Magazin #35

Fotografie ist immer Herzblut

In einer konspirativen Kantinenrunde trafen sich Fotografen, um über Arbeitsbedingungen zu sprechen – die Initialzündung für FREELENS. Wie ging das damals alles los? Wann fand der Schritt zur Professionalisierung statt? Haben sich die ursprünglichen Zielsetzungen geändert? Knut Gielen und Heiner Müller-Elsner, Mitglieder der ersten Stunde, blicken zurück.

Interview – Frank Keil
Fotos – Lucas Wahl

Veteranentreffen in der Geschäftsstelle: Knut Gielen (links) und Heiner Müller-Elsner erinnern sich an den Beginn der Verbandsarbeit. Foto: Lucas Wahl
Veteranentreffen in der Geschäftsstelle: Knut Gielen (links) und Heiner Müller-Elsner erinnern sich an den Beginn der Verbandsarbeit. Foto: Lucas Wahl

Wie ging es los mit FREELENS? Wo liegt der Ursprung?

Heiner Müller-Elsner: Alles begann mit einem neuen Vertrag, den der Stern 1994 dem Fotografen Jörg Wischmann vorlegte und der Jörg stutzig machte. Vorher gab es auch Verträge zwischen den Verlagen und uns freien Fotografen, die man irgendwann im Nachhinein ausfüllte. Das eigentliche Geschäft aber erledigte man per Handschlag – im Vertrauen, auf Gegenseitigkeit. Nun sagten die plötzlich: »Du musst hier was unterschreiben.« Jörg hat dann ein paar Kollegen angerufen – und alle sagten: »Das geht so nicht!«

Knut Gielen: Ich kann mich noch genau an die Situation erinnern – da standen Jörg, jemand von der Agentur Focus und ich zusammen, wir haben auf den Vertrag geguckt und gesagt: »Gibt‘s ja gar nicht!« Es waren Verschlechterungen wie die, dass man nicht drei Monate nach der Veröffentlichung seine Bilder wiederbekam, sondern erst nach sechs Monaten. Also Sachen, die uns heute total zivil erscheinen. Aber damals merkten wir: Etwas ändert sich. Und zwar grundsätzlich.
Schnell war uns auch klar, dass wir uns selber organisieren müssen. Denn eine Organisation, die die Interessen der freiberuflichen Fotografen und Fotojournalisten vertrat, gab es nicht. Die Gewerkschaften und der Deutsche Journalistenverband vertraten die Interessen von angestellten Fotografen, aber nicht unsere. Wir wollten nun nicht gleich eine Gewerkschaft gründen oder einen Verein; wir wollten uns erstmal mit anderen Kollegen kurzschließen. Es war genaugenommen zunächst nur ein Klüngel von Fotografen aus Hamburg, die für den Stern fotografierten und die sich gegenseitig kannten.

Wie wurde daraus mehr?

Knut Gielen: Die Befürchtung war, dass die anderen Verlage nachziehen werden und dass bald jeder von uns Verträge vorgelegt bekommt, die er nicht unterschreiben will, aber unterschreiben muss und dass nichts mehr wie früher verhandelbar ist. Die Idee war daher: Wenn ein Verband die Interessen der freien Fotografen vertritt, ist der einzelne nicht jedes Mal erpressbar, sondern kann sagen: »Mit den anderen habe ich schon gesprochen – die wollen das auch nicht«. Und das es erfolgsversprechend wäre, wenn man einen Verhandlungsführer hätte, so wie man im Geschäftsleben auch gerne mal einen Anwalt vorschickt, wenn es kritisch wird. Alles andere kam sehr viel später: die Service- und Fortbildungsangebote, der Presseausweis und Lebenshilfe jeder Art für Fotografen. Am Anfang stand die vage Idee der Gründung einer Interessenvertretung mittelständischer Kleinstunternehmer, denn das sind wir als freie Fotografen.

