Magazin #24

Das Auge des Fotografen

von DIRK HALSTEAD

Wenn man den Übergang von Film auf digitale Technik mit einem Erdbeben der Stärke 5 vergleicht, so wird das, was in den nächsten zehn Jahren die Fotografie verändert, einem Beben der Stärke 10 entsprechen.

Bereits seit acht Jahren sagt The Digital Journalist, das monatlich erscheinende Online-Magazin für visuellen Journalismus, viele dieser Veränderungen voraus. 1997 behaupteten wir, die Tage des Fotografierens auf Film seien gezählt. Des Weiteren konstatieren wir, dass Fotojournalisten zukünftig keine Standfotos mehr machen, sondern vorwiegend Video als Erwerbsmedium einsetzen würden. All dies ist bereits Realität geworden. Die meisten Hersteller produzieren schon keine herkömmlichen Film-basierten Kameras mehr. Und Zeitungsfotografen werden immer häufiger darum gebeten, Videos für Webseiten zu erstellen.

Durch diese seismischen Bewegungen, die bereits in vollem Gange sind, wird die Art und Weise, wie Fotografen Bilder aufnehmen und präsentieren, grundlegend verändert werden. Es könnte innerhalb der nächsten zehn Jahre natürlich zu einem Dritten Weltkrieg kommen, womit all unsere Spekulationen hinfällig wären, aber einige Entwicklungen dauern bereits so lange an, dass sie kaum noch aufzuhalten sind.

Bis 2017 dürften die großen Kamerahersteller im Bereich Still-Fotografie die Produktion eingestellt haben. Von den großen Unternehmen, die derzeit Kameras verkaufen, hat eigentlich nur Canon eine Überlebenschance. Denn Canon verfügt über eine vorausschauende Video-Sparte, deren Forschung und Entwicklung dem Unternehmen die Fortexistenz sichern könnte. Sony ist bereits dabei, zur Nummer eins unter den Herstellern von Still-Kameras zu werden. Ihre neueste digitale Spitzen-Standkamera verwendet eine Technik von Minolta, einem Unternehmen, das der Sony-Konzern geschluckt hat.

Ohne jeden Zweifel wird Video zur Haupteinnahmequelle in der Fotografie werden. Fast sämtliche Hersteller von Prosumer-Videokameras sind heute auf hohe Auflösung umgestiegen. Diese überall erhältlichen Kameras liefern bereits Einzelbilder von bis zu zwei Megapixeln. The Dallas Morning News stattet jetzt seine Standfotografen mit Sony-Z1U-Videokameras aus. Mit einem neuen Algorithmus können Einzelbilder auf sechs Megapixel vergrößert werden. Die Zeitung verwendet solche Fotos aus Videomaterial häufig im Großformat auf der ersten Seite, den Videostream findet man dann auf ihrer Webseite. Was dies finanziell für Zeitungen bedeutet, ist klar: In einer Zeit, in der die Einnahmen durch Werbung in den Druckausgaben sinken, liegt die Rettung in ihren Online-Versionen. Im Internet ist Video unerlässlich. Aus diesem Grund können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass Fotojournalisten in zehn Jahren nur noch Videokameras bei sich tragen werden.

Da Videokameras jetzt alle über das 16:9-»Breitwand«-Format verfügen, wird das alte 4:3-Bild, das wir früher mit Filmen assoziiert haben, ganz verschwinden. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Darstellung von Standfotos im Druckformat. Man wird das derzeit übliche Format 8×10 aufgeben. Warum soll man all diesen horizontalen Platz in den Bildern verschwenden? Wir können also davon ausgehen, dass wir Breitwandbilder nicht nur im Fernsehen, sondern auch in den Printmedien zu sehen bekommen.

Wir sagen voraus, dass Magazine in zehn Jahren – zumindest die, die dann noch existieren – nicht mehr wie heute an der Seite, sondern oben oder unten gebunden sind. Das gibt der Zeitschrift die Möglichkeit, ihr Layout horizontal statt vertikal auszurichten. Und so können »Breitwand«-Fotos gut eingepasst werden. Es ist aber eher wahrscheinlich, dass es dann schon lange keine gedruckten Zeitungen mehr gibt und Zeitungen, Magazine und Bücher stattdessen elektronisch gelesen werden. In diesem Fall dürfte die visuelle Darstellung vornehmlich als Video erfolgen. Wenn man sich heute die Online-Ausgabe der New York Times anschaut, sieht man auf der ersten Seite einen Kasten mit einer Videoaufzeichnung anstelle eines Standfotos.

Don Winslow, Herausgeber des Magazins News Photographer, hat festgestellt, dass es im Fotografie-Lexikon kaum noch hochgestellte Fotos gibt. Früher war es im Fotojournalismus wichtig, möglichst viel Information auf kleinem Raum unterzubringen. Mit Hochformaten gelang das am besten. Doch für eine Generation von Fotografen, die mit Fernsehen aufgewachsen ist, und Herausgebern, die eine Doppelseite mit einem Foto füllen wollten, haben sich die Regeln geändert.

Mit Video als Haupterwerbsmedium kommt natürlich auch Audio ins Spiel. Es wird mindestens genauso wichtig. Das bedeutet für Fotografen, dass sie ein paar neue Dinge lernen müssen. Jeder Fotograf ist bereits ein Computer-Spezialist, der mehr Zeit mit der Nachbearbeitung von Bildern verbringt als mit deren Aufnahme. In Zukunft wird die Bearbeitung in Programmen wie Final Cut Pro erfolgen. Alles dies bedeutet, dass Fotografen dazulernen müssen.

Doch eines wird ein Fotograf immer brauchen: Talent, also das »Auge des Fotografen« – das wird sich nie ändern.

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Dirck Halstead,
Tätigkeit für Life und UPI, 29 Jahre für Time Fotograf im Weißen Haus. Zahlreiche Preise. 2006 erschien sein Werkabriss Moments in Time (Abrams, New York). Herausgeber der Website http://digitaljournalist.org. Lebt in Austin, Texas.