Magazin #15

Auf die Füße gestellt

Pech für die Möchtegern-Goliaths im Medien-Business: Per Gerichtsurteil wurde festgeschrieben, dass auch die scheinbaren Davids klare Rechte haben – weitere Diskussion zwecklos!

Text – Kay Dohnke

Irgendwie, so schien es, herrschte jahrelang im Geschäft mit Fotos und Texten verkehrte Welt: Die Abnehmer diktierten die finanziellen Bedingungen, forderten immer umfangreichere Nutzungsrechte, verwendeten urheberrechtlich geschützte Leistungen sogar ungefragt und ohne Bezahlung. Diese moderne Form der Piraterie, der schleichenden Enteignung galt unter den Verlegern als salonfähig. Und wer sich als Anbieter einer kreativen Leistung – oder neudeutsch: eines »content« – nicht drauf einlassen wollte, bekam keine Aufträge mehr.

WIDERSPRÜCHE VOR GERICHT

Zwei entscheidende Gerichtsurteile stellen die absurden Verhältnisse jetzt wieder vom Kopf auf die Füße – Resultat mehrjährigen Prozessierens, das auf Betreiben von Freelens begonnen hatte. Im Namen von 72 Mitgliedern klagte der Verein im Januar 1997 gegen die nicht autorisierte Zweitnutzung von insgesamt 7.600 Fotos auf Spiegel-CD-ROMs der Jahre 1989 bis 1993, für die der Verlag natürlich auch kein Honorar gezahlt hatte (das ist im Verlaghaus an der Hamburger Brandstwiete erst seit Februar 1994 üblich).

Im August 1997 wies die Urheberrechtskammer des Landgerichts Hamburg die Klage ab. Man meinte gegenüber Mikroverfilmung oder Jahrgangsbänden keine qualitative Veränderung feststellen zu können und bezeichnete die Forderung nach Zweithonorierung als »Fortschrittsbremse«. Peinlichkeit am Rande: In Ermangelung eines Computers hatten sich die Robenträger gar nicht selbst von den Funktionsmöglichkeiten einer CD-ROM überzeugt.

Grund genug für Freelens, angesichts einer so eklatanten Fehleinschätzung des Sachverhalts in Berufung zu gehen; auch diesmal wurde exemplarisch für 707 der vom Spiegel weitergenutzten Fotos Zahlungsklage erhoben. Und die kam sachkundigeren Richtern auf den Tisch: Der Dritte Senat des Hanseatischen Oberlandesgerichts erklärte im Juni 1998 die erhobene Schadensersatzklage dem Grunde nach für gerechtfertigt und untersagte dem Spiegel, die fraglichen Fotos weiter zu verbreiten. Die CD-ROM wurde eindeutig als neue und selbstständige Nutzungsart erkannt. Da der Spiegel aber nicht über die nötige Erlaubnis für die Nutzung der Fotos verfügte, habe der Verlag sich in 707 Fällen des Urheberrechtsverstoßes schuldig gemacht und sei zu Schadensersatz verpflichtet.

BAUCHLANDUNG

Das wollte der Spiegel-Verlag nicht auf sich sitzen lassen und legte Revision ein. Und trug damit seinen Teil zur Festschreibung urheberrechtlicher Grundsätze bei: Im Juli 2001 verwarf der Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Revision und stellte höchstinstanzlich den Charakter einer CD-ROM als eigenständige Nutzungsart urheberrechtlich geschützter Werke fest. Die Ansicht des Verlags, damalige CDs stünden in der Bildqualität hinter heutigen Standards zurück und hätten aufgrund ihrer simplen Technik kaum Recherchemöglichkeiten geboten, sah das Gericht als unerheblich an. Auch eine Zwangslizensierung – also die Verpflichtung der Fotografen, gegen angemessene Zahlung die Nutzung durch den Spiegel dulden zu müssen – lehnte das Gericht ab.

Zwischen Freelens als Vertreter der Fotografen und dem Spiegel müssen nun konkrete Verhandlungen über die Höhe und Modalitäten der Schadensersatzzahlungen geführt werden – andernfalls geht der Rechtsstreit weiter.

RECHTSVERSTOSS ONLINE

Parallel zum Spiegel-Verfahren ging Freelens auch gegen den Berliner Tagesspiegel vor Gericht – der hatte in zahlreichen Fällen gelieferte Fotos ohne Genehmigung und Honorierung auch in der Online-Ausgabe des Blattes genutzt sowie an die Potsdamer Neuesten Nachrichten weitergegeben. Nachdem Gespräche mit dem Tagesspiegel im März 1998 ergebnislos geblieben waren und er sich von 1.200 Protestschreiben von Fotografen unbeeindruckt zeigte, unterstützte Freelens in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Journalisten-Verband und der IG Medien im Namen von fünf Fotografen ein exemplarisches Verfahren wegen unerlaubter Weitergabe der Bilder an die juristisch eigenständigen Firmen Tagesspiegel Online-Dienste GmbH und die Potsdamer Zeitungsverlagsgesellschaft.

Am 14. September 1999 verhandelte das Landgericht Berlin die Klagen von fünf Fotografen nacheinander – und gab ihnen statt: Den Bildjournalisten wurde ein Anspruch auf Schadensersatz zugebilligt und dem Tagesspiegel die Weiterverwendung der Fotos sowie ihre unautorisierte Weitergabe untersagt. Die Online-Veröffentlichung wurde als neue, eigenständige Nutzungsart eingestuft, die das Einverständnis der Urheber nötig macht und auch honorarpflichtig ist. Um Zahlungsansprüche beziffern zu können, wurde der Tagesspiegel zur Auskunfterteilung über den Umfang der ungenehmigten Nutzung verpflichtet.

Doch auch diesem Verlag wollte der Richterspruch nicht gefallen, und er ging in die nächste Instanz. Vergebens: Am 24. Juli 2001 bestätigte das Kammergericht Berlin die vorausgegangene Entscheidung erwartungsgemäß – ein weiterer wichtiger Sieg der Fotografen und des Urheberrechts.

PERSPEKTIVEN

Die Situation der Urheber scheint sich ein wenig zu bessern – und das nicht nur bei uns: Jonathan Tasini gewann das Supreme-Court-Verfahren gegen die New York Times, demzufolge Artikel freier Autoren in elektronischen Online-Datenbanken honorarpflichtig sind, und Jerry Greenbergs Klage gegen unerlaubte Fotonutzung auf CD-ROMs der National Geographic geht in eine weitere Runde. Negative Trends sind damit zwar nicht gestoppt, aber sie verlangsamen sich.