Magazin #07

Teppichhändler und Vertragspoker

Das Urheberrecht – für manchen in der Medien-Branche scheint dieser Begriff ein Fremdwort zu sein. Da werden schon mal fremde Fotos munter genutzt, Vertragsrechte verletzt oder neue Verträge diktiert. Drei Beispiele und das Urheberrecht

Text – Michael Habel

VON RATTEN UND MENSCHEN

Kinderherzen schlagen höher, Erwachsenenaugen werden feucht. Der Film »Monty Spinneratz« mit Figuren der Augsburger Puppenkiste (»Urmel aus dem Eis«) kann als Parabel auf moderne gesellschaftliche Verhältnisse gewertet werden: Eine mutige Ratte will sich nicht mit dem Treiben eines bösen Unternehmers abgeben. Deshalb gibt es allerlei Turbulenzen, bis es schließlich wieder heißt: Ende gut, alles gut.

Für den Standfotografen des Puppenfilms hat das Märchen einen anderen Ausgang. 1996 beauftragte die extra für den Film gegründete »Monty Film GmbH«, Düsseldorf, den Fotostudenten Kay Domhardt (29) mit dem Job. Für rund 16 000 Mark fotografierte er in Übersee und Deutschland während der Produktion quasi jede Ratte, die ihm in den Weg kam. In diesem Jahr startete Warner Bros. den Verleih.

Doch weder auf Filmplakaten noch in Zeitungen oder in Schaukästen tauchte der Name Domhardt auf. Obwohl mit Monty Film vertraglich vereinbart worden war, bei eigenen Veröffentlichungen oder Veröffentlichungen Dritter, seinen Namen zu nennen. Zunächst ging Domhardt von einem Versehen aus und machte Warner Bros. auf seine Rechte aufmerksam. Die Anwälte des Film-Giganten entgegneten: Bei dem Plakatmotiv »handelt es sich … nicht um Ihre Fotografie, sondern um einen Bestandteil des (digitalisierten Original-) Films«. Der Fotograf aus Münster ließ ein Gutachten von Fotografie-Professor Sack aus Dortmund erstellen. Der attestierte eine »100prozentige Übereinstimmung« der Plakate mit dem Fotomaterial.

Der Fall ging vor Gericht. Zwischenstand: Kay Domhardt könnte per Vergleich 15 000 Mark bekommen. Sein Anwalt fordert für seine Arbeit aber schon 18 000 Mark. Während für Warner Bros. 15 000 Mark eine eher mikrige Summe sind, ist für Kay Domhardt ein Minus von 3 000 Mark kein Pappenstiel. Weil er sich von dem Anwalt falsch beraten fühlt, hat der Student nun eine andere Juristin beauftragt. Die Moral der Geschicht: Wenn sich zwei streiten, freuen sich die Dritten – in Fragen des Urheberrechts oft die Anwälte.

ALLE RECHTE GEGEN KEINE RECHTE

»Sollten Sie mit den vorstehenden Bedingungen nicht einverstanden sein, bitten wir Sie, uns keine Bildauswahlsendungen zu schicken.« Mit diesem drastischen Satz endet ein Brief des Gräfe und Unzer Verlages (GU) vom August 1996. Das Schreiben des Redaktionsleiters Reise, Jan Scherping, ging an Fotografen und Fotoagenturen – die Bildlieferanten des Münchner Verlages. Mit den beigefügten neuen Vertragsbedingungen versuchen die Herausgeber von MERIAN XL und MERIAN live! – einer Tochterfirma des Hoffmann und Campe Verlages (MERIAN)– ein bislang in der Branche beispielloses Vertragsdiktat durchzusetzen.

Jan Scherping schrieb von Fotografen, die »ihren Rechnungen auch eigene Konditionen bei(fügen), was wir nicht akzeptieren können und wollen«. Weil der Reisebuchverlag in den nächsten Jahren »erheblich« ausgebaut werden solle, bestehe Bedarf an rechtlicher Eindeutigkeit – neuen »Foto-Einkaufsbedingungen«. Diese sehen beispielsweise für eine ganze Seite in MERIAN live! 150 Mark pro Bild vor. Die branchenüblichen Empfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (MFM) geben dafür aber ein Honorar von 270 Mark an – und das nur für die einmalige Veröffentlichung einer Startauflage von 10 Tausend Exemplaren in deutscher Sprache.

