Magazin #06

Fotografen als Fortschrittsbremse?

CD-Rom gleich Mikrofiche? CD-Rom gleich Print? Welt gleich Scheibe? Über den ersten Prozeßtag FreeLens contra SPIEGEL

Text – Michael Habel

Vor langen, langen Jahren gab es einmal ein Reichsgesetzblatt. Darin ward am 10. Januar 1876 feierlich verkündet, die unbefugte Nachbildung von Photographien gehört und ist verboten. Denn Photographie war den Zeitgenossen eine Kunst, die sich allen Zweigen menschlichen Könnens und Wissens dienstbar macht. Das Urheberrecht galt zu Tagen des – salopp ausgedrückt – Reichsgeschäftsführers Otto von Bismarck. Heute, zu Zeiten Fried von Bismarcks, Nachfahre Ottos und Geschäftsführer des SPIEGEL-Verlages, steht das Urheberrecht wieder zur Debatte. Anlaß: CD-Rom, Internet & Co. Bis das Bundesgesetzblatt eine Änderung verkündet, steht ein langer Gang durch die Instanzen bevor. Doch – der Reihe nach:

PROBLEM

Fünf glitzernde Scheiben mit vielen Fotos stehen im Zentrum des kasus knaksus. Der SPIEGEL-Verlag hatte die Jahrgänge 1989 bis 1993 auf CD-Rom gepreßt und dabei vergessen, die fotografierenden Urheber zu fragen, geschweige denn zu entlohnen. Weil der SPIEGEL sich auf Nachfrage weigerte, das in angemessenem Rahmen nachzuholen, zog FreeLens mit 72 Fotografen vor Gericht (Einzelheiten im FreeLens Magazin Nr. 5 – Januar 1997). Für den größten Klienten geht es um 743 Fotografien, ein Kollege klagt wegen einem Bildwerk – eine bemerkenswert solidarische Haltung. Ob sich für den großen Auftraggeber an der Elbe ein Abgrund von Fotografenverrat auftut, wird sich zeigen. Vertreten durch FreeLens-Anwalt Dirk Feldmann geht es um folgendes:

Punkt 1: Gefordert wird die Einstellung des Weiterverkaufs der CD-Roms.
Punkt 2: Pro Foto soll der SPIEGEL-Verlag 20 Mark Honorar nachzahlen – etwa zehn Prozent des ursprünglichen Honorars der Printausgabe.
Punkt 3: Hinzu kommt ein Strafzuschlag von 50 Prozent, also 10 Mark, weil die Fotos ohne Genehmigung verwendet wurden.

PROZESS

Ein Raunen ging am 18. März durch den Gerichtssaal. Noch bevor der Musterprozeß von FreeLens gegen den SPIEGEL-Verlag überhaupt ins Rollen kam, war ein persönliches Urteil schon verkündet:

Bekämen die Fotografen Recht, wäre dies eine »Fortschrittsbremse«, erklärte coram publico der Vorsitzende Richter Dr. Neuschild beim Landgericht Hamburg, Zivilkammer 8. Gesetzt den Fall, FreeLens würde den Prozeß gewinnen, müßte ein Verlag, der eine alte Publikation auf CD-Rom veröffentlichen will, vorher die Urheberrrechte »von anno Tobak« respektive ihrer Erben einholen.

Ein Beispiel: Nehmen wir einmal an, der SPIEGEL-Verlag wollte seinen Jahrgang 1950 auf CD-Rom bannen. Er müßte sich unter anderem nachträglich das Urheberrecht eines Fotografen namens Hubs Flöter einholen, über den am 20. April 1950 die erste Titelgeschichte (»Gut im Bilde«) veröffentlicht wurde (oder vielmehr über sein rassiges Modell Elfi Wildfeuer).

Schier Unmögliches würde nun vom SPIEGEL verlangt: Denn herauszufinden, wo Urheberfotograf Hubs Flöter steckt oder liegt, setzt brilliante Recherche voraus.

