Magazin #28

Wo die Bilder wieder laufen lernen

Klassische Printmedien waren Brian Storm zu langweilig. Er kombinierte Fotografie, spannende Reportagen, Videos, Sprache und Grafik zu einer einzigen Plattform für »Storytelling« im Internet schlechthin: www.mediastorm.org

Text – Manfred Scharnberg
Foto – Maria Irl

»Die Leute mögen Fotografie. Es ist eine globale Sprache, die überall verstanden wird«, sagt Brian Storm. Für den Präsidenten der Internetplattform MediaStorm ist es die Basis seiner Arbeit. Erstklassige Fotografie  und spannende Geschichten, dazu ein Mix aus Video-Sequenzen und Tonkollagen, perfekt dramaturgisch umgesetzt – das macht MediaStorm so interessant.

Dabei präsentiert die Plattform bisher lediglich 24 Multimedia-Geschichten. Lächerlich wenig »Content« für so manchen Medienfachmann. Die fangen erst ab 3000 Beiträgen an, eine Onlineplattform ernst zu nehmen oder gar zu starten und empfehlen jedem Betreiber Bewegtbilder. Heraus kommt dabei eine Masse eilig zusammengeschusterter Beiträge und ein oftmals belangloses Geflimmer. Dem setzt MediaStorm etwas Entscheidendes entgegen: Qualität.

»Ich möchte guten Autoren, die starke Geschichten zu erzählen haben, eine Stimme geben«, sagt Brian Storm, »schließlich hat Journalismus eine große Kraft.« Dieses »Storytelling« wie Storm es nennt, kann ganz unterschiedlich ausfallen. Von einer romantischen Ode auf Mexikos Tequila bis zur aufrüttelnden Reportage über Heroinsüchtige in New York haben alle eines gemeinsam: »Unwiderstehliche Geschichten« müssen es sein, so Brian Storm. »Ich möchte Inhalte veröffentlichen, die Menschen helfen, sich mit den komplexen Fragen unseres Planeten auseinanderzusetzen. Es ist ein wundervoller Weg Informationen mit anderen zu teilen.«

In »Kingsleys Crossing« begleitet Fotograf Olivier Jobard einen Menschen aus Westafrika auf dessen verzweifelter Flucht ins gelobte Europa. Eine Multimedia-Geschichte, die 2004 produziert wurde. »Man kann sicher sein: Gerade in diesem Moment versucht irgendjemand über das Meer nach Europa zu gelangen um einen besseren Lebensstandard zu erreichen. Diese Story ist also immer noch absolut relevant« bemerkt Brian Storm, »wir interessieren uns für Lebensbedingungen von Menschen, konzentrieren uns auf universelle Themen, die über den Moment hinaus Bedeutung haben.«

Und die müssen seiner Meinung nach auch Tiefe haben, eine komplexe Welt erklären. Weil ihm das im klassischen Fotojournalismus nicht möglich war, kehrte er den Printmedien schnell den Rücken zu. Während seines Fotojournalistik Studium an der Universität von Missouri war er von mickrigen Veröffentlichungen seiner Fotoarbeiten in Zeitungen frustriert. So machte er seinen Master denn auch mit einem Foto-CD-Projekt. Bereits 1994 gründete er MediaStorm, noch nicht wissend in welche Richtung es gehen sollte. Das Internet war noch am Anfang seiner Möglichkeiten.

Während des Studiums arbeitete Brian Storm bereits für MSNBC, initiierte dort »Week in Pictures« – eine bis heute sehr erfolgreiche Fotoseite. Von dort aus holte ihn Bill Gates zu Corbis als Direktor im Bereich »News, Multimedia & Assignment Services«. »Wahrscheinlich war ich der erste Mitarbeiter in den USA, der so einen Titel trug«, sagt er heute  mit einem Lächeln. Obwohl die kommerzielle Anwendung für Multimedia noch unklar war, baute er ein kleines Team von Fotografen auf, schulte sie multimedial und versorgte sie mit Aufträgen. Brian Storm hatte 120 Angestellte unter sich, die in sechs Büros weltweit arbeiteten. Insgesamt verbrachte er sieben Jahre auf dem Microsoft Campus. »Dort lernte ich eine Menge darüber, wie man Inhalte und Projekte zusammenbringt und sie auf einem hohen Level produziert.«

In seinem Freundeskreis bemerkte Brian Storm, wie sich die Lage von Fotografen, die in jungen Jahren gut zurecht kamen, veränderte. Nun, im Alter von 30 Jahren, hatten sie Schwierigkeiten ihre Familien zu ernähren. Damals wurde die Idee MediaStorm immer konkreter. Zwischen 2004 und 2005 kamen mehrere Faktoren zusammen, die dem Unternehmen Möglichkeiten eröffneten: Breitbandleitungen konnten Videos übertragen, große Medienunternehmen waren online und Anzeigenerlöse entwickelten sich auch für das Internet. »Niemals zuvor hatte es solche Chancen gegeben journalistisch im Internet zu arbeiten, ein großes Publikum zu erreichen und dabei die Werkzeuge unterschiedlicher Medien einzusetzen«, erklärt Brian Storm.