Heiner Müller-Elsner: Das haben viele Kollegen am Anfang nicht so ganz verstanden, die haben sich oft wie Arbeitnehmer gefühlt – sie waren es aber gar nicht. Wir mussten alle erst lernen, dass ein Unternehmer ganz andere Interessen hat als ein Angestellter – mit fester Stundenwoche, Rente, Urlaubstagen und allem Schnickschnack. Man muss ganz anders denken und man muss schauen, dass man seine Interessen vertritt.

Aber vorher gab es die legendäre Gründungsversammlung auf Kampnagel…

Heiner Müller-Elsner: Wir haben uns in der Kampnagel-Kantine getroffen, da gab es irre Bedenken von damals sehr etablierten Fotografen, die sagten: »Wir haben das auch schon probiert, das wird nix«. Aber wir sagten: »Das machen wir trotzdem!« Es haben sich auch nahezu alle, die anwesend waren, bereit erklärt, Mitglied zu werden: Wenn ich es richtig erinnere, 128 Leute. Heute haben wir über 2 400 Mitglieder.

Gab es jemanden, der mit einer Vereinsgründung Erfahrungen hatte?

Heiner Müller-Elsner: Das war Dirk Feldmann, der bis heute unser Justiziar und Fachanwalt ist. Er hat uns geduldig erklärt, dass ein Verein einen Vorstand hat, einen Kassenwart usw. – wir waren ja alle sehr unbedarft. Und wir haben gesagt: »Okay – wenn das so ist, dann machen wir das.«

Wie ging es weiter, als das mit dem Stern vorbei war?

Knut Gielen: Es ging so weiter, wie wir uns das gedacht hatten: Die anderen Verlage zogen nach. Und schnell hatten wir den ersten Fall, den wir so richtig durchgeboxt haben – das war der Spiegel. Der Verlag hat auf der damals wahnsinnig modernen CD-ROM alle Spiegel dieser Welt noch mal draufgepackt, inklusive aller unserer Bilder. Und er war der Meinung: »Nö, das ist keine neue Nutzung, für die wir Honorare zahlen müssen, das ist sowas wie Mikrofilm.« Unter uns: Hätten die damals den Fotografen was zugeschickt, wo draufgestanden hätte: »Du fotografierst jetzt seit zehn Jahren für den Spiegel, wir wollen das noch mal drucken, willst du nicht 500 Mark haben, hier musst du unterschreiben« – das hätte wohl jeder gemacht. So aber ergab sich ein Konflikt, wo wir uns zum ersten Mal öffentlich erprobt haben und bis zum Bundesgerichtshof zogen und gewannen. Und die Verlage haben gesehen: Aha, die treffen sich nicht nur und reden, die ziehen das auch durch.

Heiner Müller-Elsner: Wobei man sagen muss, dass der Stern sehr schnell auf FREELENS zugegangen ist und es dann Gespräche gab. Das war beim Spiegel zuerst anders. Da hieß es: »Wir sind der Spiegel – wer seid ihr denn?« Bis wir uns eben vor Gericht wiedertrafen. Und so ist es geblieben: Es gibt Verlage, da rauft man sich irgendwann zusammen und es gibt Verlage, die sprechen partout nicht mit uns und dann geht es vors Gericht. Wir haben überhaupt viele Sachen zum ersten Mal gemacht. Wir haben zum Beispiel das erste Mal einen Fotografenvertrag veröffentlicht, den von der Zeitschrift Max. Das fanden die ungeheuerlich; also nicht ihren Vertrag, sondern dass wir ihn veröffentlichten. Die Kampagne hieß »Maximal über den Tisch gezogen« und hat für viel Wirbel gesorgt. Wie heißt es so schön: Manchmal muss man sich erst Feinde machen, um ernst genommen zu werden. Übrigens wurde das Verhältnis zum Spiegel nach Abschluss der Prozesse auch sehr gut – und ist es heute noch.

Ihr seid dann beide schnell in die Vereinsarbeit eingestiegen?

