Magazin #15

Der Mann im Hintergrund

Er nimmt Einfluss auf das öffentliche Bild der Fotografie: als Autor und als Rezensent, als Kritiker und Kurator. Und für das Goethe-Institut entscheidet er, welche deutschen Fotografen im Ausland gezeigt werden. Wer ist Ulf Erdmann Ziegler? Eine Porträt-Skizze.

Text – Peter Bialobrzeski

Seine Lobpreisungen sind eher spröde, seine Komplimente distanziert, seine Hinrichtungen lapidar: »Humanistisch legitimiert, formal einschläfernd«, so schnell ist Cartier-Bresson erledigt. Immer aber findet der Leser sie eingebunden in ein Geflecht intelligenter Herleitungen, die Alltagswahrnehmung mit historischer, biografischer und soziologischer Interpretation verbindet.

Selbstbewusst ist er, dieser Ulf Erdmann Ziegler. Ein scharfer Denker, ein gewandter Schreiber. Und einer mit Haltung. Vor knapp 15 Jahren dachte er, ‚Über Fotografie will ich nicht schreiben, das mache ich selber.‘ Seine Annäherungen, ausgelöst durch einen Redaktionsauftrag der taz, brachten ihm die Erkenntnis, dass die Fotografie des 19. Jahrhunderts ihn nicht interessierte. Atget war der erste Autorenfotograf. Dekliniert man die Folgenden – Evans, Frank, Friedlander, Diane Arbus – durch, landet man schnell in der Gegenwart und bei den Argumentationssträngen, die zu der Ausstellung Die Welt als Ganzes führen.

Ziegler zerlegt die Welt in Werkgruppen junger dokumentarisch arbeitender Fotografen, denen zunächst untereinander als auch mit den berühmten Vorbildern gemeinsam ist, dass ihre Arbeiten im eigenen Auftrag entstanden sind.

Inzwischen ist der ehemalige taz-Kulturredakteur auch noch Kurator. Ziegler schreibt Essays für die Monatszeitschrift Merkur, ist deutscher Korrespondent von Art in America. Und hat mit dem Fotografen Timm Rautert zusammen ein soziologisches Kompendium von deutschen Biografien der 90er Jahre erarbeitet. Er spricht auf Symposien, wird zu Heftkritiken in Redaktionen eingeladen, schreibt einführende Texte zu Büchern und – daher kennen ihn die meisten – rezensiert Fotografieausstellungen und -bücher. Wie nennt man so jemanden?

»Writer and critic« – die anglo-amerikanische Bezeichnung wäre ihm am liebsten. Aber: »Sich selbst zu sagen, dass man etwas ganz gut kann, ändert nichts daran, dass man auch andere Dinge tun muss.« Ziegler hadert mit der Einordnung seiner Tätigkeit, der Zuschreibung, wie er es nennt. Um gleich darauf ein Beispiel zu bringen, warum wir ohne Zuschreibungen nicht auskommen: Als er Die Welt als Ganzes zusammenstellte, fragte er Jitka Hanzlová nach neuen Arbeiten. »Zeig ich nicht«, sagte sie, „wer weiß, was Sie darüber schreiben«. So stellt der Kritiker dem Kurator ein Bein.

Ein ähnliches Dilemma gab es schon zu Beginn seiner Tätigkeit. Zwei Jahre lang besuchte er die FH Dortmund, Studiengang visuelle Kommunikation, wollte Fotograf werden. Wusste aber nicht, ‚Will ich mit Fotografie Geld verdienen, oder muss ich Geld verdienen, um Fotografie zu betreiben?‘ Er ging dann nach Berlin, studierte Literaturwissenschaft und Psychologie, fotografierte ein eigenes Projekt. Später schrieb er für die taz. Der Abgleich seines kritischen Anspruches mit seiner eigenen fotografischen Arbeit zeigte ihm, wie angreifbar er sein würde, wenn er beides weiter betriebe. Es gewann die Kritik.

Hat Ziegler manchmal Mitleid mit denen, die er hart angeht? Bei Jüngeren, so sagt er, sei er vorsichtig; im Zweifelsfall zieht er das Schweigen dem Verriss vor. Aber: »Wenn ich jemanden wie den Struth zerlege, meine Güte, der Mann hat doch alles, was er will, dem kann ich doch nicht wirklich schaden.«

Welche fünf Fotobücher würde er mit auf eine einsame Insel nehmen? Die Nummer eins, da gibt es keine Schwierigkeiten, ist Robert Franks The Americans. Danach überlegt er, wägt ab. Fragt, ob es elektrisches Licht gäbe auf der Insel, dann würde er Josef Sudeks Prager Panoramen mitnehmen – die Originalausgabe von 1958, Kupfertiefdruck, sieht bei Glühlampenlicht gigantisch aus. Er denkt weiter nach: Vielleicht Lee Friedlanders American Musicians? Oder vielleicht doch die Selbstporträts? Er bedauert, dass Diane Arbus zu Lebzeiten kein Buch gemacht hat. Kurz zieht er noch Rineke Dijkstra in Erwägung. Was hier seine Überlegungen eint, zieht sich ebenso durch seine Publikationen: der Anspruch an Autorschaft und den Werkcharakter der Fotografien. »Die Bücher Lee Friedlanders könnten den Stempel ‚directors cut‘ tragen. Die Macht des Auftraggebers, des Produzenten ist gebrochen.«

Das gültige fotografische Projekt ist für Ulf Erdmann Ziegler ein Buch, das von vornherein als solches angelegt ist und nicht eine Kompilation der Greatest Hits eines Themas. Er führt Avedons The Sixties als Beispiel an. »Der hat niemals vorgehabt, die Sechziger als Thema zu fotografieren, und so kann eine Sammlung seiner zugegeben sehr guten Zeitschriftenfotografien zu keiner gültigen Aussage kommen.«

Die in Zeitschriften publizierte Fotografie jenseits des Magazins der Süddeutschen Zeitung hält er für wenig beachtenswert. Dramatische Überhöhungen wie die Russlandarbeiten Hans Jürgen Burkards oder anekdotische Spielereien gruseln ihn. Die neuen Magazine der Frankfurter Rundschau wie auch das »Leben« der Zeit führt er als Beweis an, dass sich die Zeitungen vor der Farbe in der Fotografie fürchten. Sie wird nach hinten verbannt, separiert und mit typografischen Farbspielereien überzogen.

