Magazin #35

Jungs, hier kommt der Masterplan

Editorial von – Peter Lindhorst

Beneidenswert, wenn Menschen Visionen haben, ein in ihren Vorstellungen auf die Zukunft bezogenes Bild. Etwas, was Richtung und Zug in das weitere Handeln bringt. Der Maler, der Plastiker, der Epiker sind Visionäre, hat Nietzsche einst festgestellt. Die Fotografen hat er vergessen. Der Eindruck mag täuschen, aber Visionen scheinen sich im heutigen Kontext zuallererst auf strategische Unternehmensentwicklungen, nicht auf individuelles Handeln zu beziehen. Weit ausgreifende Ideen, gar ein Hang zur Weltverbesserung? Kann man sich die Vision, den Masterplan vornehmen? Die meisten halten es da lieber mit der Nüchternheit des ehemaligen Kanzlers Schmidt. Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.

Wer eine Idee entwickelt, bezieht sie auf die unmittelbare Gegenwart. Er kann ihre Tragweite, ihrer Wirkung in die Zukunft natürlich nicht absehen. Manchmal treffen sich Fotografen in der Gruppe, um sich auszutauschen oder ein Problem kollektiv zu lösen. In der Regel sitzen sie nicht da, um langfristige Strategien zu entwickeln, sondern fassen Entschlüsse, die das Hier und Jetzt abdecken. Erst retrospektiv mag sich alles Handeln so geschmeidig wie schlüssig anhören. Hätte jemand damals vermutet, dass ein Treffen in einer Kantine die Initialzündung zur Gründung des größten deutschen Fotografenverbandes sein würde?

Oder ein junger Mann, der einst als Rettungsflieger nach Grönland kam, um von dem, was er dort vorfand, mächtig enttäuscht zu sein. Hätte man ihm gesagt, dass er einst der wichtigste Chronist jener indigenen Zone sein würde, überhäuft mit Preisen für seine Fotos – er hätte wohl abgewinkt. Hätte ein anderer Fotograf, der die Missstände im Kaukasus dokumentieren wollte, gedacht, jemals so viele Ausstellungen, Bücher und einen enormen Bekanntheitsgrad bis in die höchste Politik hinein zu erzielen? Wie schwer fällt es da, ein Projekt zu beenden und neue Visionen zu entwickeln? Um tatsächlich einen großen Visionär zu beschreiben, lässt sich wohl am besten die Technikgeschichte heranziehen. Auch einem Oskar Barnack konnte es nicht klar sein, welche Tragweite die Erfindung der Leica für die Entwicklung der Fotografie haben würde. Nur selten formuliert jemand dagegen tatsächlich eine Vision konkret, um ihr gleich ein ganzes Museum zu widmen. Kein Größenwahn, sondern eine gemeinsam mit anderen Leuten sorgfältig erarbeitete Idee.

Apropos gemeinsam. Ungezählte Ideen laufen ins Leere, andere setzen sich fest. Ihren Anfang nehmen sie oft im gemeinsamen Gespräch. Auch ein Workshop kann ein idealer Ort der Kommunikation sein, um Ideen zu formulieren, eigene Denkweisen zu überprüfen und Dinge neu auszuprobieren. Nicht jede Idee ist so weitreichend, um als Masterplan die Welt zu erobern, wie es die Gruppe Tocotronic einst besang. Manch eine Idee schwillt behutsam an. Manchmal wächst sie sich zu einer Vision aus, die in die Zukunft strahlt.