Knut Gielen: Oh, ich war -zig Jahre im Vorstand …

Heiner Müller-Elsner: Ich erst mal nicht! Ich hab mich später überreden lassen, ich bin eigentlich nicht so ein Vereinstyp.

Knut Gielen: Ich bin auch kein Vereinstyp, aber irgendeiner muss es ja machen!

Heiner Müller-Elsner: So wurde mir das auch gesagt: »Du kannst nicht einfach nur reden und dich dann aus dem Staub machen!« Und ich muss sagen, es war immer spannend, was im Vorstand besprochen wurde, es war aber auch schlicht viel Arbeit. Mein Gott: Man hat als freier Fotograf ja auch was zu tun!

Knut Gielen: Es gab noch nicht unseren Geschäftsführer, es gab keine Angestellten. Es gab ein kleines Büro zur Untermiete. Es wurde noch gefaxt. Es gab noch keine E-Mails. Damals war ein Computer eine aufregende Sache!

Gab es damals ein Gefühl der Beglückung, dass man auf Gleichgesinnte stieß?

Knut Gielen: Ich kann da nur von mir sprechen, aber ich hatte ganz klar dieses Gefühl. Vorher hatte man so vor sich hingewurschtelt, war der Redaktion gegenüber immer der Außenstehende. Und nun gab es andere, die das Gleiche machten, wie man selbst. Die arbeiteten für ähnliche Magazine und mit denen setzte man sich jetzt auseinander. Das war interessant, und es war auch das erste Mal, dass wir uns untereinander offen erzählten, was wir verdienten.

Gab es Diskussionen über die Qualitäten der Fotografen, die zu FREELENS kamen?

Heiner Müller-Elsner: Wir wollten einen Interessenverband gründen und keinen Debattierklub. Uns einte nur eines: Ich bin Fotograf oder ich bin Fotografin. Ein bisschen anders war das von Anfang an in den Regionalgruppen: Da zeigte man sich schon mal seine Bilder und diskutierte darüber – sozusagen auf freiwilliger Basis.

Knut Gielen: Es gab zunächst durchaus Stimmen, die sagten: »Wir müssen uns gegen die Amateure abgrenzen.« Wir fanden die Abgrenzerei immer schwierig. Warum sollen wir jemanden abweisen, wenn er uns unterstützen will, uns beitritt und ja auch seinen Vereinsbeitrag zahlt? Okay, vielleicht sind heute ein paar Amateure unter uns, aber das muss uns nicht stören. Wenn Leute gute Fotos machen, aber nicht wissen, wie sie die verwerten sollen, das aber dann bei uns lernen und so unsere Preise nicht untergraben, davon profitieren doch alle. Bis heute muss niemand eine Qualitätsprobe abliefern.

Was ist mittlerweile mit eurem Enthusiasmus passiert?

Heiner Müller-Elsner: Och, ich bin immer noch im Beirat! Man engagiert sich ja nicht aus Jux und Dollerei: Fotografie ist immer Herzblut! Wobei man zugeben muss: Dafür, dass wir so viele Mitglieder haben, engagieren sich relativ wenig. Die Zahl der Engagierten bewegt sich vermutlich im einstelligen Prozentbereich. Aber es gibt immer wieder Leute, die sich zur Vorstandswahl stellen und die sagen: »Ich kann nicht erwarten, dass andere was für mich tun, ich muss selbst was machen.« Und man profitiert auch für das eigene, berufliche Fortkommen.

Knut Gielen: Für mich hat es sich ebenfalls persönlich und auch beruflich sehr gelohnt, dass ich mich jahrelang für FREELENS engagiert habe. Ich hab in der Vorstandsarbeit viel gelernt, habe viele Einblicke bekommen und ich kann nur jedem sagen, der dieses Interview liest: Es macht einen nicht dümmer, wenn man mal ein paar Jahre Verbandsarbeit macht.

Gab es Phasen, wo ihr Angst hattet, der Verband verliert an Schwung?