Ziegler sieht viele Ideen im Raum, findet aber, »dass die Träger, die die Kohle haben, das nicht machen wollen«. Die Tendenz, Zeitschriftenarbeiten in Galerien und jetzt auch ins Museum zu hängen, befremdet ihn. Newton, Leibovitz und Corbijn seien alle brauchbare Zeitschriftenfotografen, hätten aber mit Kunst nichts zu tun.

Und wann ist Fotografie Kunst? »Kunst ist Kunst, und alles andere ist alles andere. Aber alles andere gerät heute auch in den Bannkreis des Sammlers.« Er hält die Biografie für entscheidend, die Grenze, die der Autor selbst zieht, und wenn dieser sagt, das ist jetzt Kunst, dann ist immer noch die Frage, ob der Kunstbetrieb das akzeptiert. Aber: Eine künstlerische angewandte Tätigkeit ist keine freie Kunst, ein Auftragsfotograf, der eine Sammlung fotografiert, wird Schwierigkeiten haben, in dieser Sammlung selbst vertreten zu sein.

Konstatiert Ziegler, um gleich darauf seinen Überlegungen zu widersprechen: Walker Evans hat sehr wohl die Sammlung des Metropolitan Museums fotografiert. Die Tatsache, dass ständig Grenzen überschritten werden, weist auf die Notwendigkeit ihrer Existenz.

Nur die auftragsunabhängig entstandene Arbeit – die Fotografie, der ein Projektentwurf vorausgeht – reizt ihn wirklich. Und das SZ Magazin. Die dafür angeregten Grenzüberschreitungen junger, vor allem aus Essen und München stammender Fotografen findet er interessant. »Aus der Sicht der klassischen Reportage wirkt diese Art von Insistieren auf dem Alltag als Stil zu spröde. Deshalb ist subtile, dokumentarische Fotografie so schwer zu verteidigen. Der Kunstvorbehalt zählt im Journalismus nicht«, schreibt Ziegler in der Einführung des Katalogs Die Welt als Ganzes.

Und das ist schlussendlich der Stoff, aus dem die Ausstellung geschmiedet wurde. Sucht man dafür einen Terminus als Klammer, so schlägt Ulf Erdmann Ziegler den Begriff »Dokumentarfotografie« vor. »Das Privileg, die Dinge das erste Mal geschaut zu haben«, schreibt er, »existiert nicht. Die neue Farbfotografie löst sich gänzlich vom Effekt der Überwältigung und verlangt vom Betrachter, dass er die Geschichte der visuellen Repräsentation mitzudenken (oder zu empfinden) bereit sei.«

Fotografien dürfen also nicht schön sein? »Jedes Klischee, wie zum Beispiel der Blick durch das Stadttor, ist absolut überholt.« Ziegler räumt aber auch ein, dass durch die ungeheure Beschleunigung das Muster dieser etwas lakonischen Farbfotografie – jetzt von allen kopiert – auch einer Erneuerung bedarf. »Das ist die Schönheit der Tristesse. Heute wissen wir, dass es schön ist. Also ist es langweilig, so lange, bis es zu einer Art angewandtem Klischee wird, das dann im Kitsch endet. Offensichtlich gibt es zwischen dem Neuen und dem Schönen eine Art Polarität.«

Trotzdem möchte Ziegler keinen ästhetischen Gegenentwurf fordern. Die Arbeiten der Fotografen aus Die Welt als Ganzes sind mit großer Ernsthaftigkeit entstanden. Er sieht seine Ausstellung und den Katalog als programmatischen Vorschlag für eine dokumentarische Farbfotografie: »Entscheidend für ihre Legitimation ist, dass mit ihr etwas sichtbar wird, was sonst verborgenen geblieben wäre.«

Was empfiehlt er denn in diesem Zusammenhang den Bildjournalisten? Ohne die Kunst geht’s nicht. Kunst frontal anzusehen, ihr wach zu begegnen, hält er für eine essentielle Erfahrung.

Die Digitalisierung, die Manipulation am Computer werden der Fotografie keinen Schaden zufügen können. Die zurzeit betriebenen Versuche beweisen lediglich, dass man Fotografien verändern kann. Als Gegensatz führt er die Arbeiten von Grosz und Heartfield an, die nicht etwa beweisen wollten, dass man Fotos zerschneiden kann, sondern durch Schnitt und Montage eine andere Wahrheit transportiert.

»Was gesagt werden soll, lässt sich für einen Betrachter rekonstruieren. Wenn darin ein Teil gefälscht ist, um zu belegen, was man sagen will, und das ist nachweisbar, wird die Diskrepanz in der Wahrheitsdiskussion zu Tage treten. Die ist benennbar. Und ich fürchte mich nicht vor Dingen, die benennbar sind!«

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Peter Bialobrzeski
ist Fotograf in Hamburg. Zuzeit arbeitet er an dem Buch Neo Tigers, das 2002 im Hamburger Kruse Verlag erscheinen soll.