Ihm geht es nicht darum einem bestimmten Medium zu frönen. »Ich liebe Fotografie – doch in erster Linie bin ich an Geschichten interessiert, Geschichten die ein ganz allgemeines Publikum erreichen. Der Fokus liegt klar auf dem Inhalt.« So wird Markus Bleasdale in »Rape of Nation« nicht als Fotograf präsentiert, auch wenn seine großartigen Bilder zu sehen sind. »Er hat acht Jahre im Kongo gearbeitet und besitzt ein außergewöhnliches Wissen über das Thema. Markus ist daher der Erzähler unserer Geschichte«, berichtet Brian Storm.

Auch im Medienmix gibt es nur Präferenzen, die dem Thema dienlich sind. Der Producer erklärt: »Bei ›Sandwich Generation‹ von Ed Kashi und Julie Winokur hatten wir wirklich alles zur Verfügung: Foto, Video, Ton. Wir haben versucht jeweils das Medium mit seinen spezifischen Stärken zu verwenden. Der Trick ist das richtige Medium für die richtige Szene zu finden. Dadurch gewinnt die Geschichte – und das hat absolute Priorität.«

Fotografie erlaubt es, ein Bild eine Weile anzuschauen, es auf sich wirken zu lassen. Ein eingefrorener Gesichtsausdruck wirkt wesentlich intensiver als in der Bewegung. Während Video den Zuschauer in die Szene mit hinein nimmt. »Man erfährt etwas über die speziellen Ausdrucksmittel einer Person. Das ist wichtig, denn zu etwa 80 Prozent läuft unsere Kommunikation über die Körpersprache. Die Art wie jemand etwas sagt, ist wesentlich um zu verstehen, wie es gemeint ist«, meint Brian Storm. Wenn man ausschließlich Ton zur Verfügung hat, sei das weniger der Fall. Daher bevorzugt Brian Storm Video-Interviews, über die man Protagonisten einer Geschichte näher kennenlernen kann.

»Online wird immer wirkungsvoller und gewichtiger. Es ist immer up to date, und als globales Archiv für Inhalte wächst es ständig – es ist auf jeden Fall ein überlegenes Medium«, meint Brian Storm. Der Chef von MediaStorm verbringt nicht viel Zeit mit Demografie und Marktanalyse. Für journalistische Medien sind Zielgruppen im Internet sowieso relativ schwierig zu ermitteln. Brian Storm verlässt sich auf sein Gespür, auf seine eigene Neugier. »Internet ist der härteste Platz für Storytelling«, meint er, »gleichzeitig ist es die raffinierteste Art Geschichten zu erzählen. Es hat Interaktion, bezieht Communities mit ein, ist immer verfügbar. Egal wann oder wo – es ist immer da.«

MediaStorm betreibt auch kein Marketing. Die Themen – und damit die Popularität des Unternehmens – verbreiten sich über Medien, soziale Netzwerke und Organisationen. Das Unternehmen stellt Text- und Grafikmaterial Interessenten zur Verfügung, die damit MediaStorm-Projekte bekannt machen, dafür werben. Das sind nicht nur Organsiationen, die zum Beispiel »Bloodline« empfehlen, weil das Multimediaprojekt, und sie selbst gegen AIDS arbeiten. Auch Blogs und Privatleute wirken als Multiplikatoren. »Ein russischer Blogger – ein Mensch den wir nicht kannten – hat eine unserer Geschichten auf seinem Blog gepostet. In dieser Woche hatten wir 15 mal so viel Traffic wie in der Woche zuvor – die meisten davon aus Russland«, berichtet Brian Storm. Seine Plattform expandiert durch die Inhalte, die Themen werden weltweit gestreut, vervielfältigen sich selbstständig – durch das Engagement der Nutzer.

