Magazin #01

Metall im Verfall

Drei Millionen Exemplare – das ist die Auflage des Gewerkschafts-Magazins metall. Große Magazine können davon nur träumen. Für Fotografen ist das Heft inzwischen ein Alptraum: Die metall kürzte die Fotohonorare und bootete seit langem für sie arbeitende Fotografen aus – mit Praktiken, die die Gewerkschaft bei anderen Unternehmen bekämpft

TEXT – B. Kannt

»Umgestaltung der Medien«, nannte die IG Metall, die größte Einzelgewerkschaft der Welt, den rigorosen Sparkurs bei fast allen ihren Printerzeugnissen. Eine Reihe Regionalausgaben und Spezial-Publikationen wurden ganz eingestellt, selbst Streikzeitungen schrumpften zu Handzetteln.

Und man wagte sich auch an das Flaggschiff der IGM heran: Die Mitgliedszeitschrift metall wurde komplett umgestaltet. Nach Meinung des Chefredakteurs Jürgen Mechelhoff ist sie nun »das beste Gewerkschafts-Magazin der Welt«. Viele IGM-Mitglieder sind da anderer Ansicht – die neue metall ist umstritten. Als »Schicki-Micki metall« beschimpfen einige das im Layout aufgestylte Blatt, andere vermissen die einstige provokative, kämpferische Linie und viele fühlen sich nicht mehr von der metall repräsentiert, weil Berichte aus den Betrieben zusammengestrichen wurden.

Ein anderer Streit schwelt im Verborgenen: der Konflikt zwischen den metall-Fotografen und dem Chefredakteur Mechelhoff. Mehr als zwanzig freie Fotografen hatten bislang regionale Aktivitäten, Streiks oder betriebliche Arbeitsbedingungen dokumentiert. Aus der jahrelangen Zusammenarbeit hatte sich ein intensives Verhältnis zwischen Redaktion und Fotografen entwickelt. Bei einem Treffen in der Frankfurter Gewerkschaftszentrale 1991 legten sie gemeinsam Fotohonorarsätze fest. Dieser Honorarrahmen liegt mit einem Tagessatz von 500 Mark (sechs bis zehn Stunden) bei einer Auflage von drei Millionen Exemplaren aus Fotografensicht ziemlich niedrig. Doch als engagierte Menschen waren sie bei der engagierten Gewerkschaft mit ihren Ansprüchen bescheiden.

Den Dank dafür erhielten sie im Dezember 94. Umstellungsgerüchte hatten die nichtsahnenden Fotografen aufgescheucht, und sie baten den Chefredakteur um eine Stellungnahme. Die Antwort bescherte Jürgen Mechelhoff kurz vor Weihnachten: »Im Gegensatz zum bisherigen Produkt wollen wir auf eine umfangreiche Foto-Dokumentation aller Ereignisse verzichten.« Die Chefredaktion eröffnete den verdutzten Fotografen außerdem, daß die metall von zweiwöchigem auf monatliches Erscheinen umgestellt und Der Gewerkschafter, das Magazin für Betriebsräte, eingestellt wird. Ein neuer Honorarrahmen war dem Schreiben beigefügt, diesmal ohne Mitwirkung und Kenntnis der Fotografen beschlossen und verkündet.

Die Archivgebühren für Fotoabzüge von 20 Mark pro Stück sind wegen »zu hohem administrativen Aufwand« gestrichen und das Mindesthonorar für einen Auftrag von 400 auf 200 Mark gekürzt worden. Diese 50-prozentige Honorarkürzung ist einschneidend, denn die meisten IGM-Aufträge sind kurze Fototermine, für die nur das Mindesthonorar berechnet wird. Im Durchschnitt bedeutet das für die Fotografen ein Drittel Umsatzeinbußen.

Nehmen wir einmal an, die Metallunternehmer wollten den Tariflohn um ein Drittel kürzen – die IG Metall würde Zeter und Mordio schreien! Anders in diesem Fall. Denn Solidarität und Tarifpartnerschaft sind offensichtlich nur Vokabeln und schnell vergessen, wenn es um das eigene Geld geht. metall-Chefredakteur Jürgen Mechelhoff jedenfalls behauptet, er hätte die Honorare nur geringfügig verändert, und bittet darum, »…gewisse Aufgeregtheiten einzustellen.«

