Magazin #18

Enger Fokus auf einen Solitär

James Nachtwey gilt als bedeutendster Kriegsfotograf der Gegenwart – der Dokumentarfilm War Photographer macht ihn nun endgültig zum Star seines Gewerbes, lässt aber die medienhistorischen Dimensionen unbeachtet.

Text – Enno Kaufhold

Er sei ein Geheimnis – mit diesem Statement der CNN-Reporterin Christiane Amanpour lässt der Schweizer Christian Frei seinen Film über James Nachtwey beginnen. Und das scheint programmatisch gemeint zu sein, denn er bietet zwei Microcams auf, um seinem Protagonisten näher zu kommen. Diese eröffnen dem Zuschauer über das Kameradisplay einen Blick auf das Geschehen, das Nachtwey durchs Okular im Visier hat, und im Gegenschuss zeigen sie ihm dessen Gesicht hinter der Kamera. Das schafft eine Authentizität und zugleich Nähe, die so ungewöhnlich wie neu ist. Doch genau das ist das Problem, denn mit der Nähe geht auch die Distanz und damit die Übersicht verloren.

James Nachtwey gibt sich als jemand, der genau weiß, was er tut, und seine sprachliche Ausdrucksfähigkeit steht der seiner Fotografien in nichts nach. Er will – was ihm abzunehmen ist – über Missstände in Afrika oder auf dem Balkan, in den USA, im Nahen Osten und andernorts aufklären. Seine Bilder von Armut, Gewalt, Unterdrückung, Ausbeutung und Erniedrigung sollen wachrütteln, und sie berühren tatsächlich unmittelbar. Es kann auch keinen Zweifel geben, dass Nachtwey auf der Seite der Opfer agiert. Der Respekt vor dem Menschen prägt als oberste Maxime alle seine Bilder. Aus guten Gründen wurde er deshalb mit den höchsten Anerkennungen ausgezeichnet. Dennoch bleiben – was ihn, den Film und dessen Rezeption betrifft – fragwürdige Aspekte.

Es darf nicht verwundern, dass den Übermittlern schlechter Nachrichten keine Freude oder gar Liebe entgegengebracht wird. Wie die Praxis aber lehrt, verkehren sich die Verhältnisse; denn es sind die Ankläger von Missständen, denen die Prügel verabreicht werden, die eigentlich bekommen sollten, wer das zu Beklagende zu verantworten hat. Das erlebt auch Nachtwey als Chronist der Verbrechen gegen die Menschheit. Wenn ihm Bedenken kommen, ob er sich nicht am Leid der fotografierten Menschen bereichert, ehrt ihn das, doch entlastet ihn der mäßige Profit, den er aus seiner Anklage zieht, im Vergleich mit den weit größeren Profiten der Täter und Schul­digen, die zwar unsichtbar bleiben, aber dennoch ganz real jenseits seiner Bilder agieren.

Und um mit einem weiteren Vorurteil aufzuräumen: Selbstverständlich beeinflusst er als Fotografierender allein schon aufgrund seiner Anwesenheit das Verhalten der Akteure vor seiner Kamera – einerlei, ob Gewalt oder weniger Dramatisches im Spiel ist. Schon der Porträtist lässt den Porträtierten nicht ohne Reaktion, analog zu dem physikalischen Grundgesetz, dass bereits das Messen von Vorgängen deren Abläufe beeinflusst. Ebensowenig entkommt Nachtwey als Publizierender der Instrumentalisierung. Ihm ist deshalb zuzustimmen, dass die Menschen vor seiner Kamera ihn als ihr Sprachrohr sehen. Dem entging er auch nicht, wie der Film eindringlich zeigt, als der Mob in Jakarta – unberührt von seinem Bemühen, Menschenleben zu retten – einen Mann vor seiner Kamera lynchte. Doch macht ihn das weniger zum Mitschuldigen als eher zum Ankläger, im moralischen wie juristischen Sinn.

Das berührt die medienhistorischen Dimensionen der »Kriegsfotografie«, die mit der Feststellung einzuleiten sind, dass Krieg und Medien in enger Wechselwirkung miteinander stehen, so lange wir zurückblicken können. Bereits der Läufer von Marathon fungierte als Medium. Für geraume Zeit übernahm die Fotografie die mediale Dominanz. Angesichts der inzwischen kriegsrelevanteren elektronischen Medien haben Fotografien hinsichtlich ihres Bedeutungs- wie Wirkungsgrades allerdings nur noch geringes Gewicht. Insofern zeigt der Film den Protagonisten eines Gewerbes, das im Verschwinden begriffen ist. Die noch mögliche Funktion von Nachtweys ästhetisierten Fotografien liegt daher heute primär in der Kritik, im Wachrütteln. Was die durch ihren Gebrauchswert bestimmten Bilder angeht, so gewährleisten heute allein die effektiveren elektronischen Medien mit ihren »laufenden« Bildern in Verbindung mit kommentierenden (agitierenden) Texten die benötigte Massenwirksamkeit. Selbst wenn diese, wie bei jüngeren Konflikten am Golf, in Serbien oder in Afghanistan, vom eigentlichen Geschehen fern gehalten wurden, gehört das zur Dialektik dieses Phänomens. Unterstreicht der Ausschluss der in die Öffentlichkeit strahlenden Medien doch nur die Relevanz des Medialen. Der Beruf des Kriegsfotografen in seiner klassischen Form – denken wir an Fenton, Brady, Capa, die PK-Fotografen, Bourke-White, Miller, Smith, Duncan, Burrows oder GriYths, die noch unmittelbar an den kriegsrelevanten Handlungen beteiligt waren – ist jedenfalls obsolet geworden.