Eine Juwelierin war tief bewegt von Markus Bleasdales Geschichte über Blutdiaman­ten aus dem Kongo. Sie schickte den direkten Link zu der MediaStorm-Story an ihr internationales Netzwerk von Juwelieren. Ihre Botschaft: Kauft niemals Diamanten, dessen Herkunft nicht nachgewiesen ist. »Das ist der Vorteil«, urteilt Brian Storm, »eine Fernsehsendung kann man nicht per E-Mail versenden – aber den Link zu unserer Geschichte wohl.«

»Never Coming Home«, ein Projekt über Familien, die Angehörige im Irak-Krieg verloren haben, ist ein gutes Beispiel für wirkungsvolles Publizieren. Brian Storm produzierte eine fünfteilige Serie für die Homepage des Slate Magazine. Das Projekt wurde nicht nur für den Webby Award nominiert. Innerhalb von zwei Tagen zählte man eine Million Rezipienten der Serie. »Das Ungewöhnliche daran: Ich habe diese Serie zuhause produziert, gemütlich in Socken an meinem Laptop sitzend, und Millionen Menschen haben es gesehen«, bemerkt Brian Storm, »Das zeigt welche Alternativen das Internet birgt.«

Auch in der Vermarktung ist Brian Storm kreativ. Für die Multimedia-Geschichte »Irak Kurdistan«, die wie ein Daumenkino funktioniert und die Grenzen zwischen Video und Fotografie verwischt, startete MediaStorm eine Auktion. 35 ausgewählte Kunden konnten sich die Vorab-Premiere in einem geschützten Bereich exklusiv anschauen und gegeneinander bieten. »Diejenigen, die den Zuschlag erhielten, hatten das Geld innerhalb von zwei Tagen durch Werbung wieder eingespielt«, berichtet Brian Storm, »auch wenn wir offensichtlich unterbezahlt wurden, ist es spannend zu sehen, dass hier große finanzielle Möglichkeiten liegen.«

»Die Klicks beweisen, dass viele Menschen sich gern multimediale Produkte anschauen«, betont Brian Storm, »Bisher stellen wir jeden Monat erneut fest, dass wieder mehr Leute als vorher unsere Geschichten angeschaut haben. Und unser Konzept ist garantiert nicht das einzige, das journalistischem Storytelling eine finanzielle Basis gibt.« Er glaubt dass auch bei den Honoraren Zuwachsraten zu erwarten sind. Bei den ständig steigenden Zugriffszahlen und der wachsenden Bedeutung des Internet sei das zwangsläufig.

Weil Multimedia Fotografen erweiterte Verdienstmöglichkeiten bietet, orientieren sich viele in diese Richtung. Brian Storm will ihnen Mut machen: »Viele von uns wählen Fotografie, weil sie Kommunikation lieben, aber nicht schreiben wollen. Mit Multimedia ist es möglich die Protagonisten im übertragenen Sinn schreiben zu lassen. Sie werden zum Erzähler einer Geschichte. Mit Antworten auf einige wenige gut überlegte Fragen bekommen die Fotos mehr Substanz. Und ganz wichtig: Man gewinnt Autorenschaft hinzu – das vermissen doch viele Fotografen.«

Trotz des Erfolges von MediaStorm warnt ihr Gründer: »Im Internet liegen keine Goldstücke herum. Darum stützen wir uns auf vier Standbeine um wirtschaftlich bestehen zu können.« MediaStorm ist nicht nur eine Veröffentlichungsplattform, sondern auch eine Multimediaagentur die Beiträge lizensiert. Ein wichtiger Erwerbszweig ist die Produktion. Kunden wie National Geographic oder New York Times geben Projekte in Auftrag. Brian Storm: «Zudem versuchen wir unsere Methode, Geschichten zu erzählen, weiter zu verbreiten. Wir veranstalten Workshops, beraten und trainieren Interessierte.«

MediaStorm wurde für seine Beiträge mehrfach ausgezeichnet, darunter mit zwei Emmy’s (2007 und 2008) sowie drei Webby Awards. Acht Mitarbeiter gehören zum Team – Tendenz steigend. »Wir teilen alle die gleiche Leidenschaft und eine ähnliche Lebenseinstellung«, hebt Brian Storm hervor. Größere Räume sind bereits bezogen, viele Projekte in der Pipeline. Trotz aller Expansion: »Wir werden eine kleine Firma bleiben und sicher nicht zu einer Internet-Verkaufsboutique werden«, verspricht der Chef. Er spielt damit auf die kommerziellen Links der Plattform an. CDs, Bücher und Prints der Fotografen, die Lizensierung von Bildern – alles ist per Klick zu haben. Aber auch der Link zu einer Unzahl von sozialen Organisationen. Vernetzung ist die Stärke von MediaStorm, das konzeptionell seines Gleichen sucht. Dennoch findet Brian Storm ungewöhnliche Worte für einen Medien-Manager: »Ich wünsche mir, dass andere überall auf der Welt uns kopieren.«