Hubs Flöters fotografierende und von FreeLens vertretene Zunftgenossen jedenfalls saßen zahlreich und lebendig im Landesgerichtssaal 347. Dazu gesellten sich Kolleginnen und Kollegen von der Presse und vom Fernsehen – der NDR brachte am Abend einen Bericht. Natürlich ließ es sich auch der Medienexperte und Kanzleipartner von Dirk Feldmann, Alexander Unverzagt, nicht nehmen, beizusitzen.

Obwohl der Prozeß unstrittig eine grundsätzliche Bedeutung für die deutsche Medienwirtschaft hat, war das Hohe Gericht beeindruckt von soviel öffentlichem Interesse.

In der Sache wurde wie folgt verhandelt:

Punkt 1: Eine Einstellung des Weiterverkaufs oder die Schwärzung von Fotos auf den CD-Roms, die der Einstellung des Vertriebs gleichkäme, wäre unverhältnismäßig. Diesen Punkt »können wir vergessen«, gab das Gericht zu Protokoll.

Punkt 2: Die Honorarfrage: Die SPIEGEL-Jahrgänge wurden vor den CD-Roms auf Mikrofiche veröffentlicht. Damals hätte sich kein Fotograf über die zusätzliche Nutzung beschwert. Der SPIEGEL-Verlag ist weiterhin der Ansicht, daß eine CD-Rom nichts wirklich anderes darstellt, als ein Mikrofiche. Trotz persönlicher Erfahrungen des Richters mit dem Medium Mikrofiche (zu einer Zeit, als Hamburger Richter ihre Urteile noch auf Schallplatte diktierten, veröffentlichte der Richter seine Dissertation auf Folien) werden jetzt Sachverständige zur Klärung der Frage CD-Rom gleich Fiche bemüht. Kommen die Sachverständigen zu dem Ergebnis, daß die CD-Roms eine zusätzliche Nutzung zu den gedruckten SPIEGEL-Jahrgängen darstellen, wird über die Honorarfrage weiter verhandelt.

Besonders der Strafzuschlag – Punkt 3 – ist Dr. Neuschild ein »rotes Tuch«. Abgesehen von einem Bedürfnis nach rechtspolitischer Regelung, die das Gericht einräumte, habe der Gesetzgeber die technischen Möglichkeiten der neuen Medien nicht voraussehen können. Doch für eine rechtliche Neuregelung sei die Legislative zuständig, nicht das Landgericht.

Hier deutet sich der langjährige Gang durch die Instanzen bis hinauf zum Bundesgerichtshof an – darin sind sich Gericht und auch FreeLens-Anwalt Dirk Feldmann einig. Doch zuvor folgt die Fortsetzung beim Landgericht, anberaumt für den 24. Juni.

POST PROZESSUM

Nachträgliche Unterstützung kam aus Gewerkschaftskreisen. Stefan Endter, Geschäftsführer des DJV Hamburg, begrüßte den Prozeß genauso wie der Vorsitzende der dju Hamburg, Jürgen Bischoff. Endter nahm den anfangs zitierten Fortschrittsbremsesatz des Vorsitzenden Richters mit Befremden zur Kenntnis; Bischoff hierzu wörtlich: »Das Landgericht ist nicht dazu berufen, über die Zukunft der Menschheit zu entscheiden. Es soll nur darüber entscheiden, ob ein millionenschwerer Verlag ein neues Produkt auf den Markt bringen darf, ohne die Zulieferer bezahlen zu müssen.«

Und genau darum geht es den Fotografen, nicht um die Ver- oder Behinderung der neuen Medien. Im Gegenteil: Fotografen sind es, die schneller als andere Berufsgruppen eine neue technologische Nutzungsmöglichkeit zu ihrem Medium machen. Und daß der SPIEGEL – selbsternanntes »Sturmgeschütz der Demokratie« – gegen die eigenen Fotografen Krieg führt, ist schließlich nicht deren Schuld.