Gräfe und Unzer fordert aber für ein mickriges Honorar sämtliche Rechte: »Honorare gelten für alle Auflagen und Ausgaben des Titels in allen Sprachen der Welt«, steht in dem Vertrag. Man will also die Weltrechte, die laut MFM-Empfehlungen einen 150 prozentigen Honoraraufschlag erfordern, kostenlos obendrauf. Und damit nicht genug: Mit den Honoraren seien auch Nebenrechte »abgegolten«. Dazu gehören Wiedergaben auf CD-ROM, Disketten, Datenbanken, im Internet, das Recht der Übersetzung, Bearbeitung, die Vertonung, die Einbringung in verschiedene Buch- und Sonderausgaben und so weiter. Kurzum: Sämtliche Verwertungsrechte, zeitlich unbegrenzt, für alle heutigen und zukünftigen Medien.

Von Fotografen auf das Schreiben von GU hingewiesen, antwortete FreeLens: Besonders der Nachsatz stelle ein Novum in dem Verhältnis von Verlag und Fotograf dar, zumal nur gegenseitige Abstimmung beiderseitige Interessen berücksichtige. Die Übertragung der Nebenrechte wurde als ein Buy-Out der Rechte am eigenen Bild gewertet, das bislang nur in der Werbebranche üblich sei. FreeLens bot Verhandlungsgespräche an, doch diskutieren will man bei Gräfe und Unzer darüber offensichtlich nicht.

FreeLens bat auch den Geschäftsführer Thomas Ganske, der diese Position auch gleichzeitig bei Hoffman und Campe inne hat, um Stellungnahme. Der Brief blieb unbeantwortet. Offenbar beherrscht man bei MERIAN und Co nicht einmal die Mindestanforderungen an zwischenmenschlicher Kommunikation. Doch auch Schweigen spricht eine deutliche Sprache. Wenn auf die FreeLens-Spekulation, »daß es sich hier um einen Alleingang des Gräfe und Unzer Verlages handelt«, nicht geantwortet wird, kann dies nur bedeuten: Der Münchner Verlagsableger handelt mit Wissen und Rückendeckung der Hoffmann und Campe Verlagsleitung. Soll also der brachiale Vorstoß des Gräfe und Unzer Verlages den Weg für alle Hoffmann und Campe Objekte bereiten? Macht sich MERIAN und Co zum Vorreiter beim Versuch, Fotografenrechte zu beschneiden?

Auch Scherpings Antwort ließ auf sich warten. Zunächst behauptete er, an das FreeLens-Schreiben an die Geschäftsleitung »kann sich allerdings auch dort keiner … erinnern«. Auch als FreeLens anmahnte und ankündigte, alle FreeLens-Mitglieder zu benachrichtigen, antwortete Scherping scharf: »Ihren Ton können Sie sich sparen. Sie werden dann eine Antwort erhalten, wenn wir hier zu einer gemeinsamen Meinung gefunden haben.« Diese steht immer noch aus.

Die Reaktion der Bildanbieter war allerdings eindeutig und in der Branche bislang ohne Beispiel. »Wenn Ihr Verlag solche Einkaufsbedingungen hat, rufen Sie bitte gar nicht erst an«, mit dieser Anspielung auf das Schreiben Scherpings antworteten 860 Fotografen und 111 Fotoagenturen auf den krassen Versuch, per Vertragsdiktat Fotos billig und auf ewig einzukaufen. Auf die Absage eines Großteils der Branche reagiert Scherping mit Trotz: »Auf die Lieferungen dieser Fotografen und Agenturen kann ich auch verzichten«, sagt er auf Anfrage.

Den von FreeLens initiierten offenen Brief bezeichnet Jan Scherping in einem Schreiben an seine Bildlieferanten als »unhanseatisch« und »unfein«. Und zu Fragen von Agenturen und Fotografen über die Bedeutung etlicher völlig unklar formulierter GU-Vertrags-Passagen, liefert Scherping folgende Interpretation: »Erstens gelten die Nebenrechte auf anderen Medien nur dann als abgegolten, wenn dieses Werk 100% identisch übertragen wird. Sollten wir z. B. einen MERIAN life! Titel in auch nur geringfügig geänderter Form z. B. ins Internet stellen, so fällt automatisch das Wiederverwendungshonorar an. Das steht so auch explizit in unserem Schreiben.« Leider ist letzteres nicht richtig. Im Vertrag heißt es lediglich »für Wiederverwendung in einem anderen GU-Werk« – und das bedeutet rechtlich etwas anderes, als Jan Scherping seinen Bildlieferanten weismachen will. FreeLens-Anwalt Dirk Feldmann schreibt dazu in seiner Rechtsexpertise zum GU-Vertrag: »Wenn also das Honorar für z. B. eine Umschlagseite gezahlt worden ist, dann fallen nach diesem Vertragstext keine weiteren Honorare an, wenn neue Auflagen erfolgen, wenn der Titel später in sämtliche Sprachen der Welt übersetzt wird, die Nutzung als Taschenbuch usw. erfolgt. Lediglich dann, wenn die Aufnahme statt in Merian-Reiseführern auch noch beispielsweise in einem Kochbuch des Gräfe und Unzer Verlages veröffentlicht wird, liegt ein ,anderes Werk‘ vor, das mit 50% zu vergüten ist.«

