Magazin #16

Die Flut der bunten Bücher

Man findet sie in jeder Bildredaktion – und das gleich bergeweise: Kataloge der Fotoagenturen. Als Marketing-Instrument sind sie unverzichtbar, stoßen bei den Benutzern jedoch vielfach auf eher gemischte Gefühle.

Text – Kay Dohnke

Alle Agenturen wissen das – und spielen trotzdem mit. Denn wer nicht mit einem Katalog präsent ist, macht sich im Markt der Bilder schwer auffindbar. Die großen Stock-Agenturen und Bildarchive publizieren ihre Auswahlbücher in rascher Folge und versenden sie mit großem Aufwand an alle nur denkbaren Verwender. Gerade wenn Bilder schnell benötigt werden, ist der Blick der Redakteure in den Katalog und die anschließende Bestellung ein zeitsparenderes Verfahren, als wollte man erst eine Auswahlsendung ordern und deren Eintreffen abwarten. Will eine Fotografen-Agentur da nicht ins Hintertreffen geraten oder sich gezielt neue Kundenkreise erschließen, muss also investiert werden. Denn die Produktion eines Katalogs mit tausend Fotos in einer 10.000er Auflage schlägt schnell mit einem sechsstelligen Betrag zu Buche.

»KATALOGE? BÄH!«

Bei einigen Mitgliedern von Fotografen-Agenturen hatten Kataloge anfangs kein positives Image – Kataloge, das waren ja nur diese bunten Bilderbücher, in denen teilweise inszeniertes Stockmaterial angeboten wurde. Für anspruchsvollen Bildjournalismus im Sinne von Autorenfotografie seien sie uninteressant, unpassend, gar unnötig – die Qualität des in der Agentur verfügbaren Materials könne ja leicht in den großen Magazinen überprüft werden, und wer für Geo oder Stern arbeitet, brauche seine Bilder nicht im Briefmarkenformat anzupreisen. Eine solche Haltung ignorierte jedoch die Omnipräsenz der gut organisierten Konkurrenz und somit die Gesetze des Bildermarktes. Da eine Fotografen-Agentur jedoch mehr als nur der Qualität verpflichtet ist, siegte irgendwann doch die Erkenntnis, dass man – wenn die Agentur auch als Wirtschaftsunternehmen funktionieren sollte – mit adäquaten Mitteln operieren müsse.

Trotzdem wurde mitunter lange gezögert, ehe ein Katalog zustande kam – bei laif ist dieser Schritt nach 19 Jahren in Vorbereitung, bei Visum dauerte es gar 25 Jahre. Look war da schneller, hat schon 1991 nach zweijährigem Bestehen die erste gedruckte Bildauswahl vorgelegt, der seither drei weitere gefolgt sind. Das Prinzip der Zusammenstellung ist jedoch fast überall gleich: Die Geschäftsführer bzw. die Bildredakteure der Agentur treffen eine Grundauswahl, die dann mit den jeweiligen Fotografen feinabgestimmt wird – im vorgegebenen Rahmen sind noch kleine Variationen möglich, denn die Urheber sollen sich angemessen repräsentiert fühlen.

Die Fotografen müssen sich finanziell an den Katalogkosten beteiligen, da hier einige ihrer Bilder sehr exponiert präsentiert werden und vermehrte Verkäufe zu erwarten sind. Die Aufnahme eines Fotos kosten im Schnitt um die 200 Mark. »Aber keiner unserer Fotografen kann sich einfach so in den Katalog einkaufen«, betont Lars Bauernschmidt von Visum, und das gilt auch für die anderen Agenturen – generell führen Geschäftsleitung und Bildredakteure die Regie. Wird das Buch aufwändig gestaltet, können allerdings auch noch die Grafiker Einfluss nehmen.

Und ist die Warenprobe in Buchform endlich fertig, droht sie sofort wieder zu verschwinden, denn die vielen Stock-Anbieter bombardieren den Markt unablässig mit Katalogen. Zefa ist bei Nummer 40, Premium bei Nummer 47 angelangt; IFA legte Band 50 vor, und bei Photonica ist bereits die 60 überschritten. Mauritius liegt mit 70 Katalogen im Spitzenfeld und schickt pro Jahr 230.000 Exemplare in die Welt.

Inzwischen dauert daher die Amortisation der Katalogkosten länger als früher, sagt Christian Seemann von Look – bei der Konkurrenz kein Wunder. Um in der Bücherflut überhaupt noch wahrgenommen zu werden, wetteifern manche Agenturen längst auch in puncto Design miteinander – Verpackung statt Inhalt? Stone jedenfalls hat einige so ungewöhnlich gestaltete Kataloge herausgebracht, dass sie fast zu Sammlerstücken geworden sind. Hier mitzuhalten, fällt den kleineren Fotografen-Agenturen finanziell sehr schwer.

Und wie effektiv erweist sich ein Katalog als Marketinginstrument? Darüber gibt es erstaunlicherweise keine klaren Erkenntnisse – vielfach ist nicht feststellbar, welcher Umsatzanteil über Katalog, CD, klassische Auswahlsendung oder den online-Vertrieb erzielt wird. Auch wenn so mancher Controller ob der nicht messbaren Investitionsresultate die Stirn runzeln würde, halten die Geschäftsführer der Fotografen-Agenturen am herkömmlichen Print-Katalog fest. Als Medium der Selbstpräsentation, zur Image-Erweiterung und für einen schnellen Überblick der Bildsprachen, Motive und Themen einer Agentur gibt es nichts besseres – auch wenn die Adressaten der Kataloge nicht sonderlich erbaut sind über das, was ihnen die Post da so zahlreich ins Haus schleppt.

