Magazin #07

»Wichtig ist, daß die Fotografie ihre Autonomie erhält«

Gerd Schnakenwinkel führt quasi ein Doppelleben: Er ist Konrektor der Realschule in Rotenburg/Wümme – und im Zweitberuf Galerist. Als langjähriger Sammler von Fotografie gründete er 1988 die GAFF – Galerie für Fotografie in Rotenburg. Schon die Tatsache, daß Schnakenwinkel in einer Kleinstadt lebt und ausstellt, macht ihn zu einem Außenseiter in der Fotoszene. In den GAFF-Ausstellungen waren unter anderem Arbeiten von Heinz-Jürgen Gerke, Barbara Klemm, Heinrich Riebesehl, Stefan Pielow, Ines Krüger, Sibylle Bergemann und Arno Fischer zu sehen.

Interview – Frank Pusch

Pusch: Warum wird ein Lehrer Galerist und Sammler – und bleibt weiter Lehrer?

Schnakenwinkel: Muß denn ein Galerist und Sammler diesen Job hauptberuflich ausüben? Meines Wissens haben auch Gruber, Gernsheim und Heiting parallel zu ihrem fotografischen Wirken andere Berufe ausgeübt.

Nach welchen Kriterien suchen Sie aus?

Das ist, als wenn man erklären muß, warum man einen Menschen toll findet. Wenn Sie sich verlieben, was spielt da die Hauptrolle – das Haar, das Gesicht, die Beine? Man weiß es im Grunde nicht. Der eigentliche Kick ist viel tiefer, viel ganzheitlicher. So geht es mir mit Fotos auch.

Was genau sammeln Sie?

Ich bin über klassische Fotografie allmählich zu moderneren Klassikern gekommen – das hat sich so ergeben. Ich habe auch immer schon jüngere Fotografen gesammelt. Solche, die ich ausgestellt habe oder zu denen ich Kontakt hatte.

Was bedeutet für Sie Bildjournalismus heute?

Ich fühle mich eher von nicht aktuellen, nicht journalistischen Themen angesprochen. Das liegt sicher daran, daß sich bei aktuellen Themen oft das einschleicht, was ich ohnehin als das Manko vieler Fotos empfinde. Das ist oft geschmäcklerisch und gefällig, wird immer oberflächlicher und glatter – Designmaterial in einem Magazin. Ich nehme auch Fotografien nicht so sehr in Magazinen wahr, eher schon in Büchern. Für mich ist aber eine Fotografie-Ausstellung das Eigentliche, ganz egal wie groß die ist und wo sie ist. Ich denke, da begegne ich richtig der Fotografie.

Sie sammeln und zeigen Bilder junger, unbekannter Fotografen. Warum setzen Sie nicht auf bekannte Namen, die eine »sichere Bank« wären?

Bei den jungen Fotografen, die ich auswähle und anderen Institutionen gegenüber vertrete, gehe ich nur danach, ob die Bilder mir gefallen. Das ist für mich entscheidend. Ich freue mich, wenn ich bei anderen für meine Fotografen Interesse wecke – wenn nicht, ist das auch kein Beinbruch. Die Fotografen sind oft froh, wenn sie in mir jemanden haben, der sie bestärkt, sie vielleicht auch kritisiert und ihnen Ratschläge gibt. Ihr Geld verdienen sie oft mit Jobs, die mit Fotografie nicht viel zu tun haben.

Was nutzt Ihr Engagement den Fotografen konkret?

Alles was ich mache, mache ich aus Interesse an der Fotografie, an der Sache. Ich vermute, daß das rüberkommt. Und daß das ein Schlüssel ist, warum viele Fotografen an der Arbeit der Galerie, an meiner Arbeit, an mir interessiert sind und ein Interesse daran haben, etwas mit mir zu machen. Sie merken, daß ich an ihnen interessiert bin. Hier geht es um die Sache, um die Fotografie – nicht ums Geld.

Also Fotografie als Kunst – l’art pour l’art. Was halten Sie davon, den Wert eines Bildes durch Vernichtung des Negativs oder ähnliches zu steigern?

Für mich ist wichtig, daß die Fotografie ihre Autonomie erhält, sich als künstlerisches Medium behauptet . Ich habe etwas gegen Äußerlichkeiten wie »es sind nur zehn Abzüge da« oder »das Negativ ist vernichtet worden«. Deshalb unterscheide ich strikt zwischen bildender Kunst und Fotografie.

Was ist denn der Unterschied zwischen Fotografie und bildender Kunst?