Kein Grund zur Aufregung, kaum Veränderungen, weiterhin gute Zusammenarbeit – mit solchen Floskeln versuchte Mechelhoff Hoffnungen zu wecken und die Fotografen zu beruhigen. Daß der Chefredakteur einen Tag vor seinem versöhnlichen Brief allerdings ihren Rausschmiß lanciert hatte, ahnte keiner der Fotografen. In einem Brief an die örtlichen IGM-Bezirksleitungen, die die Fotoaufträge vergeben, empfahl Mechelhoff, in Zukunft andere, neue Fotografen aus einer beigefügten Liste einzusetzen: »Diese Fotografen sind für Einmaleinsätze in bestimmten Regionen einsetzbar, so daß wir in vielen Fällen nur ein Abdruckhonorar pro Foto zu zahlen haben.«

Seit es Tarifauseinandersetzungen gibt, versuchen Arbeitgeber die Tarife mit Streikbrechern zu unterlaufen. Hier wird diese Methode nun von einer Gewerkschaft selbst angewandt. Oder wie soll man es sonst nennen, wenn der Chefredakteur eines Gewerkschaftsblattes seinen Mitarbeitern empfiehlt, Fotografen unter den Tarifsätzen zu beschäftigen? Und was anderes als unlauteres Preisdumping ist es, einen Fotoauftrag für ein Objekt mit einer drei-Millionen-Auflage mit 200 Mark zu bezahlen? Nach den Empfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Fotomarketing beträgt bei dieser Auflage das Veröffentlichungshonorar für ein Mini-Foto bereits 420 Mark. Frei nach dem Motto »Was kümmern uns Tarife, wir machen unsere eigenen«, spielt ein Gewerkschaftsboß Fotografen, die unfreiwillig auf die Mechelhoff-Liste geraten sind, gegen langjährige, freie Mitarbeiter aus.

Aber Herr Mechelhoff hat damit natürlich nichts zu tun. Der schwarze Peter liegt bei den zur Sparsamkeit verdonnerten IGM-Bezirken. Mechelhoff teilte denen nämlich mit, das ganze habe ja »nur empfehlenden Charakter«. Denn weil »ihre Abrechnungen über Euch laufen, habt ihr in Zukunft auch die unmittelbare Verantwortung für deren Einsatz«. Dahinter steht die Drohung: Wenn ihr weiterhin die Fotografen zu den mit uns vereinbarten, »teuren« Preisen beschäftigt, müßt ihr euch nicht wundern, wenn ihr bei einer Finanzrevision Ärger bekommt. Die Folge: metall-Fotografen werden nur noch selten eingesetzt. Aus einigen Regionen, wie zum Beispiel dem nördlichen Bezirk Küste, ist gar zu hören: »Dann müssen die Metaller eben selbst fotografieren lernen.« Das klingt wie ein Hilferuf aus der Steinzeit der Medienpolitik.

Gleichzeitig beschäftigt man aber eine Werbeagentur, die das Magazin für viel Geld mit allerlei formalem Schnickschnack aufpeppt. Das stößt auch bei den Text-Korrespondenten der metall auf Kritik. »Dieses Blatt gibt es seit über hundert Jahren, und es hat nicht verdient, daß sich ein paar Irre daran austoben«, ereifert sich einer. Und ostdeutsche Fotografen beklagen, »daß mehr und mehr wichtige Themen unter den Tisch fallen und sich Metallarbeiter im Kampf um Arbeit, Löhne und bessere Arbeitsbedingungen von ihrer Zeitung und damit ihrer Gewerkschaft zunehmend im Stich gelassen fühlen.«

Die metall-Fotografen sind nicht nur im Stich gelassen worden. Sie fühlen sich ausgebootet und haben erhebliche Einkommenseinbußen zu verzeichnen. Für manche heißt die »weiterhin gute Zusammenarbeit« à la Mechelhoff: Seit Ende vergangenen Jahres gab es keinen einzigen Auftrag mehr. Fotografen, die über zehn Jahre lang – bei Streiks Tag und Nacht – für die IG metall die Linse hingehalten haben, wurden glattweg auf die Straße gesetzt. Gemeinsam setzten sie sich mit einem Brief an den IGM-Vorstand zur Wehr: »Wir sind nicht bereit, uns so behandeln zu lassen, wie wir es bisher nur von Arbeitgebern gewöhnt sind. Wir wollen weder 50-prozentige Lohneinbußen akzeptieren noch Kündigungen, noch, daß hinter unserem Rücken Kollegen engagiert werden, die unter Tarif arbeiten wollen.«

In der IG Metall-Vorstandsetage gab man sich ahnungslos. Vorstandsmitglied Walther Riester sprach von »marginalen Veränderungen« und verwahrt sich gegen alle Vorwürfe. Der Bitte der Fotografen nach einem Gespräch mit der IGM erteilt Riester eine Absage: »Für mich ist …keine Notwendigkeit erkennbar, warum über den bisherigen Schriftwechsel hinaus noch weitere Gespräche in der Sache zu führen sind.« Die IG Metall redet nicht – sie handelt.