Street Photography
Hendrik Wieduwilt

Fotos brauchen Freiheit

Die Fotografie ist ein Kristallisationspunkt, an dem sich die tief greifenden technologischen wie gesellschaftlichen Veränderungen überdeutlich zeigen. Das macht sie zum Ausgangspunkt aber auch zum Ziel gewandelter Wertvorstellungen und damit auch der Rechtspolitik – aus Zeitgeist wird Politik, Politik gerinnt zu Gesetzen. Es ist daher höchste Zeit, dass Fotografen ihren Standpunkt in der Debatte einnehmen.

Der technologische Fortschritt macht die einen mächtig, die anderen ängstlich: Praktisch jeder kann sich inzwischen eine Kamera leisten, mit der professionelle Bilder erzeugt werden können. Selbst Smartphones machen scharfe detailreiche Bilder. Mehr denn je wird fotografiert, werden Bilder verbreitet. Die Entwicklung ist noch nicht am Ende: Drohnenkameras verbreiten sich, inzwischen sind erste 360° Kameras im Einsatz, die dem Zuschauer ermöglichen, nachträglich den Blickwinkel zu verändern. Die Informationstechnologie tut ihr Übriges: Die großen Anbieter – Flickr sowie Google – können schon jetzt Gesichter aber auch Fotomotive recht zuverlässig erkennen. In Verbindung mit Standortdaten ergibt sich aus gewöhnlichen Fotos auf dem Handy ein aufschlussreiches Bewegungsprofil.

Fotografierte reagieren mit Empörung

Und damit sind wir bei der Angst: Jahre der Debatten um Überwachung und Privatheit in Politik und Gesellschaft haben dazu geführt, dass viele Menschen inzwischen empört reagieren, wenn sie im öffentlichen Raum fotografiert werden. Es herrscht großes Misstrauen gegenüber Big Data, also der technischen Möglichkeit, aus großen Datenmassen neue Rückschlüsse und Vorhersagen für die Zukunft zu treffen.

Der Berufsstand des Fotografen findet aus noch anderen Gründen immer weniger Rückendeckung: Zu sehr verschwimmen die Grenzen zu ambitionierten Amateuren auf Instagram oder Bürgerjournalisten. Soziologen beobachten eine Entpolitisierung der Öffentlichkeit (»Generation Biedermeier«). Die wachsende Aversion gegen die Presse und ihre Vertreter (»Lügenpresse«) ist inzwischen greifbar und färbt auch auf Fotografen ab.

Zwei Schutzprinzipien beseite gewischt

Das bringt professionelle Fotografen in eine schwierige Situation: Sie werden vermeintlich seltener gebraucht und stehen zugleich rechtlich wie auch gesellschaftlich unter höherem Rechtfertigungsdruck. Zusätzlich wird ihre Situation durch die politische Lage verschärft: Große Koalitionen neigen ohnehin zur Marginalisierung der Bürgerrechte und so hat auch die derzeitige Regierung mit dem neuen Paragraph 201a StGB, einem pressefeindlichen Entwurf zur Datenhehlerei sowie gelegentlichen Fotoverboten und Presseeinschränkungen bei öffentlichen Terminen, diese Faustregel bestätigt.

Besonders im Strafrecht wurden zwei Grundprinzipien beseite gewischt, die den Fotografen schützten: Erstens wurde die Strafbarkeit auf das Fotografieren im öffentlichen Raum ausgeweitet. Bislang gab es nur Strafnormen, die das Fotografieren in geschützten Räumlichkeiten untersagten – wer sich im öffentlichen Raum bewegt, muss damit leben, fotografiert zu werden, so lautete noch vor wenigen Jahren die Überzeugung sogar der SPD. Zweitens setzt die Norm beim Fotografieren selbst an, nicht erst bei der Verbreitung. So fehlt dem Fotografen Zeit zur Abwägung – er wird auf Grenzgänge lieber ganz verzichten. Das Fotostrafrecht bedroht damit die Rezeptionsfreiheit – das Recht zu sehen was man will. Erst im parlamentarischen Verfahren wurden die größten Gefahren für Berufsfotografen entschärft – aber es bleibt ein Paradigmenwechsel, zuungunsten der Fotografie.

Alte Normen, digital verschärft

Das Maß an Freiheit wird auch ohne gesetzgeberische Maßnahmen abnehmen, wenn nicht in der öffentlichen Debatte dagegengehalten wird. Öffentliches Fotografieren kann schon heute eingeschränkt werden – es passierte in der Vergangenheit nur seltener. Das hängt mit der Technik zusammen. In den achtziger Jahren konnte es dem Fotografierten eher gleichgültig sein, ob der Fotograf zu Hause ein paar Dias herumzeigt. Der Prozess um den Fall Espen Eichhöfer zeigt, wie sehr sich dieses Bewusstsein wandelt. Nicht mehr nur prominente, sondern auch ganz normale Bürger berufen sich auf das Recht am eigenen Bild, verlangen Unterlassung, Schadensersatz, Entschädigung.

Zudem wirken die alten Normen in der digitalen Realität schärfer: Das Kunsturhebergesetz (KUG) von 1907 hatte einen anderen fotografischen Prozess vor Augen. Damals gab es noch nicht einmal die Leica – Kameras besaßen nur Profis und Eliten, Verbreitungstechnologien gab es kaum. Da sich digitale Daten dagegen enorm billig erstellen und vervielfältigen lassen, ist für so gut wie jedes Foto früher oder später ein Verbreitungstatbestand des Kunsturheberrechtsgesetzes (§ 33 KUG) erfüllt. Ein Strafgesetz, das ehemals also eine kleine Gruppe betraf, wirkt sich nun auf jeden Menschen mit Smartphone und Facebook-Account aus. Hinzu kommt das Datenschutzrecht: Die Aufsichtsbehörden realisieren allmählich, dass sie Gesichter als personenbezogene Daten ansehen können – mit allen rechtlichen Konsequenzen. So gilt für die Einwilligung in die Aufnahme der Formalismus des Bundesdatenschutzgesetzes – eine Einwilligung nach dem Kunsturhebergesetz genügt nicht.

