Magazin #30

Multimedia ist keine Zauberei

Mit Multimediaessays gewinnt die Fotoagentur Magnum jedes Jahr neue Kunden hinzu. In einem eigenen Magnum-In-Motion Workshop gibt sie weiter, was man über die Produktion von Multimediaessays wissen muss

Text & Fotos – Christoph Otto

Lässig an einen Stuhl gelehnt, steht Adrian Kelterborn in der ersten Reihe des Computerraums der Neuen Schule für Fotografie in Berlin. Der Senior-Producer aus New York trägt unter der Leitung von Kreativ-Direktorin Claudine Boeglin die Verantwortung für die Multimediaabteilung der berühmten Fotoagentur Magnum. Weil diese so erfolgreich ist, hat die Agentur eine fünftägige Workshop-Reihe ins Leben gerufen, in der man lernt, ein Multimediaessay zu produzieren. Nach dem Auftakt in New York findet dieser internationale Workshop das erste Mal in Deutschland statt.

Der gelernte Filmemacher Kelterborn ist mit seinen einunddreißig Jahren kaum älter als die meisten Fotografen im Raum, die begierig jedes seiner Wörter aufsaugen. Es sind vor allem Fakten aus dem Agenturalltag, die neugierig machen. Etwa, dass die im Jahr 2004 gegründete Multimediaabteilung zu einer wichtigen Säule im Agentur-Portfolio herangewachsen ist, ohne die Magnum keine großen Projekte hätte an sich binden können wie »Access to Life« und »Georgian Spring«.

Hinter »Access to Life« steht eine Aids-Organisation und »Georgian Spring« ist ein gelungener PR-Coup des Landes Georgien, das neben einem Buch und einer Ausstellung auch zehn Multimediafilme auf der Webseite www.georgianspring.com zeigt.

»Heutzutage kommt es nicht mehr darauf an, dass die Bilder gut sind. Das ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit. Heutzutage müssen vor allem die Ideen gut sein«, fährt Adrian Kelterborn fort und schaltet den Beamer ein. Über die Projektionswand huschen zu Beethovens dramatischer 7. Symphonie Bilder von Magnum-Fotografen Abbas Arbeit über die iranische Revolution mit dem Titel »Vom Schah zu Khomeini«. Langsam baut sich die Dramaturgie des Essays auf. Im Vier-Sekunden-Takt sieht man Bilder vom Schah, der First Lady und von den Ministern bei einer Parade. Behutsam werden Bilder vom Landleben beigemischt, bevor die Machthaber in Bedrängnis geraten, und die ersten Fotos von Protestkundgebungen auftauchen. Bilder von Khomeini mit erhobener Hand werden geschickt dagegen geschnitten. Im Takt der Musik steigern sich die Bildaussagen. Was mit einer öffentlichen Verbrennung von Schahfotos beginnt, erfährt mit den Fotos vier exekutierter Generäle seinen Höhepunkt. Aufgebahrt und halbnackt liegen die toten Körper im Leichenschauhaus. Hinter den Leichnamen stehen Revolutionäre und stellen triumphierend ihre Maschinengewehre zur Schau.

Dass es auch innerhalb der Magnum-In-Motion Abteilung verschiedene Denkansätze und Diskussionen mit den beteiligten Fotografen gibt, wird offenbar, als Kelterborn einen zweite unveröffentlichte Variante des Abbas Essays vorführt. Diese beginnt mit den Tippgeräuschen einer Schreibmaschine. Texteinblendungen erklären Fakten und Hintergründe. Die von Claudine Boeglin gestaltete Version nimmt den Betrachter an die Hand und setzt kein Vorwissen voraus. »Claudines Devise dabei war, ein Essay zu produzieren, das auch junge Leute verstehen, die keine geschichtlichen Vorkenntnisse haben«, erklärt Kelterborn und fährt fort: »Trotzdem hat sich Abbas für die eigenwilligere Variante ohne Texte und nur mit der Beethovenmusik entschieden. Und der Wille des Urhebers ist entscheidend bei einer Agentur wie Magnum.«

Gegründet wurde Magnums Multimediaabteilung 2004 von Claudine Boeglin und Bjarke Myrthu. Seitdem werden Multimediaessays im Grenzgebiet von Reportage und Kunst, stillem und bewegtem Bild produziert. Zu sehen sind die Audioshows und Kurzfilme auf kommerziellen und informativen Webseiten sowie in Museen, Festivals und manchmal auch auf der Straße, wie das von Lou Reed kuratierte Essay »New York Genius«. Die ersten Multimediaessays von Magnum wurden in einem exklusiven Deal auf www.slate.com gezeigt. Slate ist das erfolgreichste amerikanische Web-Magazin, das ähnlich wie Spiegel-Online arbeitet.