Der Unterschied ist für mich, daß man alles zur Kunst erklären kann. Ein Foto oder eine Fotoserie muß aber einen Ausschnitt der Wirklichkeit gestalterisch verwenden. Wenn bei der Gestaltung des Fotos zu sehr Zufälle mitspielen, dann ist das schon ein Abdriften in den Bereich der bildenden Kunst. Deswegen meine ich – im Gegensatz zu den meisten Menschen –, daß es ungleich schwieriger ist, ein gutes Foto zu machen als ein bildnerisches Kunstwerk.

Gibt es in Deutschland ein Bewußtsein für diese Auffassung von Fotografie?

Nach der Wende habe ich gemerkt, daß das westdeutsche Bewußtsein für fotografische Bildsprache recht armselig ist – oberflächlich, abgewetzt durch den übermäßigen Gebrauch des Fotos als Konsumartikel . Ganz im Gegensatz zu Ostdeutschland. Dort sind Fotos viel hintergründiger. Die haben gemerkt, was man mit einem Foto machen kann, auch politisch und gesellschaftlich. Da weiß man, welche Brisanz das haben kann, wenn der Staat sich durch ein Foto – zu Recht – angegriffen fühlt.

Kann die Autonomie der journalistischen Fotografie – wenn es sie denn gibt – erhalten bleiben in einem Umfeld, in dem redaktionelle Inhalte und Werbung oft nicht mehr zu unterscheiden sind?

Als Autonomie sehe ich da zunächst einmal die Abgrenzung von der bildenden Kunst. Die Frage, ob es ein gutes Foto ist, ist oft auch eine Frage persönlichen Geschmacks. Aber oft ist es heute auch wichtig zu betonen, daß es ein »richtiges Foto« ist. Daß es nicht bearbeitet wurde, daß eben nicht die Techniken der bildenden Kunst übernommen wurden, um das Bild zu einem – auch finanziell – akzeptierteren Produkt zu machen. Durch den Umgang mit Fotos, und der ist derzeit in der Öffentlichkeit eher mickrig, müßte man immer wieder abklopfen, wo es einen Konsens hinsichtlich der Qualität, der Aussagekraft und Aussagefähigkeit von Fotos gibt.

Was kann eine Galerie in diesem Zusammenhang leisten?

Oft wird es als Qualitätskriterium gesehen, wenn Fotos riesengroß vergrößert in Museen hängen. Da heißt es dann, jetzt wird Fotografie endlich museumsfähig und ist Kunst. Ich denke, gerade das ist ein Schuß in die ganz falsche Richtung. Meine Arbeit besteht darin, Fotografen, die noch richtige Fotos machen, zu bestärken und in der Öffentlichkeit zu vertreten, Menschen an diese Art von Fotografie heranzuführen. Das fehlt in Deutschland total.

Wie ist zu erklären, daß im Zeitalter der Bilderflut bei der Auseinandersetzung mit Bildern eher Ebbe herrscht?

Die Bilderflut sorgt, wie jede Flut, dafür, daß man die Schotten dicht macht. Die Schwelle, sich damit ernsthaft zu beschäftigen, wird immer höher gesetzt: Man ist übersättigt, und ein großer Prozentsatz der Bilderflut ist äußerst oberflächlich, eine Jagd nach Gags. Oft wird ein neuer Fotograf gefeiert, weil ihm neue Gags eingefallen sind. Die werden dann ausgewalzt bis zum geht-nicht-mehr. Das alles führt dazu, daß eine Barriere ensteht. Gute Fotografen werden nicht mehr richtig wahrgenommen.

Wird da auch eine Verantwortung woanders nicht wahrgenommnen?

Davon gehe ich sowieso aus. Das ist im Bereich der Fotografie an vielen Stellen so. Zum Beispiel die größeren Einrichtun­gen, wie auch Museen, nehmen ihre Verantwortung nicht so wahr, wie sie es sollten. Sehr oft wird , und das mag auch bei den Redaktionen und Bildredakteuren so sein, nur auf den großen und schnellen Erfolg geschielt – das heißt natürlich auch kommerziellen Erfolg. Ich meine, Risiken einzugehen, das Augenmerk wieder auf Leute zu richten, die auch für die Auseinandersetzung der Fotografie in der Gegenwart interessant sein könnten, ist viel reizvoller als Fotos, die sowieso schon »in« sind, immer wieder zu reproduzieren.

Wobei die Antwort meist lautet: »Das wollen die Leute nicht sehen.«

Natürlich, das ist immer dasselbe. Eine Welle, die sich dann immer mehr selber bestärkt. Wie im Fernsehen: »Wir können ja nichts Gutes mehr bringen, weil die Leute das nicht sehenwollen.« Und je mehr man dann nichts Gutes bringt, stellt man fest, daß die Leute es nicht sehen.