Viviane Maier hätte sich strafbar gemacht

Diese potenzielle Ausweitung alter Tatbestände ist auch deshalb bedrohlich, da es zunehmend schwieriger wird, zwischen legaler und illegaler Fotografie zu unterscheiden. So gibt es Rechtfertigungstatbestände schon im alten § 23 KUG, etwa wenn es sich bei der fotografierten Szene um ein Ereignis der Zeitgeschichte handelt, die Person nur Beiwerk ist oder sich auf einer Versammlung befindet. Es gibt sogar, in der Praxis selten angewandt, ein Privileg für das höhere Interesse der Kunst an der Verbreitung des jeweiligen Bildes. Der Begründungsaufwand ist jedoch hoch – ob ein Amateur wie Viviane Maier sich heute darauf berufen könnte, ist zweifelhaft. Maier würde ihre Bilder vielleicht nicht in einem verschlossenen Raum horten, sondern dem Zeitgeist entsprechend zur Selbstdarstellung auf Instagram hochladen – also »verbreiten«.

Und so stellen sich vor Gericht und im politischen Raum immer wieder neue Fragen: Wann beginnt die künstlerische Verwendung, die von der Rechtsprechung in manchen Fällen eingefordert wird? Die Grenzen zwischen Beruf und Hobby, zwischen Kunst und Filterkitsch verschwimmen zunehmend. Muss der Druck eine bestimmte Qualität haben? Muss das Post-Processing manuell erfolgen? Muss der Ausstellungsraum ein gewisses Renommee haben? Ähnliches gilt für das Privileg der Presse. Kann sich ein Bürgerjournalist, wie etwa der Videograf im Fall des Carolina-Shootings, auf die Freiheiten eines Pressefotografen berufen? Kann er das immer oder erst, wenn seine »Story« global relevant wird? Wann ist eine Person »Beiwerk« bei einer 360 Grad-Drohnen-Aufnahme in Hochauflösung? Wie tief muss eine Drohne fliegen, damit sie nicht die Panoramafreiheit verliert?

Es braucht Fragen, eine Debatte und Forderungen für mehr Fotofreiheit

Im politischen und rechtlichen Raum wird der Ruf nach Einschränkungen der Fotofreiheit lauter werden. Verschärfungen des Fotorechts lassen sich in der Öffentlichkeit derzeit leichter verkaufen – im Zweifel schützt die Politik die Kinder und fährt damit das schwerste Geschütz im Meinungskampf auf. Damit die Rechtsentwicklung nicht nur eine Richtung kennt, muss eine grundsätzliche Debatte beginnen über Sehen und Gesehenwerden im öffentlichen Raum, den Wert von Privatheit und Öffentlichkeit und den Wert der Fotografie. Fotografen müssen in der Debatte Position beziehen und ihre langfristigen Interessen zu politischen Gegenstandpunkten machen. Diese Fragen gehen jeden an, der eine Kamera in der Tasche hat – und sei es die im Smartphone.

Aus den oben skizzierten rechtlichen Entwicklungen lassen sich bereits erste Fragen, Standpunkte und Forderungen ableiten:

>> Das Fotografieren muss grundsätzlich erlaubt sein. Regulierung sollte erst bei der Verbreitung ansetzen – jedenfalls, wenn es um Aufnahmen in der Öffentlichkeit geht. Denn wer das Fotografieren einschränkt, schränkt auch das Sehen ein. Die Gesellschaft braucht die ungestellte Realität, einschließlich unvorteilhafter Augenblicke. Insofern geht der neue § 201a StGB in Bezug auf das Fotografieren Hilfloser zu weit. Nur mit so einem Grundsatz kann verhindert werden, dass der Strafgesetzgeber – und ihm folgend Gerichte in Medienprozessen – künftig bereits das Fotografieren als erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts ansehen.

>> Der Status von Bürgerjournalisten muss geklärt werden. Ab wann soll der Amateur Privilegien für Kunst und Presse genießen?

>> Fotografieren sollte aus demselben Grunde nicht als Datenerhebung im Sinne des Datenschutzrechts angesehen werden. Hier wird ein Gesetzestext aus dem Zeitalter der Lochkarten-Rechner auf Medienzusammenhänge gestülpt – das Resultat ist Formalismus, hohe Einwilligungsschwellen und eine Regulierungshoheit von in der Regel kunst- und medienfernen Datenschutzbehörden. Etwas anderes mag gelten, wenn das Foto mit Meta-Daten angereichert wird und so in Datennetzen verarbeitet werden kann.

>> Die einzelnen Erlaubnistatbestände des über hundert Jahre alten Kunsturhebergesetzes sind veraltet. Es sollte über eine »Fairness«-Regel nachgedacht werden, wie etwa die amerikanische »Fair Use«-Doktrin im Urheberrecht, ausschließlich bezogen auf Persönlichkeitsrechte – damit nicht Menschen-Fotografie zur Haftungsfalle wird. Das digitale Teilen darf nicht riskanter sein, als ein Foto herumzureichen.


Hendrik Wieduwilt

Jurist und Journalist. Seit 2016 Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Wirtschaftskorrespondent mit Schwerpunkt Rechtspolitik.
hendrikwieduwilt.wordpress.com