Nachtwey sieht seine Fotos zwar in erster Linie in den Massenmedien, den Zeitschriften und Magazinen, doch auch die sind in der Medienhierarchie nachgeordnet. Seine kritischen, unmittelbar Emotionen sowie das Menschliche ansprechenden Bilder gehören eher in den Kunstkontext, der auch in seinen Ausstellungen aufscheint. Die gravierenderen Argumente ergeben sich jedoch aus der Kunst- und Fotogeschichte. Allein schon mit seiner Haltung – nämlich mit Fotografien aufklärend wirken zu wollen –, ähnelt Nachtwey, um ein Beispiel zu nennen, Käthe Kollwitz, die vor einem Jahrhundert mit ihren Szenen der Weberaufstände wie des Kriegs erklärtermaßen wirken wollte und sich dazu der Radierung wie der Lithografie bediente, also zweier Medien, die ihrerseits bereits von den staatstragenden Funktionen suspendiert waren. Zu dieser Haltung gesellt sich Nachtweys hochästhetische, aus der »concerned photography« kommende konventionelle Bildsprache (hierin kann er mit Salgado verglichen werden).

Von solchen medienhistorischen wie -theoretischen Überlegungen ist der Film sowie dessen Rezeption weit entfernt. Hofiert und letztlich heroisiert wird einzig der Protagonist James Nachtwey, wenn auch jenseits solcher Klischees, wie sie prototypisch Hans-Hermann Klare vom Stern bediente, als er über den »Gentleman der Kriegsberichterstattung« schrieb: »Wieder einmal hatte er dem Tod ins Gesicht geschaut und dabei nicht geblinzelt.« Der Film kommt – wenngleich dank der neuen Miniaturkameras ungewöhnlich gut gemacht – über die Perspektive der Nabelschau nicht hinaus. Das soll weder Nachtweys Leistungen noch die des an seiner Seite tätig gewesenen Filmteams schmälern und sollte auch nicht als Zynismus desjenigen missdeutet werden, der ungefährdet am PC sitzt und über jene reflektiert, die nach wie vor ihr Leben aufs Spiel setzen, weil sie von der Wirksamkeit und Notwendigkeit ihres Tuns zutiefst überzeugt sind. Der unabdingbare Glaube an friedenstiftende Aufklärung bleibt unstrittig.

Schließlich ist der Begriff der »Kriegsfotografie«, wie Nachtweys fotografisches Werk ebenfalls lehrt, fragwürdig geworden. Nicht nur, dass dieser sich als »Anti-Kriegsfotograf« sieht, spätestens sein Buch Inferno (vgl. FREELENS magazin # 14, S. 40) – aus dem auch der Film reichlich zitiert – verdeutlicht, mit welcher Dominanz er sich in Krisen- und weniger in aktuellen Kriegsgebieten bewegt hat. Und selbst dann gehören diese in das Repertoire alter Kriege. Die modernen Kriege mit ihren aus großer Distanz eingesetzten Hightech-Waffen lassen sich mit menschlichen Mitteln nicht mehr fotografieren. Die Optik zum Krieg liefern elektronische Zielkameras, und deren Bilder unterliegen uneingeschränkt den Krieg führenden Mächten und werden allenfalls in homöopathischen Dosierungen, sprich zu propagandistischen Zwecken veröffentlicht. Folglich erleben wir in den als Kriegsfotografien bezeichneten Bildern – und selbst die hochrühmlichen von Nachtwey machen da keine Ausnahme – nur noch das Kriegshandwerk von vorgestern, ausgeübt mit Gewehren,

Macheten, Pistolen und Steinschleudern. Beklagenswert genug, aber etwas anderes zu glauben, wäre naiv.

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War Photographer
Schweiz 2001, 35 mm, Farbe, 96 Min.
Regie: Christian Frei.
KOOL Filmdistribution, Freiburg
www.koolfilm.de
www.war-photographer.com

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Enno Kaufhold
studierte Kunst und Fotografiegeschichte. Promotion, freie Tätigkeit als Fotograf, Fotohistoriker, Kurator, Lehrbeauftragter, Gutachter; seit 1990 in Berlin. Zahlreiche Publikationen, zuletzt zu Waldemar Titzenthalers Interieurfotografie.