Einen weiteren Vertragspassus schätz Rechtsanwalt Feldmann so ein: »Ausgeschlossen sind wiederum Honorare für den Fall, daß G&U eine Aufnahme weitergibt und in ,fremden periodischen oder nicht periodischen Druckschriften‘ zur Veröffentlichung freigibt.« Scherping interpretiert diesen Punkt anders. Nach ihm »beabsichtigt GU auch nicht eine eigene Fotoagentur aufzumachen, wie zuweilen vermutet wurde«. Ob das richtig ist oder nicht, ist für Bildlieferanten nicht nachvollziehbar. Sie können nur vom Vertragstext ausgehen. Und das darin enthaltene Juristendeutsch scheint auch Jan Scherping nicht ganz zu verstehen. Oder handelt es sich bei Scherpings Äußerungen um gezielte Desinformation?

Wenn Scherping das ernst meint, was er schreibt, dann müßte auch er an einer Klarstellung seines Vertrages interessiert sein. Und so lange hier nichts passiert, ist auch weiterhin mit dem Widerstand der Fotobranche zu rechnen. Ein Großteil davon liefert jedenfalls zur Zeit keine Fotos mehr an Gräfe und Unzer. FreeLens-Magazin wird weiter über die Entwicklung berichten.

RÄDER AUF DEM TEPPICH

Ike Pilton (Name geändert) sitzt in einem Airbus auf dem Geschäftsflug von Hamburg nach Frankfurt. Beim Blättern in der Tageszeitung stößt er auf einen großformatigen Prospekt. »Meine Preise sind so klein wie diese Pistazie!«, wirbt dort Hassan Darafarin, der »Fachexperte und Großimporteur für edle Orientteppiche«. Doch Pilton interessiert sich wenig für die Teppiche des Händlers mit Sitz bei Hamburg. Ihn verblüfft das Foto auf Seite eins: Ein Mountainbike unter der Überschrift »Mit unseren Preisen geht’s bergab!« Genau dieses Foto hat sein Unternehmen für eine Werbekampagne vorgesehen – sechs Millionen Getränkedosen warten schon auf das Bedrucken mit dem Sportmotiv. Der Fotograf Florian Wagner (30) aus Oberammergau hatte das Foto im Magazin Mountainbike veröffentlicht, woraufhin die Getränkefirma Interesse bekundet hatte.

Für die Produktion des Teppichprospektes war das Foto offensichtlich aus Mountainbike gescannt. Aus Angst vor einem Imageverlust zog die Getränkefirma das Motiv zurück. Trotz Ausfallhonorars – das Verhalten des Unternehmens bezeichnet der Fotograf als kulant – beziffert Florian Wagner seinen Verlust auf 5500 Mark. Eine Kampagne mit sechs Millionen Dosen hätte zudem hohes Prestige bedeutet, der Bekanntheitsgrad wäre gestiegen.

FreeLens-Anwalt Dirk Feldmann übernahm den Fall. Als eine Auskunftsklage eingereicht wurde, erkannten die Anwälte von Darafin den Auskunftsanspruch im Namen ihres Mandanten an. Allerdings teilten sie jetzt auch dem Gericht mit, daß sie den Kontakt zu Herrn Darafin verloren haben. »Um den Schaden genauer zu beziffern«, so Feldmann, »muß erst geklärt werden, welche Auflage der Prospekt hatte und ob weitere Bildmißbräuche vorliegen«. Hier liegt der Kern des Problems: Wie kann ein Fotograf wissen, wer, wo, wann Werke ohne Genehmigung gescannt und verwertet hat? Selten werden Urheberrechtsverletzer entdeckt und zur Verantwortung gezogen.