Magazin #20

Lebenslänglich, oder: Auf den Spuren des unsichtbaren Theo

Seltsam, wo sich manche Menschen vor der Öffentlichkeit verkriechen. Und dann beißen sie gleich um sich, wenn man auch nur ein wenig in ihre Nähe kommt. Eine skurrile Geschichte.

Text – Frank Schinski

Wer kennt schon Bredeney? Es ist der Essener Stadtteil, in dem Karl und Theo Albrecht leben – oder besser gesagt: sich verstecken. Ein Ort, dem man nicht zutrauen würde, dass hier zwei der absolut reichsten Menschen der Welt leben. Im Stadtteilzentrum findet man nicht mal ein Café. Die Bevölkerungsschicht zwischen 20 und 35 ist quasi nicht vorhanden. Alle abgehauen.

Im Sommer 2003 bekam ich von dem Magazin Dummy – einem Berliner Zeitschriftenneuling – den Auftrag, Bredeney zu fotografieren. Aufgabe war es, die Anonymität und Verschlossenheit des Ortes zu zeigen und auf diese Art eine Geschichte über die beiden ALDI-Gründer zu bebildern, beziehungsweise eine Geschichte über den Mythos der Unsichtbarkeit der beiden. Die Tatsache, dass es seit 15 Jahren kein aktuelles Foto von ihnen gibt, ließ eh darauf schließen, dass es ein schwieriges Unterfangen wäre, einen Fototermin mit den Brüdern zu vereinbaren. Außerdem hätte ich den Auftrag, die Senioren »abzuschießen«, wohl auch eher abgelehnt. Die Idee war vielmehr, den Ort zu fotografieren, ohne dabei die Hauptakteure der Geschichte zu zeigen.

Also fuhr ich los. Mein erster Tag in Essen-Bredeney war ein Sonntag. Die katholische Kirche des Ortes war auch Thema der Geschichte, also ging ich in die Kirche. Und nachdem ich mir einen ersten Eindruck verschafft hatte, direkt zum Pfarrer, um ihn um sein Einverständnis zu bitten, das Gotteshaus und während bzw. nach der Messe fotografieren zu dürfen. Ich bekam sie und fotografierte. Insgesamt blieb ich zwei Tage, um den Charme Bredeneys mit meiner Kamera einzufangen.

Am dritten Tag früh um acht – ich war in der Nacht nach Hause gekommen und gerade aufgestanden – klingelte das Telefon. Am Apparat der Pfarrer. Er war ganz aufgebracht und warf mir mit sich überschlagender Stimme vor: Ich hätte auch vor der Kirche fotografiert. Er hätte mir das nicht erlaubt. Ich dürfe auf keinen Fall die Bilder veröffentlichen. Ansonsten hätte ich »mit ernsthaften Konsequenzen zu rechnen«.

Ich versuchte ihn zu beruhigen und sagte ihm, dass ich ihn erstens sehr wohl nach seinem Einverständnis gefragt – und es auch erhalten – hätte, und zweitens, dass ich eh keine einzelnen Personen erkennbar fotografiert habe. Er ließ sich aber überhaupt nicht beruhigen, im Gegenteil: Er ließ mich dann auch noch wissen, dass ich ihm sowieso schon ganz obskur vorgekommen war, und entzog mir im Nachhinein das Recht, die Bilder zu veröffentlichen. Damit war dann das Telefonat beendet und mein Glauben an katholische Pfarrer völlig demoliert.

Am vierten Tag bekam dann alles einen Sinn. Obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, ob »Sinn« die richtige Wortwahl ist. Als ich nach Hause kam, fand ich im Briefkasten ein Schreiben der Rechtsanwälte von Theo und Cäcilie Albrecht. Im Briefkopf die Namen 18 verschiedener Anwälte und Notare. Der Betreff: »Verletzung des Rechtes am eigenen Bild«. Ich möchte hier nicht verschweigen, dass mich dieses Schreiben ziemlich verunsicherte. Mein erster größerer Magazinjob – und dann gleich so ein Ding.

In dem Brief, der vermutlich auch gleich den Sachverhalt eines gerichtsverwertbaren Schriftsatzes erfüllte, wurde mir mitgeteilt, dass ich am Sonntag Theo Albrecht mit Frau und Freunden vor der Kirche fotografiert hätte. Zitat: »Art und Umfang der von Ihnen gefertigten Fotografien zeigen im Übrigen, dass es Ihnen vorrangig auf die Abbildung, insbesondere unserer Mandanten ankam. Hierfür spricht auch, dass Sie am 14.7.2003 beobachtet wurden, als Sie in der Filiale ‚Heinrich-Held-Str.‘ der Fa. ALDI GmbH & Co. KG in 45133 Essen weitere Fotografien anfertigten.«

Man verlangte von mir die sofortige Herausgabe und Vernichtung der Nega­tive und eventuell angefertigter Dateien, weiterhin sollte ich eine beigefügte Unterlassungserklärung unterschreiben, mit der ich einwillige, die Bilder nicht zu veröffentlichen – was einem Schuldbekenntnis gleich käme. Wenn ich mich dem widersetze, würde mir eine Geldstrafe, eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr usw. drohen.

Nun weiß ich nicht, was paranoider ist: die Tatsache, dass die Anwälte wussten, was auf meinen Bildern zu sehen ist, bevor ich selber Kontakte machen konnte und wusste, was auf meinen Bildern ist. Oder dass mir Theo Albrecht die ganze Zeit vor der Linse herumlief und dachte, ich hätte ihn fotografiert, obwohl ich nicht einmal weiß, wie er genau aussieht.

An mir waren innerhalb von zehn Minuten an die 200 Rentner vorbeigelaufen. Und wie bereits gesagt: Das einzige Bild, das es von den Konzernsenioren gibt, ist 15 Jahre alt – und nicht besonders scharf. Mir wäre es recht schwer gefallen, selbst mit dem Foto in der Hand vor Ort herauszufinden, wer jetzt eigentlich Theo Albrecht ist.

Zwei Briefwechsel mit dem Dummy-Anwalt waren nötig, bis die Rechtsvertreter von Herrn Albrecht erkannt hatten, dass ihre Forderungen völlig überzogen, sachlich haltlos und fern jedes geltenden Rechts waren.

Aber irgendwie wollten sie mich doch noch kriegen. Und so flatterte mir ein letztes Schreiben ins Haus: Weil ich – wie beobachtet und berichtet wurde – ohne Genehmigung auch in der ALDI-Filiale fotografiert hätte, bekäme ich jetzt Hausverbot in allen ALDI-Märkten! Und das lebenslänglich.

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Frank Schinski
Ausbildung und Arbeit als Maurer. Seit 1999 Student an der FH Hannover, Studienrichtung Fotografie. Nebenher freiberufliche Tätigkeit als Fotograf.