Teil der Vereinbarung zwischen Magnum und Slate ist, dass Magnum-In-Motion alle zwei Wochen einen neuen Essay liefert. Um das Arbeitspensum zu bewältigen, beschäftigt Magnum-In-Motion mittlerweile fünf hauptberufliche Multimediadesigner. Hinzukommen je nach Projekt freie Tonmeister, Grafikdesigner und Filmmusiker. Durchschnittlich zwei Wochen dauert der Schnitt eines Multimediaessays, an dem jeweils ein Multimediadesigner arbeitet. Das kürzeste Essay »The Rat Story« dauert zwei Minuten und das längste »September 11« sechzehn Minuten. Geschnitten wird mit der Schnittsoftware Final Cut Pro aus dem Hause Apple.

Nach der Einführung über Magnum, der Analyse verschiedener Magnum-Multimediaessays und einer Einführung in das Schnittprogramm, leitet Workshopleiter Adrian Kelterborn seine Schüler an, einen eigenen Multimediabeitrag zu erarbeiten. »Die digitalisierten Fotos eines bereits abgeschlossenen Fotoprojekts und möglichst Originaltöne sind dabei die Zutaten, die man für jeden Multimediabeitrag braucht,« sagt Kelterborn.

Karolina aus Hamburg hat Fotos aus Ungarn mitgebracht, der Heimat ihres Vaters. Als Mitglied einer ungarischen Musikgruppe, die Lieder über die Freiheit gesungen hat, wollte er sich nicht einem diktatorischen System unterwerfen und ging nach Deutschland. In einer Fotoreportage ist Karolina nun der Frage auf den Grund gegangen, warum so viele Ungarn heutzutage unzufrieden sind und ausgerechnet die politische Rechte an Zulauf gewinnt.

Gemeinsam besprechen Karolina und Workshopleiter Kelterborn, mit welchen Bildern man anfangen und welche Musik man auf die Tonspur legen könnte. Dann arbeitet Karolina allein weiter, schreibt Texte, die sich mit Mikrofon und Aufnahmegerät vertont und legt Fotos auf die Bildspur der Software.

Adrian Kelterborn steht inzwischen schon dem nächsten Fotografen hilfreich zur Seite. Mal gibt er Tipps für den dramaturgischen Aufbau. Dann wieder hilft er bei Technikproblemen oder bei der Frage, wie man Fotos und Videomaterial miteinander koppeln kann. So entstehen in liebevoller Detailarbeit Beiträge, die Fotos, Ton und Texttafeln ansprechend und gekonnt miteinander verbinden.

Nach fünf Tagen Vorbereitung und Schnittarbeit werden die Essays beim Abschlussabend präsentiert. Dabei sind die Ergebnisse so unterschiedlich wie die Fotografen, die sie erarbeitet haben. Joaos poetischer Essay über einen japanischen Bauern in Brasilien, Ricardos Audioshow über Street Art in Berlin, Heikes Feature über die Bankenkrise – in jedem Multimediabeitrag spiegelt sich die Persönlichkeit der Fotografen wider.

Keine Printreportage der Welt kann das leisten. Denn anders als in einer gedruckten Reportage, bei der Bildredaktion und Artdirektion über das Schicksal einer Reportage entscheiden, nimmt der Fotograf in einem Multimediaessay seine Geschichte selbst in die Hand und wird zum Regisseur seiner Bilder. Am Ende ist der Applaus für Teilnehmer und Workshopleiter groß. Der Nährboden ist bereitet und alle sind hungrig auf noch mehr Multimediaessays.

Mehr zu Magnum-In-Motion und über die im Workshop behandelten Beispielfilme findet sich unter:http://inmotion.magnumphotos.com/

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Christoph Otto

erlernte Fotografie und Journalismus am »Centro de los Estudios de la Imagen«, Madrid sowie an der Henry Nannen Schule. Er lebt in Berlin.