Magazin #14

Ein Finne in Texas

Text – Dr. Enno Kaufhold

Gerade in der Fotografie liegt die Frage nahe, wie weit der Bildautor mit den Gegebenheiten vertraut sein muss, um einfühlsame und wahrhaftige Bilder produzieren zu können. Oder ob vielleicht gerade der mit eben diesen Gegebenheiten nicht unmittelbar Vertraute dank feinnerviger Intuition zu wahrhaftigeren und damit besseren Bildern gelangt. Auf den 1959 geborenen Finnen Esko Männikkö angewendet, führt das zwar zu keiner eindeutigen Klärung, dafür aber zur Personalisierung beider Überlegungen zugleich. Seine zunächst in Schwarzweiß und dann ausschließlich in Farbe aufgenommenen Fotografien von Menschen aus seiner nordfinnischen Heimatregion um Oulu fanden seit Mitte der 90er Jahre außergewöhnlich schnell Zuspruch selbst über die Landesgrenzen hinaus, im Kunst- noch weit mehr als im klassischen Fotografiebereich (1996 stellte die 1. Ars Baltica-Triennale der Photokunst ihn in Deutschland erstmals vor).

Äußerst detaildifferenziert, der dokumentarischen Fotografie anverwandt, zeigen seine Bilder die sozialen und psychischen Besonderheiten und Befindlichkeiten der Menschen dieses dünn besiedelten Landstrichs: deren sprichwörtliche Naturverbundenheit, aber genauso deren Einsamkeit, die sich aus der weitflächigen Zersiedlung der Region und zusätzlich durch anhaltende Arbeitslosigkeit ergibt – besonders bei den Männern.

Doch was die Betrachter seiner Bilder neben der auffälligen fotografischen Präzision und dem Atmosphärischen frappiert, war und ist deren Unmittelbarkeit und Intimität, einerlei, ob die Porträtierten in die Kamera oder gedankenverloren in den Raum blicken. Seine Bilder machen glauben, die Aufgenommenen hätten das Vorhandensein der Kamera und des Kunstlichts nicht bemerkt. Die unverstellte Intimität dieser Fotografien resultiert in diesem Fall – die Begründung liegt nahe – aus der persönlichen Vertrautheit mit seinen Landsleuten.

Aber was ist mit den im nordamerikanischen Texas entstandenen Fotos, wo Esko Männikkö 1996 und 1997 jeweils für mehrere Monate arbeitete, und die nach verschiedenen Ausstellungen nun in dem Band Mexas vorliegen? Sie zeigen, ungeachtet seiner Fremdheit in den USA, wiederum eine besondere atmosphärische Nähe und scheinbare Vertrautheit mit den dort Aufgenommenen. Das mag – hinsichtlich des amerikanischen Environments, das Esko Männikkö in überwiegend panoramatischen Ansichten festhielt – etwas mit dem Ländlichen zu tun haben, dem er bei seinem Gang durch die mexikanisch geprägten Orte San Antonio und Batesville begegnete: wie zum Beispiel den Alltagshinterlassenschaften, die sich, stehen- und liegengelassen oder weggeworfen, vor den Haustüren angesammelt haben und bereits von der Natur überwuchert werden. Doch mit nicht minder empatischen Fähigkeiten hat sich Männikkö in die Psyche der texanischen Bewohner hineinversetzt. Beide Sujets lassen in ihrer detailgenauen Realistik seinen Stil ebenso erkennen wie seine offenbar intuitive Fähigkeit, das Flair einer Gegend sowie die psychischen Gestimmtheiten seiner Bewohner fotografisch ad­äquat umsetzen zu können.

Obwohl Esko Männikkö keine professionelle Ausbildung und schon gar keine akademische absolviert hat, lässt sich seine Arbeit nicht von der generellen Entwicklung der künstlerischen Fotografie in Finnland trennen. Jorma Puranen, Jan Kaila, Kapa, Ulla Jokisalo, Pertti Kekarainen, Heli Rekula, Pentti Sammallahti – um nur wenige der zahlreichen, mittlerweile auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt gewordenen Vertreter dieses Bereiches zu nennen – bilden lediglich die Spitze der großen Zahl künstlerisch Fotografierender. Die seit Jahren installierten Ausbildungen an den Akademien und Hochschulen wie die staatlichen Stipendien mit mehrjähriger Laufzeit und schließlich die Auslandsförderung (Frame) haben bewirkt, dass Finnland heute in Nordeuropa in der Fotokunst mehr Aktivitäten und Aktive vorzuweisen hat als Norwegen, Dänemark oder Schweden.

Obwohl Esko Männikkö mit seinem auch in der Ausstattung ansprechenden und an die Tradition des Autorenbuches anknüpfenden Mexas in diesen Kontext gehört, speist sich die bemerkenswerte Bildkraft primär aus den individuellen Quellen des Autors. Die Geschichte des fotografischen Sozialporträts fortschreibend, führt Männikkö das auch in Finnland in Mode gekommene farbfotografische Sozialporträt an, wobei er es in der Kombination mit Panoramen zum Porträt einer Region erweitert, zunächst der nordfinnischen und jetzt einer texanischen als Spiegel gelebter Internationalisierung: Der finnische Blick trifft auf Texaner, weißer wie schwarzer Hautfarbe mit unterschiedlicher ethnischer Herkunft.

Eine sehenswerte Exotik.

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Esko Männikkö: Mexas

80 Seiten mit 48 Farbfotos.
Oulu: Kaleva Kustannus Oy 1999.