Magazin #10

Jahrestage

Editorial – Claudia Sonntag

Das ostdeutsche Sandmännchen wird 30, vor 50 Jahren wurden zwei deutsche Staaten gegründet, seit dem Mauerfall sind 10 Jahre vergangen, und der Fernsehturm in unserer neuen Hauptstadt ist nun auch schon 40 Jahre alt. 1999 – ein Jahr der runden Jubiläen.

Grund für einen Blick zurück auf fünf Jahrzehnte doppelter deutscher Fotografie-Geschichte auch für FreeLens? Das ist doch langweilig und abgestanden, mag als Einwand kommen. Unsere Erfahrungen bei der Vorbereitung dieses Heftes sind jedoch ganz anderer Art: Es gibt noch immer viel Unwissen, »hüben wie drüben«. Viele der Geschichten aus der alltäglichen Bilder-Praxis sind noch nicht erzählt. Doch das ist nicht so einfach, dieses Erzählen – es stößt hier wie dort auf Vorurteile. Die Fotografen aus der DDR fürchten eine Interpretation ihrer eigenen Geschichte durch oberflächlich schauende »Westler«, und diesseits des vormaligen Eisernen Vorhangs glaubt schon alles zu wissen, wer je einen Blick in eine Publikation aus der ehemaligen DDR geworfen hat.

Wir haben deshalb AutorInnen aus West und Ost eingeladen, große und kleine Geschichten über Fotografen und Medien in beiden deutschen Staaten nach 1949 zu erzählen. Für einen Einblick in die Praxis des Magazinjournalismus hat sich Andreas Krase meterweise durch Bände der Zeitschriften Stern und Neue Berliner Illustrierte (NBI) gearbeitet und nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Umgang mit dem Bild Ausschau gehalten. Dabei kommt jedoch – insbesondere für die DDR – allenfalls ein kleiner Ausschnitt von »Wirklichkeit« in den Blick; nur die wenigsten heute noch aktiven FotografInnen aus der DDR haben für den öffentlichen Markt gearbeitet. Deshalb berichtet T.O. Immisch über Bilder im Kontext der Kunst und thematisiert damit eben auch jene journalistische Fotografie, die sich nicht in den großen Zeitungen und Magazinen der DDR finden läßt.

Und wir haben KollegInnen aus beiden deutschen Staaten befragt. Sie erzählen Geschichten von Studium und Beruf, Wünschen und Ängsten, ihre fotografischen Vorbilder und Werte, ihr Verhältnis zum Auftraggeber, ihre Sicht auf die Welt der journalistischen Fotografie. Wir trafen uns mit den Gründern der Agentur Ostkreuz zu einem Gespräch darüber, wie Fotografen aus der DDR nach 1989 die Umstellung auf einen anderen Markt erlebt und empfunden haben.

Dieses Heft ist keine abschließende Darstellung all dessen, was es diesseits und jenseits der Mauer gegeben hat. Wir stellen Fotografen und ihre Handlungsspielräume vor und wollen damit das Gespräch über zweimal deutsche Fotografie nach 1949 aufnehmen. Mit dieser Sammlung von Materialien, Meinungen und ersten Einschätzungen soll einer Sicht auf das Gute Hüben und das Schlechte Drüben Einhalt geboten werden; egal, von welcher Seite aus man auch schauen mag.

Konkurrenz der Systeme – oder Wandel der Märkte: BMW und SED als Auftraggeber sind schließlich, allen Unterschieden zum Trotz, zwei Seiten ein und derselben Medaille.