht drängt, sollte er sie anfotografieren und uns dann anbieten«, sagt Menk. »Er kann sicher sein, dass wir die Idee vertraulich behandeln.« Je erwartbarer das Thema sei, desto mehr müsse der Fotograf aber auch damit rechnen, dass der Stern das Thema aus eigener Initiative bearbeite. »Mit Vorschlägen wie Intifada in Israel, Piraten in Somalia oder Wahlen in den USA ist man als Fotograf nicht der erste und hat dann auch keinen Exklusivitätsanspruch«, sagt er.

Ein geradezu typisches »Timing-Thema« waren die Olympischen Spiele in China. »Wer als Fotograf zwei Monate vor Beginn einen Themenvorschlag schickte, hatte keine Chance mehr. Alle China- und Olympiathemen waren im Januar geplant und vergeben«, sagt Menk. Wie das populäre Thema dennoch ein Erfolg für freie Fotografen werden konnte, bewiesen Mathias Braschler und Monika Fischer. Sie reisten im Jahr vor den Spielen sieben Monate lang durch China und porträtierten dutzende von Einwohnern des Riesenreichs. Der Stern veröffentlichte vor den Spielen 14 Doppelseiten unter dem Titel »Das menschliche Antlitz Chinas«. »Das war Timing mit Vorglühen«, sagt Menk.

Zum Gefühl für den richtigen Zeitpunkt gehöre aber auch, das Auf und Ab von Themen zu beobachten, meint Menk. »Wenn sensible Themen wie Aids oder Hunger lange nicht gedruckt wurden, ist die Chance auf einen Auftrag höher«, sagt er. Ähnliches gelte für Themen-Kollisionen. »Das ist eine einfache Frage der Heftmischung: Wenn in den Alpen Bergsteiger verunglücken, drucken wir mit Sicherheit keine Wander-Reportage aus dem Ötztal.«

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Jochen Brenner
hat die Henri-Nannen-Schule besucht und arbeitet als freier Journalist in Hamburg. Zuletzt betreute er die erste Print-Ausgabe von einestages.