FINDEN, WAS MAN NICHT SUCHT

Bei laif ist man sich durchaus der Tatsache bewusst, dass Bildredakteure über die Katalogflut nicht allzu glücklich sind. »Daher haben wir unsere Kunder vorher gefragt, ehe wir uns zu diesem Schritt entschieden haben«, sagt Geschäftführer Peter Bitzer. »Doch das Ergebnis war ziemlich einmütig – ein Katalog sei durchaus erwünscht.«

Tatsächlich hat es Vorteile, eine gedruckte Bildauswahl vor sich zu haben und jederzeit darauf zugreifen zu können. Die digitale Alternative – Kataloge auf CD oder der online-Zugang – ist selektiv, und die singuläre Präsentation des gewünschten Motivs lässt das übrige Material im Verborgenen. Das Blättern in den »teilweise unglaublich gut gemachten Katalogen« hingegen, meint Allegra-Bildchefin Sybille Scharmann, sei weit konkreter, sinnlicher, und dabei fielen ihr durchaus auch mehr und andere Bilder auf, was wieder neue Ideen für die Illustration bringe. Auf diese Weise bleibe das visuelle Gedächtnis immer lebendig. Ihre Kolleginnen Anne Koch und Sophie Linz hingegen nutzen lieber zielgerichtet den online-Zugang zu Agenturbeständen.

Der Rückgriff auf Kataloge ist auch vom Budget einer Redaktion bedingt: Der Stern, sagt Foto Director Andrea Gothe, ist in der glücklichen Lage, fast alle Bilder selbst produzieren zu können, weswegen sie nur in Ausnahmefällen Kataloge wälzt und sie lieber an Grafikstudenten weiterleitet.

Richtig beliebt sind Printkataloge eigentlich nirgends – und das nicht nur, weil ihre schiere Menge die Redaktionsräume verstopft. Generell benutzen Bildredaktionen meistens nur einen kleinen Stamm von Agenturen, deren Bestand am besten zum Inhalt des Blattes passt und mit denen man gute Erfahrungen gemacht hat. Beim Lufthansa Magazin, sagt Bildredakteur Michael Nielsen, ist daher die Bestellung einer Auswahlsendung bei den einschlägigen Agenturen oft der schnellere und effektivere Weg, als langwierig Katalogfotos im Miniaturformat anzuschauen. Per Katalog wird nur selten etwas bestellt, und wenn, dann sind es meist Symbolfotos.

Seit einiger Zeit haben die gedruckten Kataloge digitale Begleitung bekommen; viele Agenturen produzieren auch CDs mit einer Auswahl aus ihren Beständen. Dieses Medium bieten den Vorteil, dass die Fotos gleich als Layout-Scan verwendet werden können – Grafiker schätzen das Angebot daher im Gegensatz zu den Bildredakteuren sehr. Allerdings kann der Weg zu einem gewünschten Motiv lang sein, denn nicht immer ist die Software so ausgefeilt, dass man tatsächlich mit vertretbarem Zeitaufwand ans Ziel gelangt. In vielen Bildredaktionen werden die CDs daher mitunter oft gar nicht erst ausgepackt.

Auch wenn CDs den gedruckten Bilderbüchern offenbar keine richtige Konkurrenz machen, ist die Zukunft der teuren Printprodukte ungewiss. Die Point-to-Point-Verbindung zwischen Redaktionen und Fotoagenturen via APIS ist äußerst praktisch, was eher kurz- als mittelfristig die Digitalisierung des Bildbestandes und damit Investitionen erfordern wird. Doch damit geht auch der Trend zur Reduzierung des Angebots einher – Fotos, die längere Zeit nicht abgefordert wurden, dürften wohl erst ganz spät oder gar nicht mehr gescannt werden. Galt früher die Größe des Bildbestandes als ein wichtiges Kriterium für die Professionalität einer Agentur, verliert die schiere Menge längst an Bedeutung. Schnelle Verfügbarkeit läuft der großen Motivauswahl den Rang ab: Stone etwa hat »nur« 60.000 Bilder – allerdings voll digital – im Angebot, Bilderberg hingegen 2,8 Millionen, aber eben überwiegend noch analog. Vom elektronischen Transfer sind sehr viele davon einstweilen noch abgeschnitten, stehen also der immer beliebter werdenden online-Recherche durch Bildredakteure nicht zur Verfügung.

Gedruckten Katalogen kommen in letzter Zeit neue Funktionen zu: Da es für die Präsentation des Archivbestands andere Möglichkeiten gibt, werden sie mehr und mehr zu Ideengebern und zu Imagebroschüren der Agenturen. Und sie wenden sich verstärkt an neue Kundenkreise etwa in der Werbung oder unter Buchgestaltern.

Ob bunte Bücher, CDs oder Websites – es gibt kein Patentrezept, wie sich Fotos am gezieltesten und effektivsten anbieten lassen, denn die Benutzerbedürfnisse sind zu unterschiedlich. Je stärker jedoch die digitalen Angebote werden, desto eher wird man auf die hohen Produktionskosten schauen und hier Einsparpotenziale entdecken.

Das Thema Katalog in Printversion wird daher in wenigen Jahren vermutlich Geschichte geworden sein. Und dann gibt es wieder Platz in den Regalen der Bildredaktionen. Nur – wofür?