Knut Gielen: Nein, das nicht. Aber es gab zwischendurch einen wichtigen Wechsel hin zur Professionalisierung. Zunächst hat der Vorstand die gesamte Arbeit gemacht, doch dann kam der Moment, wo wir merkten: Der Verband ist so gewachsen, die Aufgaben sind so vielfältig, wir haben uns öffentlich so stark positioniert – das lässt sich nicht mehr am Feierabend leisten. Jetzt brauchen wir einen Geschäftsführer. Das wollten die Mitglieder auch und haben ab da einen höheren Beitrag gezahlt.

Heiner Müller-Elsner: Es gibt viele langwierige Geschäftsfelder, da muss man über Jahre professionell Kontakte aufbauen, in die Politik, zu den Verbänden. Man muss man sehr viel Geduld haben. Oder du hast einen Prozess gewonnen und denkst: Super! Doch dann gibt es die nächste Instanz und dann die übernächste. Für Mitglieder, die zu Recht von uns Hilfestellung erwarten, ist das manchmal schwierig, denn die müssen sich ja heute entscheiden, ob sie etwa einen Vertrag unterschreiben oder nicht. Die können nicht zu ihrem Vertragspartner sagen: »Du, das Vertragswerk ist gerade vor Gericht, lass uns mal abwarten.« Von daher ist es beeindruckend, wie gelassen die meisten Mitglieder sind und wie verständnisvoll sie sagen: »Tja, was ihr da macht, ist Politik, das dauert.«

Gibt es Wünsche an die junge Generation, wie es weitergehen sollte?

Heiner Müller-Elsner: Das wäre vermessen, wenn ich als relativ alter Fotograf den jungen einen Rat geben würde. Ich würde mir wünschen, dass mehr Junge aktiv werden, obwohl ich natürlich weiß, dass sie heute ganz anders für ihre Karriere arbeiten müssen.

Knut Gielen: Ich sehe immer wieder sehr gute Arbeiten von Hochschulabsolventen oder von jungen Leuten, die noch an den Hochschulen sind. Meine Befürchtung ist, dass diese jüngere Generation später dann doch etwas ganz anderes macht, so hart wie der Markt heute ist. Doch du wirst besser mit der Zeit, weil du immer wieder dazu lernst. Und du wirst auch anders behandelt, wenn du älter bist. Manche Sachen kannst du nicht mehr machen, dafür gehen viele neue Türen auf. Ich wünsche der jungen Generation, für die digital normal ist, die die D-Mark nicht kennt, für die Europa selbstverständlich ist und die sagt »Kohl, das war so ein Dicker«, dass sie die Chance hat, in dem Beruf alt zu werden, wie wir beide; dass sie sich weiterentwickelt und nicht irgendwann nur noch PR-Fotos für Energieriesen und Versicherungskonzerne macht.

Heiner Müller-Elsner: Dabei können wir zum Beispiel durch Imagearbeit unterstützen. FREELENS kann klarmachen, dass Fotojournalismus wichtig für die Meinungsvielfalt ist; dass es gut ist, dass es von einem Ereignis nicht nur ein Bild gibt, sondern möglichst viele. Und wir können uns immer wieder fragen, was ist eigentlich unser Schwerpunkt? Wollen wir uns zu einem Kulturverein entwickeln? Wollen wir das Image der Fotografie fördern? Wie viel Unterstützung wollen wir unseren Mitglieder in praktischen Lebenslagen bieten? Und wie viel Lobbyarbeit wollen wir machen?

Knut Gielen: Das Kollegiale, den Austausch, das halte ich immer noch für den Kitt, der den Verband zusammenhält. Wenn der mal weg ist, wenn sich Fotografen nicht mehr austauschen, sich nicht mehr als einigermaßen homogene Gruppe betrachten, dann kannst du das Ding sein lassen.


Frank Keil
arbeitet seit über 20 Jahren als Kulturjournalist für verschiedene Zeitungen und Magazine, u. a. taz-Nord, die Jüdische Allgemeine, Chrismon, Mare und Nordis. Zeitweise ist er CvD des Straßenmagazins Hinz und Kunzt.